Heftiger Streit über bundesweiten Tarifvertrag in der Altenpflege

Gerade in Corona-Zeiten sind sie für viele Helden: Altenpflegerinnen
und Altenpfleger. Aber es gibt viele Probleme in der Branche. Soll
ein Tarifvertrag für ganz Deutschland gelten?

Berlin (dpa) - Der Weg zu besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen in
der Altenpflege hat einen heftigen Streit zwischen Arbeitgebern und
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ausgelöst. Konkret geht es um
einen möglichen bundesweiten Tarifvertrag. Nach massiver Kritik der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) an Heil
reagierte der Minister am Donnerstag. Auf Twitter schrieb er:
«Arbeitgeberverbände, die Tarifverträge verhindern wollen und sonst
immer rufen, dass der Staat sich raushalten soll, finde ich putzig.»

Hintergrund ist, dass die Beschäftigten in der Altenpflege zum 1.
August flächendeckend einheitliche und in vielen Fällen höhere Löhn
e
erhalten sollen - das ist zumindest das Ziel eines Tarifabschlusses
der Gewerkschaft Verdi und der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in
der Pflegebranche (BVAP). Heil könnte einen Tarifvertrag Pflege auf
ganz Deutschland erstrecken, wenn ein Antrag vorgelegt wird und
Voraussetzungen erfüllt sind.

Derzeit beraten die arbeitsrechtlichen Kommissionen von Diakonie und
des Caritasverband darüber, ob sie sich dem Abschluss anschließen.
Diakonie und Caritas betreiben viele Pflegeheime. Hier sind jeweils
Dienstgeber und Dienstnehmer vertreten, was jenseits der Kirchen
Arbeitgebern und -nehmern entspricht.

Die privaten Pflegeanbieter stemmen sich gegen so einen Vertrag. Ihre
Arbeitgeberverbände sprechen dem relativ kleinen Verband, mit dem
Verdi verhandelte, ab, für die gesamte Branche zu sprechen.

BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter kritisierte am Donnerstag:
«Das sich ständig wiederholende Angebot des Bundesarbeitsministers an
die Akteure in der Pflege, er wolle ihnen helfen, Tarifverträge
gesetzlich abzusichern, gehört sich nicht.» In Deutschland gelte die
Tarifautonomie. Wenn nun Druck auf ein bestimmtes Ergebnis ausgeübt
und mit der gesetzlichen Absicherung gewunken werde, dann komme das
«Zwang und Nötigung» in der Tarifpolitik schon sehr nahe.

Heil schrieb daraufhin auf Twitter an die Adresse der BDA, der
Bundesregierung sei die Rechtslage bekannt. Die Arbeitgeber sollten
das vom Bundestag beschlossene Pflegelöhneverbesserungsgesetz kennen.
«Ich habe nur eine grundsätzliche Frage an Sie: Wollen Sie bessere
Löhne und Arbeitsbedingungen in der Altenpflege oder nicht?»

Kritik an der BDA kam auch von der SPD-Bundestagsfraktion.
Fraktionsvize Bärbel Bas sagte, die Gehälter in der Pflege seien zu
niedrig. «Dies liegt auch daran, dass sich viele Arbeitgeber in der
Pflege weigern, Tarifverträge abzuschließen.» Die stellvertretende
Fraktionsvorsitzende Katja Mast sagte, dass die BDA jetzt «quer
schieße», sei angesichts der Arbeitsbelastung in der Pflege
schlichtweg unanständig.

Die Gewerkschaft verdi kommentierte auf Twitter, die
Arbeitsbedingungen in der Pflege seien skandalös, weil die
Arbeitgeber ihren Profit maximieren wollten. «Gute Arbeit & faire
Löhne sind für verantwortungsvolle Sozialpartner selbstverständlich.
»
Verdi sei sind mit dem Tarifvertrag über Mindestbedingungen in der
Altenpflege bereit dafür.

Die Situation vieler Beschäftigter in der Altenpflege gilt seit
Jahren wegen Überlastung, Personalmangel, steigender Ansprüche und
fehlender Wertschätzung als angespannt. Nach dem Abschluss von Verdi
mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche sind
Steigerungen der Einkommen in vier Schritten geplant.

Eine Sprecherin des Caritasverbandes erklärte am Donnerstag, die
Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas werde nächste Woche über den
Antrag von BVAP und verdi auf die Allgemeinverbindlichkeitserklärung
ihres Tarifvertrags abstimmen. Der Deutsche Caritasverband habe sich
schon lange für gute Arbeitsbedingungen in der Pflege stark gemacht
und eigene Vorschläge für eine Pflegereform eingebracht. Weiter hieß

es, die pauschale Aussage «Pflegekräfte sind schlecht bezahlt» gelte

so nicht überall.

Der Präsident des bpa Arbeitgeberverbands, Rainer Brüderle, erklärte:

«Seit zehn Jahren beweisen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der
Pflegekommission, dass sie zu einer vernünftigen Zusammenarbeit
bereit sind und tragfähige Lösungen erarbeiten können. Warum jetzt im

Wesentlichen die Arbeiterwohlfahrt und Verdi ausscheren und mit
tatkräftiger Hilfe eines Teils der Politik versuchen, die Branche zu
spalten und das Erfolgsmodell Pflegekommission an die Wand zu fahren,
kann niemand mit guten Gründen erklären.» Der Weg der
Allgemeinverbindlichkeit führe in eine Sackgasse.

Der Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, Florian
Reuther, erklärte: «Gute Pflege ist natürlich ihr Geld wert. Dabei
hat sich bewährt, dass die Lohnfindung zwischen den Beteiligten in
den Regionen ausgehandelt wird. Deshalb sollte es keinen
bundeseinheitlichen Rundumschlag geben.» Das sei auch nicht nötig,
weil der Fachkräftemangel in der Pflege die Position der Arbeitnehmer
stärke. «Höhere Löhne in der Pflege führen unmittelbar zu höher
en
Kosten für die Pflegebedürftigen - oder sie bringen Zusatzlasten für

Beitragszahler und Steuerzahler in Milliardenhöhe.»