«Es fühlt sich nicht gut an» - Europas Weltraumchef Wörner tritt ab Von Julia Naue, dpa

Von Paris aus managt der Chef der europäische Weltraumorganisation
Esa Raketenprogramme oder Satellitenmissionen. Und diesen Job hat Jan
Wörner wirklich gern gemacht. Nun räumt er den Chefsessel - in einer
nicht ganz einfachen Zeit für die europäische Raumfahrt.

Paris (dpa) - Er fällt ihm schwer, dieser Abschied. Jan Wörner stand
seit 2015 an der Spitze der Weltraumorganisation Esa in Paris. Nun
räumt der 66-jährige Deutsche seinen Posten als Generaldirektor am
28. Februar. «Es fühlt sich nicht gut an», sagt Wörner und so kling
t
er auch. Den lang ersehnten Ruhestand, den ersehne er sich noch lange
nicht. In Paris folgt ihm der Österreicher Josef Aschbacher. Auf ihn
warten viele Herausforderungen: Die neue europäische Trägerrakete
Ariane 6 ist noch immer nicht gestartet, die Konkurrenz aus den USA
und China setzt den Europäern zu, die Beziehung zwischen Esa und
EU-Kommission ist schwierig und der Ruf nach mehr Privatisierung wird
immer lauter.

Wörners wohl wichtigstes Vermächtnis ist das sogenannte «Moon
Village». Er hat mit der Vision einer Art gemeinsamen Basis auf dem
Mond international geworben. Und dieser dauerhafte Außenposten ist
mit dem amerikanischen Artemis-Mondprogramm, an dem die Europäer
maßgeblich beteiligt sind, keine bloße Vision mehr. «Ich bin zur Esa

gekommen, mit dem Gefühl, jetzt kann ich mal was für Europa tun»,
resümiert der Bauingenieur Wörner, der acht Jahre lang das Deutsche
Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) in Köln geleitet hat. Ausgerechnet
Europa bereitet ihm aber bei seinem Abschied die größten
Bauchschmerzen.

Und gerade dieser Abschied wirkt nun auch etwas unfreiwillig. Wörner
ist zwar nicht noch einmal für den Posten als Direktor angetreten.
Doch als die Wahl im Dezember auf Aschbacher fiel, erklärte Wörner
bestimmt, seine erst im Sommer endende Amtszeit voll ausfüllen zu
wollen. Dann machte der immer locker und nahbar wirkende Wörner einen
Rückzieher, Abtritt doch schon Ende Februar. Aschbacher, der aktuell
noch Esa-Direktor für Erdbeobachtung ist, sei bei allen internen
Sitzungen dabei, so Wörner. «Das ist sowohl für ihn, als auch für d
ie
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Esa, und ein Stückchen auch
für mich keine ganz einfache Situation.» Das habe er abkürzen wollen.


Zum Abschied kommt noch ein Lob des Astronauten Alexander Gerst, der
Wörner als «sehr inspirierenden Menschen» bezeichnet. «Er hat viele
s
neu aufgerollt und damit bewegt, auch bei der Esa», sagt Gerst (44).
«Ich habe es als sehr angenehm empfunden, mit ihm zu arbeiten und
großen Respekt für das, was er für die europäische, aber auch für
die
deutsche Raumfahrt erreicht hat.»

Wörner betrachtet mit Sorge nationale Tendenzen in Europa. Es gebe
ein «Kräftemessen» - die Esa dürfe auf keinen Fall den europäisch
en
Zusammenhalt verlieren, mahnt er. Europa ist auch ein Thema, dass
sich der 58-Jährige Aschbacher direkt vornehmen möchte. Wie kann sich
Europa besser mit anderen Ländern oder Kontinenten in den Wettbewerb
stellen? Diese Diskussion müsse geführt werden, sagt er. Es sei Fakt,
dass Europa im Verhältnis zu seiner politischen und wirtschaftlichen
Position sehr viel weniger in die Raumfahrt investiere als etwa die
USA.

