Ungewissheit über Mutante - Laschet: Nicht immer neue Grenzwerte

35 ist die neue magische Zahl. Unter diesem Grenzwert soll der
Lockdown schrittweise beendet werden. Aber ist die Zahl sinnvoll? Und
wird das Virus überhaupt so mitspielen, wie sich das Viele wünschen?

Berlin (dpa) - Der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet hat bei der
Ausrichtung der Corona-Politik vor einem zu einseitigen Fokus auf dem
sogenannten Inzidenzwert gewarnt. «Man kann nicht immer neue
Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder
stattfindet», sagte er. «Wir können unser ganzes Leben nicht nur an
Inzidenzwerten abmessen.» Man müsse all die anderen Schäden etwa fü
r
die Gesellschaft und die Wirtschaft genauso im Blick haben wie die
Inzidenzzahlen.

Die Länderregierungschefs und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten
zuletzt vereinbart, den Lockdown grundsätzlich bis zum 7. März zu
verlängern. Sollte die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz - also
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche - stabil unter 35
sinken, sollen die Beschränkungen von den Ländern schrittweise
gelockert werden - zunächst für Einzelhandel, Museen und Galerien
sowie Betriebe mit körpernahen Dienstleistungen.

Am Montagmorgen lag der Wert im bundesweiten Schnitt laut Robert
Koch-Institut bei 58,9. Der bisherige Höchststand war am 22. Dezember
mit 197,6 erreicht worden. Die meisten Bundesländer verzeichnen laut
RKI sinkende Sieben-Tage-Inzidenzen.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsbundestagsfraktion,
Karin Maag (CDU) riet, andere Parameter einzubeziehen als nur die
Inzidenz. «Das sind politische Größen», sagte sie der «Welt».
«Die
Leistungsfähigkeit der Gesundheitsämter und der Kliniken muss
miteinbezogen werden. Dazu gibt es Schnelltests. Mehr Technik muss
beim Thema Öffnen ebenso dazugedacht werden wie der höhere
Durchimpfungsgrad der älteren Menschen.»

Der Immunologe Michael Meyer-Hermann hält es für möglich, dass
ansteckendere Virusvarianten die angepeilte Inzidenz von 35
torpedieren. Sollte sich das Vorkommen der Mutante B.1.1.7
ungünstiger entwickeln als erwartet, könne es sein, dass die 35 mit
dem aktuellen Lockdown nicht zu erreichen sei, sagte der Leiter der
Abteilung System Immunologie am Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung in Braunschweig der Deutschen Presse-Agentur.
«Das macht deutlich, dass jede Form von Öffnungen zum jetzigen
Zeitpunkt ein hohes Risiko birgt, die gesetzten Ziele nicht erreichen
zu können.»

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken warnte in der Öffnungsdebatte vor zu
frühen Versprechungen. «Angesichts der noch immer unklaren Situation
hinsichtlich der Verbreitung und Auswirkung von Virusmutanten müssen
wir aber weiterhin auf Sicht fahren und dürfen keine Versprechen
abgeben, die wir nicht halten können», sagte Esken der Düsseldorfer
«Rheinischen Post» (Dienstag). Zugleich merkte sie an, ein bundesweit
abgestimmter und nachvollziehbarer Stufenplan müsse sich «strikt am
Infektionsgeschehen orientieren».

Für Linksfraktionschefs Dietmar Bartsch muss ein Stufenplan Zahlen
wie die Inzidenz, die Belegung der Intensivbetten und den
Reproduktionswert beinhalten, wie er dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland sagte. «Und diesen Stufenplan, der hoffentlich im
Kanzleramt für die Ministerpräsidentenkonferenz am 3. März erarbeitet

wird, den muss die Kanzlerin vorher im Bundestag vorstellen.»