Kretschmann gerät mit Wirtschaftsleuten aneinander Von Nico Pointner, dpa

Kurz vor der Wahl setzt sich Ministerpräsident Kretschmann an einen
Tisch mit CDU-Wirtschaftsvertretern. Die drängen auf ein Ende des
Lockdowns. Da wird der Grünen-Politiker auch mal lauter.

Stuttgart (dpa/lsw) - Dass sein Auftritt beim baden-württembergischen
Landesverband des CDU-Wirtschaftsrats nicht unbedingt ein gemütlicher
Plausch werden würde, ahnte der Regierungschef wohl selbst. «Es ist
doch ein bisschen ungewöhnlich, wenn ein Grüner so kurz vor der Wahl
bei den Schwarzen auftritt», sagte Ministerpräsident Winfried
Kretschmann (Grüne) am Donnerstag zu Beginn der digitalen
Diskussionsveranstaltung. Aber Grüne und CDU hätten viel gemeinsam
für die Wirtschaft auf den Weg gebracht. Der Grüne und die schwarzen
Unternehmer begegneten sich zwar nur am Bildschirm, gerieten aber
ganz schön aneinander. Da ging es um Reizthemen wie die Zukunft des
Autos, das Verbot von Eigenheimen und - natürlich - Corona.

Der Wirtschaftsrat der CDU, das ist ein bundesweit organisierter
Berufsverband, der die Interessen von Unternehmern vertritt. Am
Montag erst war der neue CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet zu Gast
beim Landesverband aus Baden-Württemberg. Laschet sprach sich da
eindringlich gegen eine Bevormundung der Bürger in der
Corona-Pandemie aus und sagte, man könne nicht immer neue Grenzwerte
erfinden. Damit schlug er bundesweit hohe Wellen und erntete viel
Kritik - aber beim Wirtschaftsrat bekam er vor allem Applaus.

Denn vor allem der Einzelhandel lechzt nach monatelangem Lockdown
nach Öffnungsperspektiven. Diese Forderung stellten sie am Donnerstag
auch Kretschmann. Viele Unternehmer bangten um ihre Existenz, sagte
der Landesvorsitzende Joachim Rudolf. «Das zähe Hin und Her zwischen
Lockdown und Lockerungen raubt unsere Kräfte und wird zum Zankapfel
staatlicher Ebenen.»

Doch Kretschmann ist nicht Laschet - und reagierte unwirsch und
dünnhäutig. «Ich hör natürlich immer öffnen, öffnen, öffnen
», sagte
er. «Ich hör immer nur öffnen. Ich möchte mal einen erleben, der ma
l
sagt, jetzt machen Sie mal ein bisschen was schärfer. Das hör ich
nie!» Er müsse auch die Konsequenzen für die Pandemie
berücksichtigen. «Wir schließen die Geschäfte nicht, weil wir jetzt

autoritäre Gelüste haben.» Kretschmann äußerte Verständnis, das
s die
Belastung für den Handel enorm sei und die Stimmung im Keller. Eine
dritte Welle, die noch schlimmer sei als die zweite, könne nicht im
Interesse der Wirtschaft sein. «Dann machen wir einen richtigen
Lockdown - den gab es bisher ja gar nicht.» Hygienekonzepte
funktionierten nur bei niedrigen Inzidenzen. Bei einem diffusen
Infektionsgeschehen helfe es nur, Kontakte zu reduzieren.

Der überwältigende Teil der Wirtschaft sei von den Maßnahmen derzeit

gar nicht betroffen, sagte Kretschmann. Erst bei einer stabilen
Inzidenzlage von 35 - Baden-Württemberg könne das erste Land sein,
das diese Inzidenz erreiche - werde der Einzelhandel schrittweise
unter Vorgaben wieder geöffnet. Die Mutanten seien aber ein weiterer
Unsicherheitsfaktor. Da müsse man dann eventuell wieder zurückrudern.
«Am Ende geht es da um Leben und Tod.» Kretschmann appellierte an die
Unternehmer: «Ziehen sie mit, dass wir die Pandemie in Griff behalten
und sie uns nicht mehr aus dem Ruder läuft.»

«Wir werden nicht gehört», kritisierte Christoph Werner, der Chef der

Drogeriemarktkette dm. Er forderte Kretschmann auf, seine Ministerien
zu sensibilisieren, dass der Kontakt zu der Wirtschaft gesucht wird.
«Wir kommen nicht an die Menschen ran.» Nicht alle Optionen würden
derzeit beraten, gute Lösungen würden nicht erarbeitet.

Kretschmann verteidigte seinen Kurs - inklusive Ausgangssperre, die
das Verwaltungsgericht in Mannheim kassierte. «Die Entbehrungen
zahlen sich aus.» Die Gerichte legten eben andere Maßstäbe an, sagt
er. Baden-Württemberg habe nun eine der niedrigsten Inzidenzen unter
den Bundesländern.

Aber die Diskussion ist nicht nur beim Pandemie-Thema angespannt.
Kretschmann wies den Vorwurf zurück, Verkehrsminister Winfried
Hermann (Grüne) sei ein «Verkehrsbehinderungsminister». Kritische
Fragen haben die Unternehmer auch zur Debatte um die Grünen und
Einfamilienhäuser. «Zu behaupten, wir wollen Einfamilienhäuser
verbieten, ist einfach albern», sagte Kretschmann. Das entspreche
nicht den Fakten und sei auch eine völlig rückwärtsgewandte Debatte.

«Wir schreiben Gemeinden nicht vor, in welcher Weise sie Baugebiete
ausweisen.» Man sollte lieber Debatten darüber führen, wie Bauen
preiswerter gemacht werden könne. Hintergrund ist ein
«Spiegel»-Interview mit Fraktionschef Anton Hofreiter. Der politische
Gegner wirft deshalb den Grünen derzeit vor, Einfamilienhäuser
verbieten zu wollen. «Das hat er nun mal nicht gesagt», sagte
Kretschmann.

Kretschmann verteidigte auch seine Wirtschaftspolitik, sprach viel
von Dekarbonisierung und Digitalisierung, den beiden großen Treibern
des Wandels, und versprach den Wirtschaftsleuten, geistig offen zu
bleiben. Es brauche günstigeren Strom und schnellere
Genehmigungsverfahren etwa für Windparks. Auch bei der Mobilität
mache er keine Politik am Markt vorbei, sondern folge den Trends und
schaffe die infrastrukturellen Grundlagen. «Ich darf Sie beruhigen,
wir machen hier keine Ideologie.» Kretschmann versicherte, er werde
mit den Herstellern und den Zulieferern zu verhindern wissen, «dass
wir irgendwann in die Rücklichter von Tesla gucken». Und am Ende
schob er noch ein paar versöhnliche Sätze nach: Er habe die Betriebe
im Kopf, die Unternehmer könnten sicher sein, dass ihre Appelle bei
ihm ankämen.