Komplikationen bei Corona-Impfungen? Der Mythos von den Impftoten Von Sebastian Fischer und Alexandra Stober, dpa

Nach einer Corona-Impfung gibt es mitunter unangenehme Reaktionen, in
sehr seltenen Fällen auch Komplikationen. Doch ist das schlimmer als
der Erreger selbst?

Berlin (dpa) - Zwei Mal müssen die bisher zugelassenen
Corona-Präparate für den vollen Schutz geimpft werden. Über die damit

verbundenen Impfreaktionen wurde zuletzt viel diskutiert. In sozialen
Medien ist mitunter gar von vermeintlichen Impftoten die Rede. Wie
ist die Faktenlage?

BEHAUPTUNG: Die Nebenwirkungen einer Corona-Impfung sind gefährlicher
als eine Ansteckung mit dem Erreger.

BEWERTUNG: Falsch.

FAKTEN: Nebenwirkungen treten nicht zwangsläufig nach einer Impfung
mit einem der drei bisher in Europa zugelassenen Mittel von
Biontech/Pfizer, Astrazeneca oder Moderna auf. Doch wie jedes
Medikament bergen Impfstoffe neben ihrem Nutzen eben auch Risiken.
Selbst hochwirksame Präparate könnten eine Krankheit weder
hundertprozentig verhindern noch allen Geimpften vollständige
Sicherheit bieten, so die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA).

Vor einer Zulassung lässt die EMA alle Mittel von unabhängigen
Wissenschaftlern untersuchen. «Der Nutzen eines Impfstoffs, der
Menschen vor Covid-19 schützt, muss weitaus größer sein als jede
Nebenwirkung oder jedes mögliche Risiko», schreibt die EU-Behörde.
Sie ist wie viele weitere Institute weltweit zu dem Schluss gekommen,
dass dies bei den drei Präparaten der Fall ist. Daher: grünes Licht.

Studien zufolge können die am häufigsten beobachteten Reaktionen nach
einer Corona-Impfung etwa Schmerzen an der Einstichstelle,
Abgeschlagenheit, Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Schüttelfrost sein,
zuweilen auch Fieber oder Übelkeit. Demnach sind diese meist schwach
bis mäßig und klingen nach kurzer Zeit wieder ab.

Von durchaus erwartbaren Effekten wie etwa Kopfschmerzen müssen
schwerwiegende Komplikationen unterschieden werden, die den
Gesundheitszustand der Geimpften deutlich belasten und in der Regel
ärztlich behandelt werden müssen. Nach Angaben des Robert
Koch-Instituts (RKI) können bei den Corona-Präparaten genauso wie bei
allen anderen Impfstoffen «in sehr seltenen Fällen» zum Beispiel
allergische Reaktionen bis hin zum Schock (sogenannte Anaphylaxie)
nicht ausgeschlossen werden.

Eine US-Studie zu den beiden mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und
Moderna ergab jüngst, dass solche Anaphylaxien extrem selten
sind: Beim Biontech-Mittel traten im Schnitt knapp 5 Fälle bei 1
Million Impfungen auf, bei Moderna waren es etwa 2,5. Die Forscher
hatten rund 17,5 Millionen Impfungen ausgewertet. Menschen, die
allergisch auf die Inhaltsstoffe reagieren oder unter schweren
allergischen Reaktionen nach der ersten Dosis litten, sollten nach
Ansicht des für die Arzneimittelzulassung in Deutschland zuständigen
Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) nicht geimpft werden.

In Deutschland gab es bis zum 12. Februar knapp 4 Millionen
Corona-Impfungen, etwa 1,35 Millionen Menschen erhielten bereits
ihren zweiten Piks. In 1178 Fällen wurde über schwerwiegende
Reaktionen berichtet, schreibt das PEI in seinem Sicherheitsbericht
vom 18. Februar - also bei 0,03 Prozent der verabreichten Impfdosen
Die Betroffenen wurden teilweise im Krankenhaus behandelt. Eine
Meldung allein bedeutet aber nicht, dass es zwangsläufig einen
kausalen Zusammenhang zum Corona-Präparat gibt.

Zuletzt hatten sich Beschwerden über Impf-Reaktionen und
Krankschreibungen beim Mittel von Astrazeneca gehäuft. Doch auch hier
handelt es sich dem PEI zufolge um «bekannte und (...) vorübergehende
unerwünschte Reaktionen». Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab
jüngst an, dass unerwünschte Reaktionen durchaus gelegentlich zu
Arbeitsausfällen in den 24 bis 48 Stunden nach einer Impfung mit dem
Astrazeneca-Präparat führen können.

