Sehnsucht nach Öffnung - Wann verschwindet Corona aus dem Alltag? Von Basil Wegener, dpa

Der Frust über den Lockdown wächst - die Rufe nach Öffnung werden
lauter. Doch schnellen dann die Corona-Zahlen wieder nach oben? Ist
eine Rückkehr zu mehr Normalität überhaupt absehbar?

Berlin (dpa) - Karneval gestrichen, schärfere Grenzkontrollen und der
Osterurlaub auf der Kippe: Der Frust über die Einschränkungen in der
Corona-Krise wächst. Nun stellt sich CDU-Chef Armin Laschet an die
Spitze derer, die nicht immer nur Vorsicht walten lassen wollen -
sondern Freiheiten erlauben, wann immer es geht. Soll bald also mehr
geöffnet werden - oder sind Hoffnungen auf ein Abflauen der Pandemie
verfrüht? Ist eine Normalität wie vor Corona absehbar?

Noch ist ungewiss, ob ab dem 7. März wie geplant tatsächlich die
Geschäfte wieder öffnen können. Ob der angepeilte Inzidenzwert von
höchstens 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen
dann erreicht wird. Da wendet sich der CDU-Chef gegen eine
Bevormundung im Kampf gegen Corona: «Populär ist, glaube ich, immer
noch die Haltung: Alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln
wie unmündige Kinder», so Laschet. Es sind andere Töne, als man sie
von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Pandemie gewöhnt ist - und
Laschet will offenbar die Union damit hinter sich vereinen: «Wenn CDU
und CSU hier auch eng beieinanderbleiben, haben wir die Chance, die
Bürgerinnen und Bürger, die genau von Politikern diese Abwägung
erwarten, und nicht nur eine Antwort erwarten, die wieder auf unsere
Seite zu bringen», sagt er.

Bei der Wirtschaft rennt Laschet offene Türen ein. Sie trommelt seit
Tagen für eine Öffnungsstrategie - nach dem «Wirtschaftsgipfel»
versprach diese auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Sogar
Bayerns Trainer Hansi Flick verlangt von der Politik jetzt mehr
Engagement, «dass es irgendwann zu einer Normalität kommt».

Kein Jahr ist es her, dass viele mit bangem Gefühl die Ansprache
Merkels im Fernsehen hörten. Seit Kriegsende sei Solidarität nicht
mehr so gefragt gewesen, sagte sie im vergangenen März. «Diese
Situation ist ernst, und sie ist offen.» Längst scheint es vielen mit
dieser Art von Offenheit zu reichen - denn kein Ende ist in Sicht.

Merkel mahnt seither immer wieder zur Geduld. «Der vor uns liegende
Winter wird uns allen noch viel abverlangen», sagte sie schon im
November. Wegen der anrollenden Impfkampagne aber machte sie auch
Hoffnung. «Dann können wir Schritt für Schritt das Virus besiegen»,

meinte Merkel im Dezember. War es eine trügerische Hoffnung?

Mittlerweile sind rund drei Prozent der Menschen in Deutschland
geimpft. Und mittlerweile sollen fast alle Pflegeheimbewohner durch
den Piks geschützt sein. Sämtliche über-80-Jährigen sollen bis etwa

Ende März drankommen. Der Berliner Virologe Christian Drosten wies im
NDR-Podcast aber darauf hin, dass diese aber nicht die großen
Virus-Verbreiter seien. «Es könnte deswegen dementsprechend so sein,
dass wir von der Impfung bis Ostern noch keinerlei Effekt sehen», so
Drosten mit Blick auf die Virusverbreitung.

Die Über-60-Jährigen werden nach Berechnungen im Auftrag der
Regierung wohl erst bis Mitte/Ende Juni in weiteren Schritten geimpft
- erst danach die Jüngeren ohne Vorerkrankungen und zentralen
Berufen.

