Impf-Touristen, Impfstoff-Dealer: Die Jagd nach der rettenden Spritze Von Johannes Sadek, Anne-Sophie Galli und Denis Düttmann, dpa

Mit einer Impfung gegen das Coronavirus hoffen Millionen auf eine
langsame Rückkehr zur Normalität. Einige konnten die begehrte Spritze
mit Glück oder Trickserei im Ausland ergattern. Zugleich wächst der
Markt für fragwürdige Reiseangebote und Ampullen aus dunklen Kanälen.


Dubai/Neu Delhi (dpa) - Hala Baidun wollte in Dubai eigentlich nur
ihre Schwester besuchen. Aber als deren Firma in der Golf-Metropole
im Januar zur Corona-Impfung lud, versuchte die Libanesin spontan
auch ihr Glück. «Sie kopierten unsere Pässe, nahmen unsere Daten auf,

gaben sie in den Computer ein und impften uns.» Einen Wohnsitz in
Dubai hat die 50-Jährige nicht, einen Pass der Vereinigten Arabischen
Emirate auch nicht. Offenbar durch einen glücklichen Zufall erhielt
Baidun die Impfung, auf die dieser Tage weltweit Millionen hoffen.

In einigen Ländern haben sich Schlupflöcher aufgetan für diejenigen,

die das seit über einem Jahr wütende Coronavirus mit der doppelten
Spritze hinter sich lassen wollen - und die darauf in ihren
Heimatländern Wochen oder Monate warten müssten. Menschen wie Baidun,
die durchs Raster rutschen und eine Impfung erhalten, die sonst nur
an Landsleute und Anwohner vergeben wird. Einige elitäre Zirkel und
Reisebüros locken ebenfalls mit dem Impfstoff, fragwürdige Anbieter
auf dem Schwarzmarkt ziehen mit.

Ein regelrechter Impf-Tourismus setzte in Florida ein: In dem
US-Bundesstaat konnten zeitweise auch Nicht-Anwohner das Vakzin
bekommen, weshalb neben wohlhabenden Besuchern aus New York und
Kalifornien bald etwa auch das in Buenos Aires lebende TV-Sternchen
Yanina Latorre auftauchte, die ihre 80-jährige Mutter impfen ließ.
Berichten zufolge zog es auch Reisende aus Brasilien und Mexiko nach
Florida. Unfair, klagten Anwohner über die Vordrängler aus der Ferne.

Für Empörung sorgte auch das Millionärs-Paar aus Kanada, das sich die

Spritze in einer Ureinwohner-Siedlung erschlichen haben soll. Der
frühere Chef einer Casino-Firma und die Schauspielerin reisten mit
einem kleinen Flugzeug ins abgelegene Yukon, wo die beiden laut
Berichten erklärten, bei einem Gasthof in der Gegend zu arbeiten, um
sich dann impfen zu lassen. Aber der Plan flog auf.

Hala Baidun, die in Beirut eine Bäckerei betreibt, hat nach ihrer
Impfung in Dubai keinen üblen Nachgeschmack. «Ein Land wie die VAE
wollen, dass alle glücklich sind und Geld ausgeben», sagt sie. Ein so
reicher Staat sollte das Vakzin auch Touristen anbieten.

In Reichweite gerückt ist die Impfung vor allem für die besonders
Wohlhabenden. Das «Wall Street Journal» zitierte ein Unternehmen in
Kanada, dessen Kunden Tagesflüge nach Florida mit dem Privatjet
anfragten. Kosten: Umgerechnet zwischen 20 000 und 65 000 Euro. In
Großbritannien machte der exklusive «Reise- und Lifestyle-Club»
Knightsbridge Circle von sich reden, dessen Mitglieder umgerechnet
rund 28 000 Euro pro Jahr bezahlen sollen. Im Angebot seien
Impf-Reisen in die Emirate und Indien, berichtete der «Telegraph».

«Wir buchen (unseren Mitgliedern) eine schöne Villa mit einem
Schwimmbad, einem Koch und Hausangestellten», sagte Clubgründer
Stuart McNeill demnach. «Sie landen, kriegen ihre erste Impfung und
warten auf die zweite.» Einige Gäste würden die gesamte Zeit etwa in

Indien bleiben, andere würden zwischen den zwei Spritzen nach
Madagaskar fliegen. Per E-Mail teilte der Club mit, dass wegen einer
Flut von Anfragen derzeit keine neuen Mitglieder aufgenommen würden.

In Indien bieten Reisebüros wie Zenith Leisure Holidays Limited seit
einigen Wochen Impf-Reisen ins Ausland an. Dessen Chef Manoj Mishra
sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass er damit gleich zwei
Kundenbedürfnisse befriedige - Abenteuerlust und Gesundheit. Auf
bunten Flyern verspricht seine Firma Angebote je nach Budget nach
Großbritannien, Russland und in die USA. Für umgerechnet rund 2800
Euro geht es dafür etwa zweimal nach London, Vier-Sterne-Hotel,
Visum, Schutzanzüge und Desinfektionsmittel inklusive.

Kuba hat sogar angekündigt, dass Touristen sich nach Zulassung des
kubanischen Impfstoffs Soberana2 auf der Karibikinsel impfen lassen
können. Ob Urlauber dafür zur Kasse gebeten werden, ist bislang
unklar. Der Direktor des Impfstoffentwicklers Finlay, Vicente Vérez,
sagte allerdings bereits: «Wir sind kein multinationales Unternehmen,
dem es vor allem um Gewinn geht. Unser Ziel ist es, für mehr
Gesundheit zu sorgen.» In den Staatsmedien hieß es bereits, Ausländer

könnten Urlaub und Impfung verbinden.

In den meisten Fällen gibt es bisher aber einen Haken: Die Emirate
impfen keine Touristen mehr, wie das Gesundheitsministerium dort
bestätigt. Das Reisebüro in Indien, das von 800 Vorab-Registrierungen
im Internet und 1500 telefonischen Anfragen von Kunden berichtet, hat
noch gar keine Erlaubnis der betroffenen Länder. Der Knightsbridge
Circle in London musste auf Nachfrage des «Guardian» klarstellen,
dass in den Emiraten nur Club-Mitglieder geimpft werden könnten, die
dort eben auch Anwohner sind (derzeit insgesamt fünf Personen).

Wer sich die Wartezeit mit anderen Mitteln verkürzen will, sucht auf
dem Schwarzmarkt: Beim Nachrichtendienst Telegram behaupten Nutzer,
Astrazeneca-, Pfizer/BioNTech- sowie Moderna-Ampullen pro Stück für
umgerechnet 125 bis 183 Euro mit Versand zu verkaufen - «eisgekühlt,
doppelt vakuumversiegelt, mit Tracking-Nummer», wie es dort heißt. In
Deutschland steigt derweil auch die Zahl der Internet-Suchanfragen
nach Begriffen wie «Corona-Impfstoff online kaufen».

Im Darknet verspricht ein User: «Das Vakzin ist innerhalb weniger
Tage bereit und kann in alle Länder verschickt werden.» Dort fand die
Cybersicherheitsfirma Check Point im Januar 340 solcher Angebote, die
Preise lägen inzwischen bei umgerechnet bis zu 820 Euro. Aber: «Nach
unserer Erfahrung beim versuchten Kauf einer einzigen Dosis ist es
wahrscheinlich, dass ein Käufer überhaupt nichts erhält.»