Elendsprostitution auf Mallorca wegen Corona Von Emilio Rappold, dpa

Auf der spanischen Urlaubsinsel Mallorca hinterlässt Corona eine Spur
der wirtschaftlichen und sozialen Verwüstung. Alleinerziehende Mütter
rutschen in die Armut und gehen auf den Strich.

Palma (dpa) - Die Straßen von Palma de Mallorca sind wegen des
Corona-Lockdowns seit Wochen leer. Die Frauen, die an der Plaça Sant
Antoni auf und ab gehen, an den Hauswänden lehnen und rauchen oder
auf Klappstühlen sitzen oder sich in kleinen Gruppen unterhalten,
fallen umso mehr auf. Sie warten auf männliche Kundschaft. Und obwohl
diese im Zuge der Pandemie rar geworden ist, sind die Frauen auch bei
Regen und kühlen Temperaturen da. Medien und Hilfsorganisationen
klagen, dass die Corona-Krise auf der Urlaubsinsel viel Elend zutage
treten lasse und Elendsprostitution hervorbringe.

Es handelt sich demnach oft um alleinerziehende Mütter, die zum
ersten Mal oder nach langer Zeit wieder anschaffen gingen, weil sie
im Zuge der Pandemie ihre Arbeit als Kellnerin oder Putzfrau verloren
haben und verzweifelt seien. «Für viele ist die Rückkehr oder der
Eintritt in die Prostitution der einzige Weg, um ihre Familien zu
versorgen», erklären Inmaculada Mas Nadal und Rafa Campos von der
Organisation Ärzte der Welt der Deutschen Presse-Agentur.

Voriges Jahr habe man sich um 1168 Menschen gekümmert, die auf
Mallorca und den anderen Balearen-Inseln der Prostitution nachgingen,
die in Spanien in einem rechtlichen Graubereich stattfindet. Davon
seien 439 Menschen zum ersten Mal betreut worden. Dass es wegen der
Krise immer mehr «Neulinge» gibt, bestätigt auch Magdalena Alomar von

der gemeinnützigen Organisation Casal Petit.

«Neulinge» wie Leila. Die Marokkanerin erzählte der Regionalzeitung
«Última Hora», sie habe im Zuge der Krise ihren Job als Küchenhilfe

in einem Restaurant verloren. Sie sei neu im Metier. Ihrer Familie
verheimliche sie die neue Tätigkeit. «Ich muss meiner Mutter und
meinen Geschwistern Geld schicken. Wir sind arm.»

Viel Geld wird derzeit aber nicht eingenommen. Leila sprach mit der
Journalistin am letzten Sonntag im Januar. «Seit Freitag ist niemand
mehr gekommen.» Kein Wunder, dass der «komplette Dienst» hier im
Zentrum Palmas, unweit der Nobel-Einkaufsstraße Passeig del Born,
bereits für 15 Euro angeboten wird, wie Jaume Perelló von Casal Petit
erzählt. Laut «Última Hora» stehen sich die meisten Frauen jeden Ta
g
zwölf Stunden lang die Beine in den Bauch - und kommen trotzdem auf
Einnahmen von nur rund hundert Euro die Woche.

«Die Frauen erzählen uns, dass viele die Preise gesenkt haben und
auch Sex ohne Schutz akzeptieren, weil der Konkurrenzkampf so groß
ist», erzählen die Helfer von Ärzte der Welt. Die Kunden verhandelten

nun mehr. Dabei sind die Arbeitsbedingungen nicht nur wegen des Virus
viel gefährlicher als zuvor. Die Zuhälter übten in der Krise auch
viel mehr Druck auf die Frauen aus, heißt es.

An der Plaça Sant Antoni versichern die meisten Frauen gegenüber
Medien, dass sie keinen Zuhälter haben. Perelló weiß aber, dass das
nicht immer stimmt und dass einige bei den Schlepperbanden, die sie
nach Spanien gebracht haben, mit bis zu 7000 Euro in der Kreide
stehen. Deshalb müssten sie «jeden Preis akzeptieren». Körperliche

und psychologische Gewalt sei Alltag. Auch Catalina Bagur vom Roten
Kreuz auf Mallorca spricht von einer «extremen Notlage» der Frauen.

Betroffen sind die Schwächsten der Schwachen. Nach Angaben von Ärzte
der Welt haben zwei Drittel der von der Organisation betreuten
Prostituierten eine Familie zu versorgen. Und davon seien die
meisten, etwa 80 Prozent, alleinerziehende Mütter. Die meisten sind
Einwanderinnen aus Ländern wie Kolumbien, Rumänien und Marokko.

Aber es gibt auch Mallorquinerinnen, die vor der Pandemie zwar oft
einen Job etwa als Putzfrau, Kinder- oder Seniorenbetreuerin, aber
keinen Arbeitsvertrag hatten und daher leicht vor die Tür gesetzt
werden konnten. Sie haben kein Recht auf Kurzarbeits- oder
Arbeitslosengeld. Wie María, die dem Strich vor Jahren entkommen
konnte, ein Auskommen als Putzfrau hatte und nun mit 53 wieder auf
der Straße landete. «Ich hatte keine Alternative», sagt sie.

Nach einer Studie der Universität der Balearen hat sich die Zahl der
in extremer Armut lebenden Menschen in nur einem Jahr auf 34 000
verdoppelt. Die Tristesse ist in der Party-Hochburg enorm. Die Zahl
der Urlauber fiel 2020 um fast 90 Prozent, Touristen muss man derzeit
am Ballermann mit der Lupe suchen. Restaurants und Bars sind
mindestens bis Anfang März dicht. «Die langsame Rückkehr zur
Normalität wird erst in vielen Monaten beginnen», sagt der angesehene
Arzt Joan March der Zeitung «Última Hora».