Erschrockenes Schweigen zum Papier über Ursprung der Corona-Pandemie Von Markus Klemm, dpa

Der Hamburger Nanowissenschaftler Wiesendanger will den Ursprung der
Corona-Pandemie in einem Labor in China ausgemacht haben. Auch wegen
seiner Methodik ist die Empörung in sozialen Netzwerken nun groß -
doch das ficht den Physiker nicht an.

Hamburg (dpa) - Erschrockenes Schweigen in der Wissenschaftsszene:
Seit die Universität Hamburg die Untersuchung des
Nanowissenschaftlers Prof. Roland Wiesendanger über die Pressestelle
hat veröffentlichen lassen, wonach der Ursprung des Coronavirus in
einem Labor im chinesischen Wuhan zu finden sei, scheinen die
wichtigsten Akteure in Schockstarre verfallen zu sein. Zu heikel
scheinen die Ausführungen, zu fragwürdig die wissenschaftlichen
Methoden, als dass sich irgendjemand äußern oder gar den
Scharfrichter spielen möchte.

Seien es das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) mit der
Top-Virologin Marylyn Addo, das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut mit
dem ebenfalls prominenten Virologen Jonas Schmidt-Chanasit oder der
Akademische Senat und der Hochschulrat der Universität - alle winken
ab oder reagieren erst gar nicht. Schließlich kommt Wiesendanger in
seinem Papier auf recht unkonventionelle Weise zum Ergebnis, dass
sowohl Zahl als auch Qualität der Indizien für einen Laborunfall am
virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursache der Pandemie
sprechen. Seine Quellen sind dabei unter anderem Youtube-Videos -
womit er eine Welle der Empörung im Netz ausgelöst hat.

Auch Uni-Präsident Prof. Dieter Lenzen will sich nicht äußern. Dabei

hat er den Physiker Wiesendanger nach dessen Aussage sogar zur
Veröffentlichung ermuntert. «Er hat mich ermutigt, in meiner Rolle
als Wissenschaftler, diese Dinge jetzt in die Öffentlichkeit zu
bringen und nicht nur in Wissenschaftskreisen zur Diskussion zu
stellen», sagte Wiesendanger der Deutschen Presse-Agentur. Nun heißt
es von der Pressestelle nur: «Die Hochschulleitung und die
Pressestelle der Universität Hamburg üben keine Zensur zu
Forschungsgegenständen und -ergebnissen ihrer Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler aus.»

Wiesendanger selbst ficht die Kritik nicht an. «Es war mir vollkommen
bewusst, was da auf mich zukommt.» Auch die vorsichtige
Absetzbewegung der Hamburger Wissenschaftsbehörde scheint ihn nicht
zu beeindrucken. Dabei hat die klargestellt: «Wissenschaftsfreiheit
ist ein unverrückbares Gut. Gleichwohl gilt für alle Form
wissenschaftlicher Forschung, dass bei unklarer oder unsicherer
Datenlage Zurückhaltung in der Bewertung angebracht ist», sagte ein
Sprecher von Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne).

Wiesendanger kündigte dagegen an: «Es ist vollkommen klar, wir werden
die Studie jetzt zeitnah in vielen anderen Sprachen zur Verfügung
stellen.» Die Problematik müsse thematisiert werden unter der
Bevölkerung vieler Länder. «Das ist keine Studie für
wissenschaftliche Fachpublikationen.» Wiesendanger hatte seine
Untersuchung auf der Plattform «Research Gate» als soziales Netzwerk
für Forscher hochgeladen, in wissenschaftlichen Fachblättern ist sie
bislang nicht erschienen. «Diese wissenschaftliche Kritik und
Methodik fehlt in diesem Fall noch komplett», sagte Markus Weißkopf,
Geschäftsführer der Initiative Wissenschaft im Dialog, die sich mit
der Entwicklung und Qualität von Wissenschaftskommunikation befasst.

In den Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR werde davon abgeraten,
aktive Pressearbeit über nicht extern begutachtete Studien zu machen,
erklärte Weißkopf - auch und gerade in Zeiten der Pandemie, in denen
vorläufige wissenschaftliche Erkenntnisse von der Öffentlichkeit
begierig aufgesogen würden. Pressestellen müssten die Folgen ihrer
Veröffentlichungen und Interpretationsspielräume stärker bedenken,
betonte Weißkopf. «Wenn ein Thema erwartbar große Aufmerksamkeit auf

sich ziehen wird und die öffentliche Diskussion beeinflussen könnte,
ist es Aufgabe von Pressestellen, bei Zweifeln kritisch bei
Wissenschaftlern nachzufragen.»

Hamburgs Wissenschaftsbehörde verwies in ihrer Stellungnahme auch auf
die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die erst vor Kurzem das
Ausbruchsgeschehen in Wuhan untersucht hat. Wann deren endgültiger
Bericht vorgelegt wird, steht jedoch nach wie vor nicht fest. Dass
das Virus aus einem chinesischen Labor entwich, hatte der beteiligte
Experte Peter Ben Embarek zum Ende des Besuchs aber bereits als
unwahrscheinlich bezeichnet.

Das Wuhan-Institut für Virologie (WIV) sammelt und bearbeitet
Virusproben und forscht dabei auch mit Coronaviren von Fledermäusen.
Daher ist eine der zu prüfenden Theorien zum Ursprung, dass
Sars-CoV-2 dort absichtlich erzeugt wurde oder versehentlich entstand
und dann entwich. In Wuhan waren Anfang Dezember 2019 erstmals
Ansteckungen mit dem neuen Erreger entdeckt worden.

Die Suche nach der Herkunft des Erregers gilt als politisch heikel.
China fürchtet, als Schuldiger für die Pandemie angeprangert zu
werden - wäre das Virus tatsächlich aus einem Labor entwichen,
könnten Entschädigungsforderungen weltweit drohen. Für Wiesendanger
steht aber schon fest, dass er Recht hat.