Medizinethiker hält gezielte Corona-Infektionen für nicht vertretbar

London (dpa) - Der Medizinethiker Joerg Hasford hält die gezielte
Infizierung freiwilliger Probanden mit dem Coronavirus in moralischer
Hinsicht für nicht vertretbar. Bis heute kenne man keine Gruppe, bei
der es kein Risiko von tödlichen Verläufen oder beunruhigenden
Spätfolgen von Covid-19 gebe, schreibt Hasford, der dem Arbeitskreis
Medizinischer Ethik-Kommissionen angehört, in einem noch
unveröffentlichten Beitrag, der der dpa vorliegt. Zudem könne man
es Ärzten nicht zumuten, Menschen gezielt zu infizieren, ohne die
Folgen abschätzen zu können. Dies widerspreche auch dem Eid, den
diese bei Eintritt in ihren Beruf geleistet hätten.

Für ein besseres Verständnis des Coronavirus will Großbritannien
absichtlich Probanden mit dem Erreger infizieren. Es handele sich um
die weltweit erste solche «Human Challenge»-Studie zu Sars-CoV-2, wie
das Wirtschaftsministerium in London am Mittwoch mitteilte. Bis zu 90
Freiwillige zwischen 18 und 30 Jahren sollen in einer «sicheren und
kontrollierten Umgebung» dem Virus ausgesetzt werden. Das Projekt
soll in den kommenden Wochen starten.

Dieses Vorgehen bei der Erprobung von Impfstoffen hat den Vorteil,
dass die Wirksamkeit vergleichsweise effizient getestet werden kann.
Das übliche Verfahren sieht hingegen vor, Zehntausende zu impfen und
dann zu schauen, ob sich weniger Menschen auf natürliche Weise
infizieren als in einer ungeimpften Kontrollgruppe.

In Deutschland gilt die Durchführung von «Human Challenge»-Studien
als unwahrscheinlich. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen
(vfa) hatte solche Tests im Herbst als unethisch abgelehnt. Zudem
gebe es medizinische Vorbehalte: «Challenge-Studien zeigen vielleicht
ein verfälschtes Bild, da Erkenntnisse, die nur mit jungen, gesunden
Menschen gewonnen wurden, möglicherweise nicht auf Ältere und
chronisch Kranke übertragbar sind. Aber diese Personengruppen sind
durch Covid-19 am stärksten bedroht», betont der Verband auf seiner
Internetseite. Künstlich herbeigeführte Ansteckungen entsprächen
nicht den echten Infektionen im Alltag.