Nur zweite Wahl? - Astrazeneca und das Imageproblem Von Gisela Gross, dpa

Drei Impfstoffe gegen Corona sind bisher in der EU zugelassen. Doch
eines der Präparate, das Mittel von Astrazeneca, ist zuletzt etwas in
Verruf geraten. Zu Recht?

Berlin (dpa) - Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazeneca: Drei Hersteller
haben mit ihren Covid-19-Impfstoffen die hohen Hürden für eine
Zulassung in Europa genommen, ihre Mittel werden zudem von der
Ständigen Impfkommission (Stiko) in Deutschland empfohlen. Trotzdem
herrscht zunehmend Verunsicherung, ja teils Misstrauen gegenüber dem
britisch-schwedischen Hersteller Astrazeneca. Der Tenor: Es sei ein
Impfstoff zweiter Klasse. Experten und Bundesgesundheitsminister Jens
Spahn (CDU) traten Zweifeln am Mittwoch klar entgegen.

Voraus ging eine Debatte um Nebenwirkungen, geplatzte Impftermine und
Sorgen um die Wirksamkeit, auch gegen eine Mutante.
Weltärztebund-Vorstandschef Frank Ulrich Montgomery hatte sich sogar
dagegen ausgesprochen, medizinisches Personal und Pflegekräfte mit
dem Astrazeneca-Mittel zu impfen und begründete das mit geringerer
Wirksamkeit. Er sprach von einem Imageproblem des Impfstoffs und
forderte eine Auswahlmöglichkeit, damit die Impfbereitschaft hoch
bleibe. Er zog damit Kritik auf sich, etwa von SPD-Politiker Karl
Lauterbach, der ankündigte, sich selbst mit Astrazeneca impfen zu
lassen.

Die Frage nach dem am besten für sich selbst geeigneten Impfstoff
muss man sich Fachleuten zufolge eigentlich nicht stellen. «Für die
Impfentscheidung ist es derzeit nicht relevant, welchen Impfstoff man
bekommt», sagte Stiko-Mitglied Christian Bogdan vom Uniklinikum
Erlangen der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch. «Jeder, der ein
Impfangebot wahrnimmt, erhält nicht nur einen zugelassenen Impfstoff,
sondern auch ein von der Stiko je nach Altersgruppe empfohlenes
Präparat.» Alle drei derzeit in Deutschland verfügbaren Impfstoffe
erfüllten die Kriterien der Wirksamkeit und Sicherheit.

Über Missverständnisse und Kommunikationsprobleme rund um Astrazeneca
sprach auch Christian Drosten von der Berliner Charité im Podcast
«Coronavirus-Update» (bei NDR-Info) vom Dienstagabend. Fazit:
Astrazeneca sei besser als sein Ruf. Der Virologe bekräftigte die
Bedeutung aller drei Impfstoffe für die Pandemiebekämpfung. «Wir
müssen alles dransetzen, jetzt so schnell wie möglich in der Breite
zu impfen», bilanzierte der Corona-Experte. «Die Impfstoffe, die wir
haben, die sind extrem gut gegenüber dem, was man erwarten konnte.»

Das Vektor-basierte Astrazeneca-Mittel ist in der EU ein wichtiger
Baustein in der Impfstrategie, da es vergleichsweise günstig ist und
weniger hohe Anforderungen an Transport und Lagerung stellt als die
mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna. Für den Weg hin zum
Impfen in Arztpraxen ist das entscheidend. Es geht um Millionen
Dosen, die bald in Deutschland zum Einsatz kommen sollen. Etwa für
jüngere Menschen mit relevanter Vorerkrankung und für bestimmte
Berufsgruppen mit erhöhtem Ansteckungsrisiko. Bisher verzeichnet das
Robert Koch-Institut mehr als 87 000 Erstimpfungen mit Astrazeneca,
bei Moderna sind es über 85 000, bei Biontech/Pfizer 2,8 Millionen.

Hinter dem Impfstoff AZD1222 steht neben dem britisch-schwedischen
Konzern auch die renommierte Universität Oxford. Drosten sieht in der
«halb-akademischen» Konstellation einen Grund für das teils
unglückliche Bild in der Öffentlichkeit. Daten, etwa aus Teilstudien,
seien schnell häppchenweise veröffentlicht worden, während große
Pharmakonzerne erst am Ende zusammenfassend publizierten.