Zum Vergleich: Bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 variiert der
Krankheitsverlauf in Symptomatik und Schwere. «Es können symptomlose
Infektionen bis hin zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Tod
auftreten», heißt es vom RKI. Daten aus dem Meldesystem zeigten, dass
bisher etwa 10 Prozent der in Deutschland registrierten
Corona-Infizierten ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. 2,6
Prozent aller bestätigten Sars-CoV-2-Infizierten sind im Zusammenhang
mit Covid-19 gestorben - vor allem betroffen: Senioren über 80 Jahre.
Die tatsächliche Todesrate liegt wegen der Dunkelziffer nicht
erfasster Fälle niedriger, genaue Angaben dazu sind bisher nicht
möglich.

BEHAUPTUNG: Besonders nach der zweiten Impfung mit einem der beiden
mRNA-Mittel können stärkere Reaktionen spürbar sein.

BEWERTUNG: Richtig.

FAKTEN: Reaktionen auf eine Impfung lassen sich nicht völlig
ausschließen. «Eine starke Impfreaktion ist prinzipiell ein Zeichen
für die gewünschte Aktivierung des Immunsystems im Rahmen der
Schutzimpfung», heißt es zum Beispiel von der Klinik München, die
fünf Krankenhäuser in der bayerischen Landeshauptstadt betreibt.

Das RKI schreibt mit Blick auf die mRNA-Präparate von Moderna und
Biontech/Pfizer: «Die Impfreaktionen sind zumeist mild oder mäßig
ausgeprägt und treten etwas häufiger nach der zweiten Impfung auf.»

Dem Nürnberger Medizinprofessor Jörg Steinmann zufolge werden nach
dem ersten Piks für eine Immunantwort des Körpers die dafür
zuständigen T-Zellen aktiviert und schützende Antikörper gegen das
Spike-Protein des Erregers gebildet. Mit der zweiten Impfung werde
dann das Immunsystem für eine effektivere und länger anhaltende
Immunantwort angeregt, so der Ärztliche Leiter des Instituts für
Klinikhygiene, Medizinische Mikrobiologie und Klinische Infektiologie
am Klinikum Nürnberg.

Beim Mittel von Astrazeneca liegen der Ständigen Impfkommission
(Stiko) Informationen des Herstellers vor, nach denen Reaktionen
häufiger nach der ersten Dosis auftraten als nach der zweiten.

Bereits die Zulassungsstudien der drei Impfstoffe zeigten: Die
meisten Reaktionen sind, wenn sie auftreten, etwas seltener bei
älteren Geimpften zu beobachten als bei jüngeren. Das erkläre sich
dadurch, dass bei jüngeren Menschen das Immunsystem insgesamt stärker
sei und schneller arbeite, so die Klinik München. Eine Impfreaktion
sei eine bekannte und normale Nebenwirkung und kein neues Phänomen.

Dennoch wird sie in sozialen Medien oftmals völlig unzutreffend
aufgebauscht. Jüngst wies etwa das Universitätsklinikum Mannheim
Behauptungen zurück, auf seiner Kinderstation sei wegen massiver
Krankschreibungen beim Pflegepersonal nach den Corona-Impfungen «Land
unter». Die Krankenversorgung laufe vielmehr «ganz normal», so das
Krankenhaus. Auch die Klinik München trat der unbelegten These
entgegen, dort falle «reihenweise das Personal nach der Impfung» aus.

BEHAUPTUNG: Wegen der schnellen Entwicklung der Mittel ist nicht
absehbar, ob Jahre nach einer Impfung plötzlich Schäden auftreten.

BEWERTUNG: Das gilt als weitgehend ausgeschlossen.

FAKTEN: Das PEI verweist auf jahrelange Erfahrungen mit vielen
Impfstoffen. Den Forschern zufolge treten die meisten Nebenwirkungen
«kurze Zeit nach der Impfung» auf. Angesichts von Zehntausenden
Studienteilnehmern sei bei den Corona-Präparaten davon auszugehen,
«dass auch seltene Nebenwirkungen im Beobachtungszeitraum der
klinischen Prüfungen hätten erkannt werden können», schreibt das PE
I.

Das Wort «Langzeitfolgen» hat nichts damit zu tun, dass Jahre nach
einer Impfung plötzlich unerwartete und bis dahin unentdeckte
Nebenwirkungen auftreten können. Vielmehr bedeutet es, dass etwaige
Komplikationen so extrem selten sind, dass sie erst nach längerem mit
einer Impfung in Verbindung gebracht werden. «Bestimmte seltene oder
sehr seltene Nebenwirkungen treten möglicherweise erst auf, wenn
Millionen von Menschen geimpft werden», schreibt die EMA.

