Haftstrafe für «Waldläufer von Oppenau» - Revision angekündigt

Der Fall hielt Deutschland im vergangenen Sommer in Atem: Da war ein
Mann mit vier Polizeiwaffen im Schwarzwald untergetaucht. Nun ist der
32-Jährige verurteilt worden. Doch ist er wirklich ein Geiselnehmer?
Die Verteidigung sagt nein - und will den BGH einschalten.

Offenburg (dpa) - Die Entwaffnung der Polizisten, die Flucht mit
deren Waffen, die Tage verborgen im Wald - all das sei nur passiert,
weil er nicht wieder ins Gefängnis habe gehen wollen. Das hatte Yves
R. - bekannt geworden als «Waldläufer von Oppenau» - im Verfahren
gegen ihn ausgesagt. Nun muss er wohl doch erneut eine Haftstrafe
antreten: Das Landgericht Offenburg verurteilte ihn am Freitag zu
einer Freiheitsstrafe von drei Jahren - unter anderem wegen
Geiselnahme. Die Verteidigung kündigte jedoch unmittelbar nach dem
Urteil Revision an.

Der heute 32 Jahre alte Angeklagte hatte im Juli 2020 im Wald nahe
dem Schwarzwald-Städtchen Oppenau in einer fremden Gartenhütte
gewohnt. Als Polizisten ihn kontrollieren wollten, eskalierte die
Situation: R. zog eine täuschend echt aussehende Schreckschusswaffe
und richtete sie nach Darstellung des Vorsitzenden Richters Wolfgang
Kronthaler auf einen der Beamten. So gelang es R. demnach, die
Beamten zur Herausgabe ihrer Waffen zu bewegen. Schließlich floh R.
mit den Pistolen in den Wald.

Die Polizei suchte mit einem Großaufgebot nach ihm: Hunderte Beamte
durchkämmten den Wald, Hubschrauber mit Wärmebildkameras kreisten.
Denn zunächst wusste niemand, wie gefährlich der mehrfach
vorbestrafte Mann ist, der in der Hütte ein ganzes Arsenal an Waffen
hortete: Pfeile, Messer, eine Lanze, Schreckschusswaffen. Erst fünf
Tage später gelang die Festnahme in einem Gebüsch nahe Oppenau. R.
verletzte dabei einen SEK-Beamten mit einem Beil am Fuß.

Der Fall habe für besonders großes öffentliches Interesse gesorgt,
sagte Kronthaler nach der Urteilsverkündung am Freitag. Doch Aufgabe
des Gerichts «ist es nicht, für ein Spektakel zu sorgen», betonte er.

Es gehe darum, ohne Aufregung Tatsachen festzustellen - und das sei
auch dank des besonnen auftretenden Angeklagten gelungen.

In der Hütte habe R. sich der Geiselnahme schuldig gemacht, sagte
Kronthaler. Indem er den Beamten mit der echt aussehenden Waffe
bedroht habe, habe er sich des Mannes bemächtigt und dies ausgenutzt,
um den Polizisten und dessen Kollegen zur Aushändigung ihrer Waffen
zu nötigen. Es handele sich aber nur um eine Geiselnahme im
minderschweren Fall, unter anderem weil die Bemächtigung nur so kurz
gedauert habe: nämlich wenige Sekunden. Der Gesetzgeber habe sich als
Leitbild für diese Tat sicher etwas anderes vorgestellt.

Es geht in dem Fall um juristische Feinheiten: Hätte Yves R. die
Waffe nacheinander auf alle Beamten gerichtet, so Kronthaler, dann
wäre es keine Geiselnahme gewesen, sondern etwa Bedrohung. Und just
zu dieser Frage gab es im Verfahren unterschiedliche Aussagen der
betroffenen Polizisten und von R. selbst. Die Verteidigung, die für
eine Bewährungsstrafe plädiert hatte, sieht gar keine Geiselnahme.
Das Urteil werfe Fragen auf, die der Bundesgerichtshof zu klären
habe.

In dem Verfahren hatte der Angeklagte ein Geständnis abgelegt und
sich bei dem verletzten SEK-Beamten entschuldigt. Er beschrieb sich
als einen von der Gesellschaft enttäuschten Mann, der sein Glück in
der Natur gesucht habe. Seit dem Frühjahr 2020 habe er im Wald
gelebt. Dort wollte er sich nach eigener Aussage auf eine Wanderung
quer durch Deutschland vorbereiten. Die Hütte sei eine
Zwischenstation gewesen.

Im Internet bildeten sich nach seiner Festnahme Fangruppen für Yves
R., es wurden T-Shirts bedruckt mit der Aufschrift «Justice 4 Yves»
(«Gerechtigkeit für Yves»). Doch schon vor seiner Flucht sammelte R.

diverse Vorstrafen wegen Verstößen gegen das Waffengesetz an und saß

wegen gefährlicher Körperverletzung für dreieinhalb Jahre im
Gefängnis.

Ein Gutachter attestierte ihm in Offenburg eine kombinierte
Persönlichkeitsstörung bei hoher Intelligenz. R. habe Probleme,
Empathie zu empfinden, sei introvertiert und stur. Grundsätzlich
schuldunfähig sei er nicht - nur für die Festnahmesituation, als der
Flüchtige dehydriert und übernächtigt von einem Taser getroffen
wurde, bescheinigte der Psychiater dem Angeklagten eine verminderte
Schuldfähigkeit.

Ganz am Ende des Prozesses wandte der Richter sich noch einmal direkt
an R. «Nehmen Sie diese Diagnose ernst», sagte Kronthaler.
«Unternehmen Sie in Haft etwas und arbeiten Sie an dieser
Persönlichkeitsstörung. Lernen Sie zu verstehen, warum das alles
passiert ist.»