Nach anfangs berichteten niedrigeren Werten seien in der
Astrazeneca-Studie inzwischen auch weitere Daten publiziert, die
klare Hinweise lieferten, dass die Wirksamkeit der Impfung bei einem
Impfabstand von 12 oder mehr Wochen zwischen den beiden Dosen auf
mehr als 80 Prozent steige, betonte Stiko-Experte Bogdan.
Biontech/Pfizer und Moderna kommen jeweils auf mehr als 90 Prozent.

Diese Werte nebeneinanderzulegen, kann aber trügen: «Die Impfstoffe
wurden nicht gegeneinander verglichen», erklärte Bogdan. «Wir müsse
n
sehen, dass sie in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen
Populationen getestet wurden.» Die bisherigen Studien erlaubten
demnach keine Aussagen darüber, ob es wirklich relevante klinische
Wirksamkeitsunterschiede zwischen den Präparaten gibt.

Ohnehin können Angaben zur Wirksamkeit leicht missverstanden werden.
Wenn etwa von 95 Prozent die Rede ist, bedeutet das nicht, dass 95
von 100 Geimpften durch Impfung geschützt sind. Die Zahl bezieht sich
schlicht auf etwas anderes. Ein Beispiel, dass das Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen auf Basis von
Studiendaten anführt: Während beim Biontech-Pfizer-Impfstoff fünf von

10 000 Geimpften erkrankten, waren es in der Gruppe, die ein Placebo
bekommen hatten, 93 von 10 000. Daraus errechnet sich eine
Wirksamkeit von 95 Prozent, denn unter den Geimpften treten 95
Prozent weniger Erkrankungen auf als unter den Ungeimpften.
Angenommen wird, dass alle drei Impfstoffe einen Großteil schwerer
und potenziell tödlicher Fälle verhindern.

Der Astrazeneca-Impfstoff wird in Deutschland bisher nur für Menschen
zwischen 18 und 64 empfohlen. Bogdan erklärt die Gründe: «Diese
vermeintlich unterschiedliche Wirksamkeit in Abhängigkeit vom Alter
ist der Tatsache geschuldet, dass in der Astrazeneca-Studie zu wenige
Probanden aus höheren Altersgruppen aufgenommen waren und in der
Kontrollgruppe zu wenig Covid-19-Fälle auftraten. Deshalb konnte die
Stiko zur Wirksamkeit bei Senioren keine Aussage treffen.»

Dann sind da noch die Nebenwirkungen, über die etwa Mitarbeiter von
Krankenhäusern mancherorts klagten: Für die Stiftung Patientenschutz
sind solche Fälle nicht neu. «Schon im Januar gab es Impfreaktionen
auf die Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna. Das haben
pflegerisch-medizinische Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen und
Krankenhäusern berichtet», sagte Vorstand Eugen Brysch. «Doch diese
Stimmen wurden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.»

Alle drei Impfstoffe führten zu «einer deutlichen, aber
nichtsdestotrotz normalen Impfreaktion», betont auch Bogdan. Die
Symptome seien Ausdruck der Immunantwort. Gerade bei jüngeren
Menschen fielen Impfreaktionen deutlicher aus, da sie im Gegensatz zu
Älteren das aktivere Immunsystem hätten. Der derzeitige Fokus auf
Astrazeneca-Nebenwirkungen kann also auch mit den jüngeren,
berufstätigen Impflingen zu tun haben. Deren Beschwerden werden eher
bekannt, wenn sie sich etwa krank melden. mRNA-Impfstoffe werden
derzeit vor allem Senioren verabreicht.

Drosten sprach auch Befürchtungen bezüglich einer geminderten
Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs gegen die südafrikanische
Variante an. Bei der noch nicht von anderen Fachleuten begutachteten
Studie, auf der die Annahme fußt, sieht er einige Einschränkungen.
Ohnehin beschrieb er für Deutschland die in Großbritannien entdeckte
Mutante als bedeutsamer. Diese bedeute aber laut einer Studie keinen
Nachteil für die Schutzwirkung des Astrazeneca-Impfstoffs, so der
Virologe.

Und während es in Deutschland um die Akzeptanz von Astrazeneca geht,
gibt es in Großbritannien auch den umgekehrten Fall: In britischen
Medien hatten Fälle für Aufsehen gesorgt, bei denen Menschen den
Impfstoff von Biontech/Pfizer (Deutschland/USA) zurückgewiesen
hatten, um «auf den englischen Impfstoff» zu warten. Dem
Hausärzteverband Royal College of General Practitioners zufolge
handelt es sich dabei jedoch nicht um ein Massenphänomen.