Was man noch nicht weiß: Wie stark sich die ansteckenderen
Virusmutationen ausbreiten. Neue Zahlen des Robert Koch-Instituts
sollen diese Woche kommen. Die Virologin Melanie Brinkmann stellte im
«Spiegel» bereits fest: «Wir kriegen niemals genügend Menschen
geimpft, bevor die Mutanten durchschlagen.» Verstärkt zu lockern
hieße: Eine massive Infektionswelle nach Ostern anschieben.

«Es hängt jetzt von uns und klugen Öffnungsschritten ab, ob wir ohne

eine groß ausgeprägte dritte Welle durch die Pandemie kommen - oder
ob wir zu unvorsichtig sind und dann doch vielleicht wieder steigende
Fallzahlen haben», mahnte Merkel Ende der Woche. Drostens Frankfurter
Kollegin Sandra Ciesek meint im NDR Podcast: «Wenn man jetzt lockern
und dem Virus den freien Lauf lassen würde, würde es sicherlich zu
einer dritten Welle kommen.»

Gehen die Infektionszahlen in den kommenden Tagen überhaupt zurück
wie erhofft? Laschet zeigt sich schon sicher: «Wir werden in Kürze
auch die 35 erreichen.» Ministerpräsidenten wie Michael Müller (SPD)

aus Berlin oder Reiner Haseloff (CDU) aus Sachsen-Anhalt stimmen die
Menschen hingegen schon auf Öffnungspläne beim nächsten
Bund-Länder-Treffen am 3. März ein. Der Braunschweiger Immunologe
Michael Meyer-Hermann hingegen meint, der 35-er Inzidenzwert werde
mit den derzeitigen Einschränkungen womöglich gar nicht erreicht.

Helfen soll nun, Infektionen früh zu erkennen - mit kostenlosen
Schnelltests ab 1. März in kommunalen Testzentren, Apotheken oder
Praxen. Und mit einem breiten Einsatz von Selbsttests für Laien.

So geht Deutschland Ostern und einer möglichen dritten Welle entgegen
- und dann? Vergangenes Jahr erlebten viele nach dem
Frühjahrs-Lockdown unbeschwerte Sommermonate. Virologen fürchten in
diesem Jahr aber Fluchtmutationen - Virus-Varianten, die der
Immunabwehr entgehen.

Bis Ende des Sommers, also 21. September, sollen alle in Deutschland
laut Merkel «ein Impfangebot» bekommen. Der Massenschutz könnte im
Herbst volle Wirkung entfalten. Doch dass der Einsatz von Masken
womöglich das ganze Jahr ratsam ist, brachte Drosten schon im
September ins Gespräch.

Denn die Pandemie dürfte weitergehen - auch noch im kommenden Jahr.
In den vielen Ländern, die sich kein entsprechendes Impftempo leisten
können, könnten sich immer weitere Varianten bilden. Auch für
Deutschland erwarten Experten weiter Mutanten, die Anpassungen von
Impfstoffen und Schutzmaßnahmen nötig machen. Die Mikrobiologin
Sharon Peacock, die in Großbritannien für die Suche nach den
Virusvarianten zuständig ist, meinte in einem BBC-Podcast, die
britische Mutation ziehe wohl durch die ganze Welt und mutiere dabei
womöglich weiter. Wenn das Virus seine Aggressivität verliert, müsse

man sich zwar keine großen Sorgen mehr machen. Doch selbst in zehn
Jahren werde man immer noch nach neuen Varianten suchen müssen.

Längst wird debattiert, ob die Menschen insgesamt weitermachen können
und sollen wie vor Corona. Zum Beispiel was das Reisen oder das
Einengen der Lebensräume virustragender Wildtiere anbetrifft. «Die
Menschen reden über eine Rückkehr zur Normalität, aber ich bezweifle,

dass das möglich sein wird», sagte der emeritierte Yale-Professor
Frank Snowden in der «Zeit». Merkel meinte schon im August: «Nicht
alles wird wieder so sein wie vor der Corona-Pandemie.»