Ein Manuskript mit Tücken: Bremst Biontech-Impfstoff das Virus aus? Von Valentin Frimmer, dpa

Die Menschen haben die Pandemie satt. Sehnlichst warten sie auf
positive Nachrichten. Laut einer unveröffentlichten Studie könnte die

Impfung das Virus stark zurückdrängen. Was hat es damit auf sich?

Berlin (dpa) - Die Antwort auf diese Frage wird sehnsüchtig erwartet:
Kann die Corona-Impfung die Pandemie eindämmen, indem sie Infektionen
in größerem Maßstab verhindert? Zum Impfstoff von Biontech/Pfizer ist

nun ein unveröffentlichtes Manuskript in Umlauf, das das nahelegt.
Doch noch sind die Ergebnisse schwer zu interpretieren. Die
wichtigsten Antworten dazu:

Ist nicht längst bekannt, wie gut die Impfstoffe wirken?

Ja und nein. Tatsächlich gibt es für die drei in der EU zugelassenen
Impfstoffe belastbare Daten, wie gut sie vor einer Corona-Erkrankung
schützen. Der Wirkstoff von Biontech/Pfizer kommt dabei auf
Wirksamkeitswerte von mehr als 90 Prozent. Allerdings war bislang
unklar, ob die Impfstoffe nur dafür sorgen, dass die Krankheit nicht
ausbricht, oder auch vor der Infektion als solcher schützen. Das ist
ein wichtiger Unterschied, denn um die Pandemie schnellstmöglich
einzudämmen, sollten sich so wenig Menschen wie möglich infizieren.
In Deutschland haben bislang rund zwei Prozent der Bevölkerung schon
die zweite Impfdosis erhalten, die meisten das Biontech-Mittel.

Was für ein Manuskript kursiert da im Moment?

Es handelt sich um eine bislang unveröffentlichte Publikation
von Biontech und Pfizer zusammen mit dem israelischen
Gesundheitsministerium. Darin wurde anhand israelischer
Gesundheitsdaten von Geimpften und Ungeimpften unter anderem
untersucht, wie gut der Wirkstoff vor Erkrankungen schützt, aber auch
vor Infektionen. Wichtig zu wissen dabei: Das Manuskript ist weder
von den Unternehmen veröffentlicht noch in einem von Experten
begutachteten Fachjournal erschienen. Es wurde israelischen
Journalisten des Internetportals «ynet» zugespielt und liegt der
Deutschen Presse-Agentur vor. Weder Biontech noch das israelische
Gesundheitsministerium wollten sich dazu äußern.

Was steht drin im Manuskript?

Der Wirkstoff sei «hocheffektiv» bei der Verhinderung von Infektionen
mit Sars-CoV-2, schreiben die Autoren. Sie hatten die Daten
von Zehntausenden positiven Coronatests in Israel zur Verfügung und
haben geschaut, wieviele der Infizierten geimpft oder eben nicht
geimpft waren. Das Ergebnis: Der Anteil der Menschen mit vollem
Impfschutz, der in einem bestimmten Zeitraum positiv auf Corona
getestet wurde, war wesentlich niedriger als der Anteil bei den
Nichtgeimpften. Die Studienautoren schreiben in Bezug auf diesen
Schutz von einer «Effektivität» von 89,4 Prozent.

Warum ist diese Zahl mit Vorsicht zu genießen?

Die Ergebnisse der Studie sind nicht so eindeutig, wie die nackte
Zahl zunächst vermuten lässt. So geben die Autoren selbst zu
bedenken, ihre Herangehensweise könnte dazu geführt haben, dass der
Effekt der Impfung auf Infektionen überschätzt wird. Denn in Israel
werden Ungeimpfte häufiger getestet als Geimpfte. Allein aus diesem
Grund könnte es also schon mehr positive Tests in der Gruppe der
Ungeimpften gegeben haben. Das israelische Nachrichtenportal «ynet»
schreibt zudem: «Im Gesundheitsministerium wurde klargestellt, dass
die Daten zur Wirksamkeit gegen Infektionen im Vergleich zu den
anderen Daten am wenigsten gewiss seien.»

Was sagt ein deutscher Fachmann zu den 89,4 Prozent?

Impf-Experte Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für
Zelltherapie und Immunologie (IZI) tut sich mit einer Beurteilung
im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur schwer. Er hält den Wert

von 89,4 Prozent für wenig belastbar. So habe es bei der Untersuchung
nicht zwei definierte Gruppen (Geimpfte und Ungeimpfte) gegeben, die
in festgelegter Form regelmäßig getestet wurden. Stattdessen wurde
auf Daten freiwilliger Tests zurückgegriffen, die Vergleiche nur
schwer möglich machen. Zudem hofft der Experte, dass das Vorgehen der
Studienautoren durch den nun folgenden wissenschaftlichen
Begutachtungsprozess detaillierter und nachvollziehbarer dargestellt
wird, als es in der momentanen Fassung der Fall ist.

Welche Bedeutung hätte es, wenn die Ansteckungsgefahr für Geimpfte
wesentlich geringer wäre?

Die Hoffnung ist, dass sich Geimpfte nur noch selten mit Sars-CoV-2
anstecken und dadurch den Erreger auch nicht weitergeben. Das würde
enorm helfen, um die Infektionslage in den Griff zu bekommen. Der
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach interpretiert die Ergebnisse
des Manuskripts dann auch in diese Richtung. «Diese Auswertungen sind
von großer Bedeutung. Sie sind der erste klare Hinweis darauf, dass
man sich nach der Impfung nicht ansteckt und auch nicht ansteckend
ist», sagte der SPD-Politiker der «Bild am Sonntag». Damit würde di
e
Impfung eine Herdenimmunität tatsächlich ermöglichen. «Und die
Rückkehr zum normalen Leben möglich machen. Zumindest deuten das die
Ergebnisse mit Biontech zum jetzigen Zeitpunkt an.»

Wann könnte es mehr Klarheit geben?

Noch haben sich Pfizer und Biontech nicht zu der durchgesickerten
Manuskript-Fassung geäußert. Es war erwartet worden, dass die
beiden Unternehmen das Papier in den kommenden Tagen veröffentlichen.
Israels Corona-Beauftragter Nachman Asch sagte dem Armeesender am
Sonntag, es sei noch unklar, inwieweit die Corona-Impfung auch eine
Ansteckung anderer verhindere. Er hoffe, dass man in den kommenden
Wochen mehr darüber herausfinden werde. Auch andere
Impfstoffhersteller haben Studien zu diesem Thema laufen.

Welche Ergebnisse stehen noch in dem Studien-Manuskript?

Die Untersuchung bestätigt noch einmal, dass der Impfstoff sehr
wirksam Erkrankungen und auch Covid-Todesfälle verhindert. Zudem
zeigte die Studie, dass der Impfstoff auch bei der ansteckenderen
Variante B.1.1.7 wirkt, die erstmals in Großbritannien nachgewiesen
wurde. Denn zum Zeitpunkt der Untersuchung waren bereits vier von
fünf positiven Tests auf die Variante zurückzuführen.