Sehnsucht nach Öffnung - Wie schnell wird Corona zurückgedrängt? Von Basil Wegener, dpa

Der Frust über den Lockdown wächst, die Rufe nach Öffnung werden
lauter. Doch es gibt auch Warnungen vor möglichen drastischen Folgen.
Ist eine Rückkehr zu mehr Normalität absehbar?

Berlin (dpa) - Karneval gestrichen, schärfere Grenzkontrollen und der
Osterurlaub auf der Kippe: Der Frust über die staatlichen
Einschränkungen in der Corona-Krise wächst. Noch ist ungewiss, wie es
ab dem 7. März weitergeht, wenn zumindest die Geschäfte allmählich
wieder öffnen sollen. Forderungen nach konkreteren Perspektiven
werden lauter. Selbst der CDU-Chef wendet sich gegen eine
Bevormundung im Kampf gegen Corona: «Populär ist, glaube ich, immer
noch die Haltung: Alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln
wie unmündige Kinder», so Armin Laschet vor dem Unternehmerflügel der

CDU. Soll bald also mehr geöffnet werden - oder sind Hoffnungen auf
ein Abflauen der Pandemie verfrüht? Ist eine Normalität wie vor
Corona absehbar?

In der Wirtschaft knirscht es. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und
DGB-Chef Reiner Hoffmann verlangen von Bund und Ländern «kurzfristig
eine transparente und regelbasierte Öffnungsstrategie». Auch der
Hotel- und Gaststättenverband pocht auf «konkrete
Öffnungsperspektiven». Und sogar Bayerns Trainer Hansi Flick verlangt
von der Politik mehr Engagement, «dass es irgendwann zu einer
Normalität kommt». Flick hatte sich über Kritik an den Auslandsreisen

von Proficlubs trotz Pandemie geärgert, speziell vom
SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach.

Kein Jahr ist es her, dass viele mit bangem Gefühl die Ansprache von
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Fernsehen hörten. Seit
Kriegsende sei Solidarität nicht mehr so gefragt gewesen, sagte
Merkel im vergangenen März. «Diese Situation ist ernst, und sie ist
offen.» Längst scheint es vielen mit dieser Art von Offenheit zu
reichen, weil gefühlt noch immer kein Ende in Sicht kommt.

Merkel mahnt seither immer wieder zur Geduld. «Der vor uns liegende
Winter wird uns allen noch viel abverlangen», sagte sie schon im
November - wohl wissend, dass das Durchhaltevermögen vieler Bürger in
der dunklen und kalten Jahreszeit erst recht ans Limit kommt. Wegen
der anrollenden Impfkampagne aber machte sie auch Hoffnung. «Dann
können wir Schritt für Schritt das Virus besiegen», meinte Merkel im

Dezember. War es eine trügerische Hoffnung?

Mittlerweile sind rund drei Prozent der Menschen in Deutschland
geimpft. Und wohl noch in dieser Woche sollen alle Pflegeheimbewohner
durch den Piks geschützt sein. Sämtliche über-80-Jährigen sollen bi
s
etwa Ende März drankommen. Der Berliner Virologe Christian Drosten
wies im NDR-Podcast aber darauf hin, dass diese aber nicht die großen
Virus-Verbreiter seien. «Es könnte deswegen dementsprechend so sein,
dass wir von der Impfung bis Ostern noch keinerlei Effekt sehen», so
Drosten mit Blick auf die Virusverbreitung.

Die Über-60-Jährigen können nach Berechnungen im Auftrag der
Regierung wohl erst bis Mitte/Ende Juni in weiteren Schritten geimpft
werden - erst danach die Jüngeren ohne Vorerkrankungen und besonders
zentralen Berufen.

Was man noch nicht weiß: Wie stark sich die ansteckenderen
Virusmutationen ausbreiten. Neue Zahlen des Robert Koch-Instituts
sollen diese Woche kommen. Die Virologin Melanie Brinkmann stellte im
«Spiegel» bereits fest: «Wir kriegen niemals genügend Menschen
geimpft, bevor die Mutanten durchschlagen.» Bei verstärkten
Lockerungen fürchtet sie für die Zeit nach Ostern eine massive
Infektionswelle bei den Jüngeren.

«Es hängt jetzt von uns und klugen Öffnungsschritten ab, ob wir ohne

eine groß ausgeprägte dritte Welle durch die Pandemie kommen - oder
ob wir zu unvorsichtig sind und dann doch vielleicht wieder steigende
Fallzahlen haben», mahnte Merkel Ende der Woche. Drostens Frankfurter
Kollegin Sandra Ciesek meint im NDR Podcast: «Wenn man jetzt lockern
und dem Virus den freien Lauf lassen würde, würde es sicherlich zu
einer dritten Welle kommen.»

Zweifel zeigt Ciesek am Nutzen von Lockerungsstufen, die nur anhand
der Häufigkeit neuer Infektionsfälle bestimmt werden. Der
Braunschweiger Immunologe Michael Meyer-Hermann meint sogar, der
angepeilte Inzidenzwert von höchstens 35 Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner in sieben Tagen werde mit den derzeitigen Einschränkungen
womöglich gar nicht erreicht. Ministerpräsidenten wie Michael Müller

(SPD) aus Berlin oder Reiner Haseloff (CDU) aus Sachsen-Anhalt
stimmen die Menschen hingegen schon auf Öffnungspläne beim nächsten
Bund-Länder-Treffen am 3. März ein.

So geht Deutschland Ostern und einer möglichen dritten Welle entgegen
- und dann? Vieles ist offen. Vergangenes Jahr erlebte Deutschland
nach dem Frühjahrs-Lockdown recht unbeschwerte Sommermonate.
Virologen fürchten aber in diesem Jahr auch Fluchtmutationen -
Virus-Varianten, die der Immunabwehr entgehen.

Bis Ende des Sommers, also 21. September, sollen alle in Deutschland
laut Merkel «ein Impfangebot» bekommen. Der Massenschutz könnte im
Herbst volle Wirkung entfalten. Doch dass der Einsatz von Masken
womöglich das ganze Jahr ratsam ist, brachte Drosten schon im
September ins Gespräch.

Die Pandemie dürfte erstmal weitergehen - nach Expertenschätzungen
auch noch im kommenden Jahr. In den vielen Ländern, die sich kein
entsprechendes Impftempo leisten können, könnten sich immer weitere
Varianten bilden. Auch in Deutschland könnten weiter Mutanten im
Umlauf sein, die Anpassungen von Impfstoffen und Schutzmaßnahmen
nötig machen.

Die Mikrobiologin Sharon Peacock, die in Großbritannien für die Suche
nach den Virusvarianten zuständig ist, meinte in einem BBC-Podcst,
die britische Mutation ziehe wohl durch die ganze Welt und mutiere
dabei womöglich weiter. Wenn das Virus seine Aggressivität verliert,
müsse man sich zwar keine großen Sorgen mehr machen. Doch selbst in
zehn Jahren werde man immer noch nach neuen Varianten suchen müssen.

Längst wird debattiert, ob die Menschen insgesamt so weitermachen
können und sollen wie vor Corona. Zum Beispiel was das Reisen oder
das Einengen der Lebensräume virustragender Wildtiere anbetrifft.
«Die Menschen reden über eine Rückkehr zur Normalität, aber ich
bezweifle, dass das möglich sein wird», sagte der emeritierte
Yale-Professor Frank Snowden in der «Zeit». Merkel meinte schon im
August: «Nicht alles wird wieder so sein wie vor der
Corona-Pandemie.»