Beispiel «Pandemrix»: Vor rund zehn Jahren erkrankte nach einer
Impfung mit dem Mittel des Pharmaunternehmens GSK gegen die
Schweinegrippe ein Bruchteil der europaweit 30,8 Millionen Geimpften
an Narkolepsie. Eine US-Studie zeigte 2015, dass diese unheilbare
Schlaf-Wach-Störung bei weniger als einem von 10 000 Geimpften
registriert wurde.

Der Gutachterin für Impfstoffzulassung beim österreichischen
Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, Petra Falb, zufolge
trat die Narkolepsie damals jedoch im Schnitt innerhalb weniger
Wochen nach der Impfung auf, in Einzelfällen wenige Monate später.
Der österreichische Molekularbiologe Martin Moder verweist zudem auf
Studien, denen zufolge das Risiko, daran zu erkranken, auch bei
denjenigen stieg, die sich mit der Schweinegrippe ansteckten.

Kurzum: Wie bei allen anderen Arzneimitteln auch kann man extrem
seltene Komplikationen nicht vor einer Zulassung entdecken.

Deswegen muss nach EU-Recht die Sicherheit der Corona-Impfstoffe auch
während des Einsatzes weiter überwacht werden. PEI und EMA haben
dafür Meldeportale eingerichtet und bieten regelmäßige Überblicke
über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Komplikationen. «Dabei ist

jedoch zu beachten, dass unerwünschte Reaktionen im zeitlichen, nicht
aber unbedingt im ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung
gemeldet werden», heißt es etwa vom PEI.

BEHAUPTUNG: An der Corona-Impfung sind bereits Menschen gestorben.

BEWERTUNG: Nicht haltbar.

FAKTEN: Immer wieder wird in sozialen Medien ohne jegliche Belege der
Anschein erweckt, Menschen seien an einer Corona-Impfung gestorben.
Mal deklarieren Nutzer einen Feuerwehrmann in Bayern, der im Einsatz
an einem Herzinfarkt starb, zu einem Impftoten. Ein anderes Mal
sollen Senioren in Norwegen an der Corona-Impfung gestorben sein.
Bei bis Mitte Februar knapp vier Millionen verabreichten Impfdosen in
Deutschland wurden dem PEI 223 Todesfälle gemeldet, die zeitlich nach
einer Impfung eintraten. In keinem dieser Fälle wurde jedoch bislang
ein ursächlicher Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung nachgewiesen.

Die Menschen, die nach einer Impfung gestorben sind, waren
durchschnittlich 85 Jahre alt. Die Mehrheit von ihnen hatte
Vorerkrankungen. Sie seien an der Verschlechterung ihrer
Grunderkrankung oder an einer anderen Krankheit unabhängig von der
Impfung gestorben, schreibt das PEI in seinem aktuellen
Sicherheitsbericht. In einzelnen Fällen seien weitere Informationen
angefordert worden. Beim Vergleich zwischen gestorbenen Geimpften und
der allgemeinen Sterblichkeit derselben Altersgruppe beobachtete das
PEI, dass die Anzahl der Todesfälle nach einer Impfung die erwartete
Anzahl an Todesfällen in der entsprechenden Altersgruppe «nicht
übersteigt».

Das Institut betont: Das Risiko für einen schweren oder tödlichen
Verlauf einer Infektion mit Sars-CoV-2 nehme mit steigendem Alter
deutlich zu. Deshalb sei es wichtig, dass ältere Menschen «so gut wie
möglich vor einer Infektion geschützt sind». Wenn Menschen mit einem

erhöhten Sterberisiko geimpft würden, gebe es eine bestimmte Zahl von
Todesfällen nach der Impfung - die nicht ursächlich mit dieser
zusammenhingen.

Mit Blick auf Behauptungen, der Biontech-Impfstoff habe in Norwegen
zum Tod mehrerer Senioren geführt, kam die EMA zu dem Ergebnis: In
vielen Fällen seien (zahlreiche) Vorerkrankungen eine «plausible
Erklärung» für den Tod der Betroffenen. Die Analyse habe keine
Sicherheitsbedenken ergeben. Auch die zuständige Behörde in Norwegen
schreibt: «Dass einige Bewohner von Pflegeheimen nach der Impfung
sterben, bedeutet nicht, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt.»