Vor allem private US-Unternehmen wie SpaceX des Milliardärs Elon Musk
machen der europäischen Raumfahrt massive Konkurrenz. Europa sei
gerade im Raketenbereich ins «Hintertreffen» geraten. «Man darf aber

auch nicht vergessen, dass diese Firmen natürlich deshalb florieren
können, weil es in Amerika von öffentlichen Stellen in etwa 40
Raketenstarts pro Jahr gibt», sagt er. In Europa liege diese Zahl bei
fünf oder sechs. Doch das Problem ist auch, dass die US-amerikanische
Raumfahrtbehörde Nasa private Unternehmen sehr gefördert hat. Anders
in Europa - zumindest im Ausmaß. Auch Aschbacher gesteht ein, dass
man hierzulande schneller sein könnte.

Und der Druck, im Bereich des sogenannten New Space schneller zu
sein, ist groß - und kommt auch aus Deutschland. «Ich glaube, dass
die europäische Raumfahrt jetzt an einem Scheidepunkt ist, weil die
Raumfahrt insgesamt dabei ist, sich komplett neu zu erfinden», sagt
der Koordinator der Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrt,
Thomas Jarzombek (CDU). Früher sei die Raumfahrt eher
Manufakturarbeit gewesen. «Da wurden einzelne Stücke mit viel
künstlerischem Geschick von großen Wissenschaftsorganisationen
entwickelt. Jetzt ist die Raumfahrt dabei, eine echte Industrie zu
werden.» Das sehe man daran, was Elon Musk mache.

Jarzombek fordert eine «hemdsärmeligere Mentalität». Entscheidend s
ei
etwa, dass Privatunternehmen auch staatliche Aufträge bekämen und es
faire Bedingungen gebe. «Die Esa muss diese neuen Dinge befördern,
sie darf nicht zu einer Art Verhinderer von Disruptionen werden, in
dem man versucht, die Dinos der Branche einseitig zu schützen.» Er
wirft den Blick dabei auch auf das Sorgenkind Ariane 6, deren Start
bereits mehrfach verschoben wurde. Nicht alle seien davon überzeugt,
dass es ausschließlich an Corona liege, dass es nun solange dauere.

Die Ariane 6 sei zwar um einiges günstiger als ihr Vorgängermodell,
die Ariane 5, sagt Aschbacher. Sie könne aber trotzdem nicht die
gleichen Preise anbieten wie etwa eine Falcon 9 von SpaceX. Aus
technologischer Sicht sei sie aber einwandfrei. Die Rakete wird ihn
in seiner Amtszeit sehr beschäftigen. Zum einen muss sie endlich
abheben - der Start ist nun für 2022 geplant. Doch was passiert nach
Ariane 6? «Was muss jetzt gemacht werden, um die Technologie
weiterzuentwickeln und eventuell in mittlerer bis ferner Zukunft eine
neue, sehr wettbewerbsfähige Rakete entwickeln zu können?», fragt er.


Für den Leiter des Instituts für Raumfahrtsysteme in Stuttgart,
Stefanos Fasoulas, ist die Ariane 6 weiter wichtig. «Das
Hauptargument der Ariane-Raketen ist Europas autonomer Zugang zum
Weltraum», sagt er. Er hat den Eindruck, dass Europa im Weltraum
etwas ins Hintertreffen geraten ist. «Ich hab das Gefühl, Europa ist
ein bisschen aufgewacht, es gibt aber in Zukunft noch viel
aufzuholen», sagt er. Aufholbedarf sieht er vor allem bei der
wirtschaftlichen Nutzung, Forschungsmissionen oder
Satellitentechnologien.

Aschbacher ist bisher für das sehr erfolgreiche
Erdbeobachtungsprogramm Corpernicus verantwortlich gewesen - seine
Arbeit wird sehr geschätzt. Für ihn ist die neue Stelle ein
«Kindheitstraum». Dessen Erfüllung bedeutet nun auch, dass auf ihn
ein pickepackevoller Schreibtisch wartet.