Berliner Gewaltschutzambulanz: Mehr als 1600 Opfer suchten Hilfe

Kaum Besuche, wenige Kontakte - in Corona-Zeiten bleibt oft
verborgen, wenn in Familien Konflikte nicht mehr friedlich gelöst
werden können. Befürchtet wird, dass die Zahl der Opfer wieder
steigt.

Berlin (dpa/bb) - Im Corona-Jahr 2020 haben genau 1661 Opfer Hilfe
bei der Berliner Gewaltschutzambulanz gesucht. Das seien 119 Fälle
mehr gewesen als 2019, teilte die Justizverwaltung auf Anfrage der
Deutschen Presse-Agentur mit. Im Lockdown seien nicht so viele Fälle
bekannt geworden, sie seien aber mit den Lockerungen gestiegen.

Die Mediziner stellten demnach vor allem Verletzungen durch stumpfe
Gewalt wie Hautunterblutungen und Abschürfungen fest. Teilweise seien
Knochenbrüche dazu gekommen. Immer wieder dokumentierten die
Ärztinnen und Ärzte auch Verletzungen durch Gewalt gegen den Hals.

Während des ersten Lockdowns sei im März 2020 die Zahl der Fälle
häuslicher Gewalt um fast ein Viertel gegenüber dem März 2019
zurückgegangen. Doch mit den Lockerungen kamen wieder mehr Betroffene
in die Gewaltschutzambulanz.

Nach Ende des ersten Lockdowns stieg im Juni die Zahl der Fälle um
fast 30 Prozent gegenüber dem gleichen Monat 2019. Die Entwicklung
habe sich so fortgesetzt. Ab November seien die Fälle wegen des
erneuten Lockdowns wieder deutlich gesunken, hieß es. Betroffene
Frauen hätten weniger Chancen als sonst, Hilfe zu rufen. Bei Kindern
sei die soziale Kontrolle von außen minimiert. Eingeschränkte
Kontakte erhöhten das Risiko, Konflikte nicht mehr konstruktiv zu
lösen.

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) sagte, es müsse leider davon
ausgegangen werden, dass nach dem Ende des Lockdowns die Gewalt
wieder sichtbar werde und die Zahl der Fälle steige. Besonders in
Pandemie-Zeiten gelte: «Wer Gewalt ausgesetzt ist, darf nicht allein
gelassen werden».

Trotz Corona war und ist die Anfang 2014 eröffnete Ambulanz mit
sieben Ärztinnen und Ärzten ohne Einschränkungen geöffnet. Es gelte
n
strenge Hygieneregeln.

Die Einrichtung, die zur Charité gehört, bekommt nun eine
längerfristige Perspektive. Behrendt und der Vorstandsvorsitzende der
Charité, Heyo K. Kroemer, unterzeichneten eine Vereinbarung zur
Finanzierung. «Das bietet Sicherheit über 2021 hinaus», so der
Senator. In diesem Jahr kommen von der Justizverwaltung knapp 1,2
Millionen Euro für die Ambulanz.

Sowohl Kinder als auch Erwachsene können ihre Verletzungen dort von
den Rechtsmedizinern vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen.
Sie müssen nicht sofort entscheiden, ob sie den Täter anzeigen. Die
Dokumentation zählt auch, wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommt.
Mehr als 7000 Gewaltfälle wurden bereits untersucht.

Daneben werden auch DNA-Spuren gesichert und aufbewahrt. Die Ambulanz
bietet auch Informationsveranstaltungen für Polizei, Gericht,
Staatsanwaltschaften, Jugendämter, Schulen und Kitas, um auf die
Probleme aufmerksam zu machen.

Nach dem ersten Lockdown hatte die Vizechefin der Ambulanz, Saskia
Etzold, gesagt, es kämen fast nur schwere Fälle. Auffällig war aber
nach ihren Worten der Rückgang bei Sexualdelikten durch Fremdtäter,
da Clubs und Bars geschlossen seien.