Spahn mahnt zu Vorsicht: Neuer Corona-Typ breitet sich schnell aus Von Sascha Meyer, Basil Wegener und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Angesichts sinkender Corona-Zahlen soll es mehr Kontakte und offene
Läden geben können - wenn der Trend nicht kippt. Doch frische Daten
bestätigen nun Befürchtungen. Kommen die Impfungen voran?

Berlin/Brüssel (dpa) - Neue ansteckendere Varianten des Coronavirus
breiten sich in Deutschland schnell aus - und könnten die Hoffnung
auf größere Lockerungen von Alltagsbeschränkungen dämpfen. Nach Dat
en
des Robert Koch-Instituts (RKI) stieg der Anteil des zuerst in
Großbritannien entdeckten Typs binnen zwei Wochen von knapp 6 auf
mehr als 22 Prozent. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte
am Mittwoch in Berlin: «Wir müssen mit Blick auf die Mutationen sehr
vorsichtig sein, wenn wir jetzt langsam den Lockdown verlassen.»
Zugleich trat er Zweifeln am Impfstoff von Astrazeneca entgegen.

Die Diskussion um weitere Öffnungsschritte ging auch beim politischen
Aschermittwoch weiter. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU)
sagte, wenn die Zahlen stabil blieben, könnten bald mehr Kontakte
erlaubt werden. Der Lockdown gilt vorerst bis 7. März. Grundschulen
und Kitas sowie Friseure sollen schon zuvor wieder öffnen. Weitere
Lockerungen sollen dann bei stabil 35 Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner in sieben Tagen möglich sein. Bundesweit sind es nun 57.
Die Spanne reicht von 44 in Baden-Württemberg bis 112 in Thüringen.

VORMARSCH DER MUTATIONEN: Sorgen vor neuen Virustypen gibt es schon
länger. Von Dänemark oder Italien ist eine rasante Ausbreitung der
britischen Variante B.1.1.7 bekannt - nun verdoppelt sich ihr Anteil
auch hierzulande jede Woche. Spahn: «Wir müssen damit rechnen, dass
die Variante bald auch bei uns die dominierende werden könnte.» Eine
zuerst in Südafrika aufgetretene Mutation hat nun einen Anteil von
1,5 Prozent. Dies ermittelte das RKI Spahn zufolge in einer
repräsentativen Stichprobe von 23 000 positiven Testergebnissen.

Der Minister dämpfte denn auch Erwartungen an rasche Lockerungen
anhand eines festen Plans. Es sei richtig, als erstes Kitas und
Schulen stärker zu öffnen. Die Wirkung auf die Virus-Verbreitung sei
aber abzuwarten. Alle zwei Wochen sei zu überprüfen, «wo wir stehen
».
Er rief dazu auf, weiter Abstand zu halten und Masken zu tragen. Das
Sinken der Infektionszahlen sei ermutigend». Aus Sicht des
Braunschweiger Infektionsforschers Michael Meyer-Hermann reichen aber
schon die jetzigen Einschränkungen nicht, das exponentielle Wachstum
der britischen Variante zu stoppen. Sie gilt als mindestens 35
Prozent ansteckender als das alte Virus.

FRAGEZEICHEN BEIM IMPFEN: Die Corona-Impfungen sollen mehr Tempo
aufnehmen. Um den Impfstoff von Astrazeneca ist aber eine Diskussion
aufgekommen - auch nach einzelnen Rückmeldungen, dass Impfberechtigte
Termine womöglich wegen Bedenken platzen ließen. Astrazeneca hat eine
geringere Wirksamkeit als die Mittel von Biontech/Pfizer und Moderna
- bezogen darauf, wie viele Geimpfte in Studien im Vergleich zu
Nicht-Geimpften erkranken. Spahn trat aber Zweifeln entgegen. Man
müsse aufpassen, dass man sich nicht «in etwas hineinrede» und eine
Impfung mit einem zugelassenen und wirksamen Stoff infragestelle.

Inzwischen sind fast 740 000 Astrazeneca-Dosen ausgeliefert -
verwendet wurden dem RKI zufolge aber erst 88 000. Dies laufe je nach
Bundesland unterschiedlich, erläuterte Spahn. Nicht alle hätten am
ersten Tag mit Impfungen begonnen. So hatte Brandenburg nach
RKI-Daten bis Dienstag noch keine einzige Dosis eingesetzt. In
Baden-Württemberg waren es 309, in Nordrhein-Westfalen aber 34 100.
Spahn versicherte, Impfstoff bleibe nicht liegen. «Wenn Leute, die
ihn angeboten bekommen, ihn nicht nehmen, werden wir ihn eben dem
nächsten anbieten.» Inzwischen sind Spahn zufolge 6,8 Millionen Dosen
da, bis Ende nächster Woche sollen es zehn Millionen sein.

EU WILL IN OFFENSIVE: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will
nach Kritik an ihrer Impfstoffstrategie für den Kampf gegen die neuen
Virus-Varianten mobil machen. Das Ziel: rasch angepasste Impfstoffe
in großen Mengen. «Neue Varianten des Virus entwickeln sich schnell,
aber wir müssen in unserer Reaktion noch schneller sein», sagte sie
in Brüssel. Dafür legte sie einen Plan vor, der an drei Stellen
ansetzt: Entdeckung der mutierten Viren, schnelle Entwicklung und
Zulassung von Impfstoffen und mehr Produktion in der EU.

So will die Kommission 75 Millionen Euro in die Entwicklung neuer
Tests und den Ausbau von Virustyp-Analysen (Sequenzierung) stecken,
die Varianten aufspüren können. Zur Erforschung der Varianten sollen
150 Millionen Euro hinzu kommen. Ein Netzwerk aus 16 EU-Staaten und
fünf weiteren Ländern soll klinische Tests beschleunigen, auch bei
Kindern und Jugendlichen. Zugleich orderte die Kommission nochmals
bis zu 300 Millionen Dosen des bereits zugelassenen Impfstoffs des
US-Herstellers Moderna.