Autowerke laufen trotz Grenzkontrollen stabil Von Jan Petermann, dpa

Die Autobranche sorgt sich wegen der Corona-Kontrollen an den Grenzen
zu Tschechien und Tirol um die pünktliche Belieferung ihrer Fabriken.
Bisher melden die Hersteller keine größeren Probleme. Es gibt aber
schon Staus - und die Lage könnte sich verschärfen.

Hannover/Dresden/München (dpa) - Nach der Unterbrechung
lebenswichtiger Lieferketten im ersten Corona-Lockdown 2020 richtet
sich die Autoindustrie auf mögliche neue Produktionsprobleme ein.
Bisher ist die Versorgung aber noch weitgehend stabil. Grund für
Befürchtungen, es könnte zu Störungen bis hin zu Komplettausfällen
in
den Werken kommen, sind die verschärften deutschen Einreiseregeln
gegenüber Tschechien und Tirol in Österreich. An den Grenzen gibt es
etwa Corona-Vorgaben für Lkw-Fahrer: Seit Sonntag wird kontrolliert,
ob ein negativer Virustest vorliegt und eine Region mit häufigem
Auftreten ansteckenderer Varianten des Erregers durchfahren wurde.

Der Autobranchen-Verband VDA hatte am Wochenende gewarnt, diese
Maßnahmen dürften den Lieferverkehr für die deutschen Fabriken
erheblich ausbremsen, vor allem in Bayern und Sachsen. Möglicherweise
könnte die Produktion schon ab Montagmittag größtenteils zum Erliegen

kommen. Ganz so dramatisch war es nun - vorerst jedenfalls - nicht.
Die Unternehmen müssen die Situation jedoch genau im Blick behalten.

In Tschechien, der Slowakei und Ungarn sitzen wichtige Zulieferer,
deren Teile im Rahmen eng getakteter Pläne stets möglichst pünktlich

(«just-in-time») eintreffen müssen. Und auch aus Norditalien kommen
zahlreiche Lieferungen von Auto- oder Maschinen-Komponenten, die über
den Brenner-Pass und anschließend durch das Bundesland Tirol
normalerweise reibungslos ihren Weg in die Bundesrepublik finden.

Europas größter Autokonzern Volkswagen erklärte, allzu bedrohlich
stelle sich die Lage zum Wochenbeginn nicht dar: «Noch gibt es keine
größeren Einschränkungen. Stand heute laufen alle Standorte, auch die

in Sachsen.» Man müsse allerdings aufpassen: «Wir beobachten das
natürlich weiter.» Ähnlich äußerten sich die bayerische Tochter A
udi
sowie BMW, Daimler und weitere Firmen. Unabhängig von der Frage der
Corona-Tests für Lkw-Fahrer könnten die Staus an sich möglicherweise

längere Verzögerungen bringen. Man stehe daher mit den Lieferanten in
Kontakt, so VW. «Wir müssen jetzt von Tag zu Tag weiterschauen.»

In der deutschen Kernbranche und angeschlossenen Wirtschaftszweigen
ist nach den Erfahrungen des vergangenen Frühjahres Vorsicht geboten.
Damals hatten mehrere EU-Staaten entgegen den Binnenmarkt-Regeln die
Grenzen angesichts steigender Infektionen dichtgemacht. Zwar berief
man sich auf einen Notfall und höhere Gewalt - doch wegen fehlender
Absprachen kam es zu Chaos in der Abfertigung und überlangen Staus.
Lieferketten wurden zerrissen. Neben dem Nachfragerückgang der Kunden
war dies der Hauptgrund dafür, dass viele Autohersteller und
-zulieferer wochenlang Werke schlossen und Kurzarbeit einführten.

Ziel der neuen Grenzkontrollen ist es, das Einschleppen mutierter,
infektiöserer Coronaviren einzudämmen. Sowohl in Tschechien als auch
in Tirol sind diese Varianten derzeit deutlich stärker verbreitet als
in Deutschland. Deshalb dürfen aus betroffenen Gebieten - mit wenigen
Ausnahmen - jetzt nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und
Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. An der Autobahn
zwischen Prag und Dresden bildeten sich am Montag schon lange Staus.

Bei den Autobauern sah man die Entwicklung bis auf Weiteres recht
gelassen. «Unsere Werke sind derzeit versorgt und produzieren
planmäßig», hieß es auch bei BMW. «Erste Lieferungen konnten bere
its
die Grenzen passieren und sind ohne größere Verzögerungen
angekommen.» Es gebe überdies «einige Pendler, die von den
Grenzkontrollen betroffen sind». Deren Zahl sei aber relativ gering.
Bei Audi sagte ein Sprecher: «Wir produzieren aktuell ohne
Einschränkungen, beobachten die Lage und die weitere Entwicklung.»

Eine Daimler-Sprecherin erklärte, es laufe alles planmäßig - am
Sonntag hatte es geheißen, von Werksschließungen könne keine Rede
sein. Auch Opel waren zunächst keine Probleme bekannt. Ford sowie der
Lichttechnik- und Elektronikhersteller Hella erklärten mit Blick auf
die tschechischen Zulieferer, es gebe bis dato keine Einschränkungen.
Zumindest waren diese laut Hella noch «im beherrschbaren Rahmen».

Der VDA forderte ein «intelligentes Grenzmanagement, damit die
Lkw-Fahrer mit negativen Tests schnell durchkommen». Der
Transportverkehr müsse eigene Kontrollstellen ansteuern dürfen,
Corona-Testkapazitäten an den Übergängen sollten ausgebaut werden. Es

müsse außerdem mehr Schnelltests für einreisende Brummifahrer geben.


Grundsätzlich ist das Thema vor allem für Werke in Südostdeutschland

brisant. VW produziert außerhalb der norddeutschen Heimatstandorte in
Sachsen (Zwickau, Chemnitz, Dresden). Die Tochter Porsche ist auch in
Leipzig ansässig - ebenso wie BMW, neben seinen bayerischen Fabriken
München, Dingolfing und Regensburg. Im sächsischen Kamenz ist zudem
Daimler vertreten, Audi mit dem Hauptsitz Ingolstadt in Bayern sowie
dem Werk Neckarsulm nicht weit entfernt in Baden-Württemberg.

Die Autohersteller müssen sich bereits seit Wochen mit empfindlichen
Lieferengpässen bei wichtigen Bauteilen auseinandersetzen. So fehlen
vielerorts Halbleiter, die in Mikrochips, LED-Technik und weiteren
Elektronik-Komponenten stecken. Die Halbleiter-Produzenten hatten im
Auto-Absatztief auf andere Abnehmer aus IT, Unterhaltungselektronik
oder Medizintechnik umgeschwenkt. Bei VW rechnet man damit, dass wohl
erst in der zweiten Jahreshälfte alle nötigen Mengen verfügbar sind.