Mehr Corona-Ausbrüche möglich - Spahn mahnt zur Umsicht

Ansteckendere Varianten des neuen Coronavirus machen eine Eindämmung
der Pandemie schwerer als gedacht. Weitere Lockerungen sind damit
nicht unmöglich - aber in Zukunft wohl eher regional je nach Erfolg
zu machen als bundesweit im Gleichschritt.

Berlin (dpa) - Die Eindämmung der Corona-Pandemie stockt: Das Robert
Koch-Institut rechnet in den kommenden Wochen wieder mit mehr
Ausbrüchen. «Wir stehen möglicherweise erneut an einem Wendepunkt.
Der rückläufige Trend der letzten Wochen setzt sich offenbar nicht
mehr fort», sagte Präsident Lothar Wieler am Freitag. Ursache dafür
seien vermutlich ansteckendere Varianten des Virus. «Es werden auch
mehr junge Erwachsene, Jugendliche und auch Kinder erkranken»,
prognostizierte Wieler.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mahnte angesichts dieser
Entwicklung erneut zur Vorsicht. «Das Virus gibt nicht einfach auf»,
sagte er. Das Bedürfnis nach einem Ende des Lockdowns sei greifbar.
Bei Öffnungen gelte es aber, behutsam und vorsichtig vorzugehen, um
das Erreichte nicht zu gefährden. Spahn wies zugleich darauf hin,
dass Impfungen weiter stark Fahrt aufnehmen sollen. Bisher seien rund
fünf Millionen Dosen gespritzt worden.

Die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen
liegt nach den jüngsten RKI-Daten bundesweit bei 56,8 - und damit nur
geringfügig niedriger als am Vortag (57,1). Schon in den Tagen zuvor
hatte es keinen deutlichen Rückgang dieses Inzidenzwerts mehr
gegeben. Bund und Länder streben ein Niveau von weniger als 50 an,
weitergehende Öffnungsschritte sollen bei weniger als 35 möglich
sein.

Stagnierende Fallzahlen in vielen Bundesländern beobachten auch
Wissenschaftler im Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung. System-Immunologe Sebastian Binder hält es für
möglich, dass sich eine bundesweite 50er-Inzidenz im Moment gar nicht
erreichen lässt. «Diese Gefahr ist jedenfalls nicht von der Hand zu
weisen. Aktuell sehen wir mindestens ein Plateau in der Entwicklung
der Fallzahlen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Ein kausaler
Zusammenhang mit der Virus-Variante B 1.1.7. lasse sich dabei noch
nicht sicher nachweisen. Er liege aber nahe. «Wir müssen damit
rechnen, dass die neue Variante sich möglicherweise bereits wieder
exponentiell ausbreitet, ähnlich, wie es die alte Variante im Oktober
2020 tat.»

Für Spahn spricht das nicht grundsätzlich gegen Öffnungen in
Gegenden, die ihre Inzidenz-Werte dennoch erfolgreich drücken können.
Er rechnet für die kommenden Wochen mit regional klar differenzierten
Corona-Konzepten für mögliche Lockerungen - oder notwendige
Schutzauflagen. Bund und Länder seien in den vergangenen Monaten
«eine Zeit lang im gemeinsamen Geleitzug» durch die Pandemie
gegangen, aber dies werde sich nun wieder weiter ausdifferenzieren.
Dies sei für die Akzeptanz wichtig.

Auch Wieler hält niedrige Inzidenzen regional für machbar. «Man kann

diese Zahl von 35 erreichen.» Dafür gebe es bereits Beispiele in
Landkreisen. Aber: «Jede unbedachte Lockerung beschleunigt das Virus
und wirft uns zurück. Dann stehen wir in ein paar Wochen genau wieder
an dem Punkt, wo wir Weihnachten waren.»

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sprach sich für
«kluge Lösungen» aus, die sich sowohl an den lokalen Inzidenzwerten
orientieren aber auch die Mobilität der Menschen einbeziehen, sowohl
auf kommunaler Ebene als auch über Bundesländergrenzen hinaus. Spahn
riet allein davon ab, nur einen Wert für Entscheidungen
heranzuziehen. «Wir müssen alle Parameter in den Blick zu nehmen.»

Mit einer spürbaren Wirkung von Impfungen auf die Pandemie-Eindämmung
rechnet Systemimmunologe Binder «vielleicht gegen Ende des zweiten
Quartals 2021». Das hänge aber immer mit der Verfügbarkeit der
Impfstoffe, der Geschwindigkeit der Impfungen und auch mit der
Impfbereitschaft zusammen.

Wieler riet dazu, Impfangebote anzunehmen. Alle Impfstoffe in
Deutschland seien sicher, wirksam und sie schützten. Spahn will dem
Virus auch mit einer ausgeweiteten Test-Strategie entgegentreten. So
sollen ab März Schnelltests kostenlos sein. Teststellen mit
geschultem Personal sind Ländersache. Spahn setzt darüber hinaus auf
Selbsttests, sobald es in Deutschland eine Zulassung dafür gebe.

Bis andere Eindämmungsmechanismen sicher greifen, appellierte Wieler
erneut an die Mithilfe jedes einzelnen. Es gelte Kontakte auf das
nötigste zu beschränken, sich möglichst draußen zu treffen, mögli
chst
nicht zu verreisen sowie Masken über Mund und Nase zu tragen. «Auch
im Büro, im Auto und in öffentlichen Verkehrsmitteln». Alle diese
Maßnahmen wirkten auch gegen neue Virus-Varianten. Deshalb gebe es
keinen Grund, sich entmutigen zu lassen.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft rechnet mit Blick auf die
angekündigten milden Temperaturen am Wochenende allerdings schon mit
mehr Verstößen gegen die Corona-Regeln. Das schöne Wetter könne daz
u
verleiten, leichtsinnig zu werden, sagte der Vorsitzende Rainer
Wendt, «Sonnenstrahlen sind kein Corona-Impfstoff - das vergessen
manche.»