Nur noch kurz die Mails checken - Was Internetkonsum mit uns macht Von Anna Ringle und Tobias Schormann, dpa

Chatten, Serien schauen, Bankgeschäfte erledigen: Viele Deutsche sind
täglich stundenlang im Netz unterwegs. Eine Studie legt einen Finger
in die Wunde: Denn viele sagen, dass sie eigentlich gar nicht so viel
Zeit dafür verwenden wollen.

Hamburg (dpa) - «Noch 148 713 Mails checken» heißt es in einem
Popsong von Tim Bendzko. Das Leben der Deutschen spielt sich im
Internet ab. Also nicht nur, aber auch - und in Corona-Zeiten
besonders. Es gibt Familienfeste per Video-Konferenz oder
Spiele-Abende mit dem befreundeten Pärchen über eine Spieleplattform
statt am Esstisch. Nicht nur für den Job, sondern auch in der
Freizeit ist man im Netz: E-Mails, Soziale Netzwerke,
Streamingplattform, Musik, Shoppen, Rezepte, Artikel, Bankgeschäfte.
Tablet, Smartphone, PC.

Wie sehr das Digitale ins tägliche Leben integriert ist, zeigt auch
eine am Mittwoch von der Techniker Krankenkasse veröffentlichte
Studie. 83 Prozent der befragten Männer sind demnach zu privaten
Zwecken mehrmals täglich oder fast immer online. Bei den Frauen sind
es 69 Prozent. Vergleichszahlen zu früheren Studien der Krankenkasse
gibt es nicht, weil sie so erstmals konzipiert worden war.

In der Studie stehen Erwachsene zwischen 18 und 65 Jahren im
Mittelpunkt. Die telefonische Befragung im Oktober ist repräsentativ
für die gesamte Bevölkerung in Deutschland. Trotz der häufigen
Präsenz im Netz sagen insgesamt 87 Prozent aller Befragten auch, dass
sie versuchen, möglichst wenig Zeit im Internet zu verbringen.

Gefragt wurde auch nach dem Gesundheitszustand - und die
Studienmacher schreiben dazu: Eine lange private Nutzung des
Internets gehe einher mit einem schlechteren Gesundheitszustand. 21
Prozent der Vielsurfer, die also fünf Stunden oder länger pro Tag im
Netz sind, hätten einen weniger guten oder sogar schlechten
allgemeinen Gesundheitszustand.

«Dieser Anteil halbiert sich mit sinkender Nutzungsdauer auf bis zu
neun Prozent», heißt es. Unter den Vielsurfern sind im Vergleich zu
den anderen Nutzergruppen deutlich mehr, die unter Nervosität (38
Prozent) und depressiven Symptomen wie Stimmungsschwankungen (40
Prozent) leiden.

Die Pandemie spielt in der Umfrage auch eine Rolle: Die Corona-Krise
habe die Häufigkeit der Nutzung digitaler Medien bei vielen Menschen
nochmal verstärkt. 30 Prozent der Befragten gaben an, digitale
Kommunikationskanäle - wie zum Beispiel Messenger oder
Video-Konferenzen - privat häufiger zu nutzen als vor Ausbruch der
Pandemie.

Die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU) warnt vor den
Risiken übermäßiger Internetnutzung. Während des Lockdowns leistete
n
digitale Medien zwar wertvolle Unterstützung - ob Videokonferenz mit
den Kollegen, Homeschooling per Tablet oder digitale Meetings mit
Freunden und Verwandten. Das sei «alles richtig, alles wichtig»,
sagte Ludwig auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. «Wo es aber
brenzlig wird, ist, wenn es keine klare Trennlinie zwischen
sinnvoller und sinnloser Mediennutzung mehr gibt, quasi ein digitaler
Dauerzustand eintritt.»

Gerade bei Jugendlichen kann das zum Problem werden. Ludwig verweist
auf eine Studie von der Krankenkasse DAK und Forschern des
Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Demnach haben Kinder
und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 17 Jahren schon im ersten
Lockdown 2020 bis zu 75 Prozent mehr Zeit mit Gamen, Surfen und
Chatten verbracht. «Das ist bedenklich, weil viele von ihnen Probleme
bekommen, von Konsole und Co. wieder wegzukommen, oder sogar
schleichend in die Abhängigkeit geraten», warnt Ludwig. «Wir sprechen

von mittlerweile 700 000 betroffenen Kindern und Jugendlichen.»

Das Dauersurfen und Dauerdaddeln kann mitunter krankhafte Züge
annehmen und regelrecht süchtig machen. Video- und Onlinespielsucht
beispielsweise sind von der Weltgesundheitsorganisation als
Krankheiten anerkannt. Die Initiatoren der DAK-Studie zeigten sich im
vergangenen Jahr daher alarmiert und werteten die Zahlen als erste
Warnsignale dafür, dass sich die Computerspielsucht durch die
Corona-Pandemie ausweiten könnte.

Ein Problem, das sich durch den zweiten Lockdown und die jetzige
Verlängerung noch verschärfen dürfte. «Bereits jetzt können wir d
avon
ausgehen, dass die digitalen Medien noch mehr genutzt wurden als im
Jahr 2020», schätzt Ludwig. Sie appelliert daher an die Eltern:
«Gerade jetzt im Lockdown und auch in den kommenden Monaten ist es
immens wichtig, nicht nur vor den Bildschirmen zu kleben.»
Natürlich seien die Alternativen aktuell eingeschränkt. «Aber lesen,

basteln, in den Park gehen oder gemeinsam kochen lässt sich immer
umsetzen und macht ganz viel Spaß.»