Experte: Kretschmanns Kürzertreten kein Nachteil im Wahlkampf

Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann tritt im Wahlkampf
auf die Bremse, um sich um seine kranke Frau zu kümmern. Wie wird
sich das auf sein Abschneiden bei der Landtagswahl auswirken?

Stuttgart (dpa/lsw) - Der Rückzug von Baden-Württembergs
Ministerpräsident Winfried Kretschmann aus einem Teil des laufenden
Wahlkampfs mindert aus Sicht des Kommunikationswissenschaftlers Frank
Brettschneider nicht seine Wahlchancen. «Er ist bekannt aufgrund
seiner langjähriger Tätigkeit, muss sich nicht mehr bekannt machen
und hat angekündigt, seine Regierungsgeschäfte weiterzuführen», sag
te
Brettschneider am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.
«Er ist nicht weg vom Fenster, sondern weiter präsent. Das ist für
ihn erstmal kein Nachteil.» Kretschmann werde die Regierungsgeschäfte
weiterführen und deshalb auch in den Medien präsent sein.

Mitleid spiele im Wahlkampf für den Wähler zudem nicht wirklich eine
Rolle, sagte Brettschneider. Bei der Bewertung von Spitzenkandidaten
seien vielmehr Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit und Führungsqualitäten

von Bedeutung. Die persönliche Ebene sei vergleichsweise unwichtig.
«Darüber redet man bei Grillabend, aber wenn man das Kreuz macht, ist
das nicht mehr ausschlaggebend.» Problematisch werde es nur, wenn man
den Eindruck erwecke, sich moralisch unangemessen zu verhalten oder
den Amtsgeschäften nicht mehr nachzukommen. Danach sehe es aber in
Kretschmanns Fall nicht aus.

Kretschmann zieht sich wegen einer Brustkrebserkrankung seiner Frau
teilweise aus dem laufenden Wahlkampf für die Landtagswahl zurück.
Der 72 Jahre alte Grünen-Politiker bleibe aber Spitzenkandidat seiner
Partei für die Wahl am 14. März, hatte ein Regierungssprecher am
Freitag gesagt. Auch seine Regierungsgeschäfte werde er weiterführen.
«Meine Frau Gerlinde ist an Brustkrebs erkrankt», begründete
Kretschmann in einer persönlichen Erklärung seinen Schritt. «Es geht

ihr den Umständen entsprechend, aber es kommen nun schwere Zeiten auf
sie zu. Ich will für sie da sein, so gut es geht.» Termine im
Wahlkampf werde er nicht immer wahrnehmen können. «Ich brauche diese
Zeit, um meiner Frau beizustehen», schrieb der Regierungschef.

Gerlinde Kretschmann ist 73 Jahre alt, die beiden haben drei Kinder.
Die «First Lady» war Grundschullehrerin und Gemeinderätin für die
Grünen in Sigmaringen auf der Schwäbischen Alb, wo die Kretschmanns
auch wohnen. Kretschmann ist seit 2011 Ministerpräsident von
Baden-Württemberg. Er ist der erste von den Grünen gestellte
Regierungschef eines deutschen Bundeslandes. Bei der Wahl wird
Kretschmann von CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann
herausgefordert. In jüngsten Umfragen führen die Grünen vor der CDU.


Wegen der Corona-Pandemie läuft der Landtagswahlkampf sowieso kaum in
Präsenz, die meisten Veranstaltungen sind im Internet. Es könne sein,
dass die Kritik des politischen Gegners an Kretschmann im Wahlkampf
nun noch zurückhaltender ausfalle, sagte Brettschneider. Aber bislang
habe es auch kaum persönliche Angriffe auf Kretschmann gegeben.
«Negatives Campaigning gab es ja ohnehin nicht.»

«Er ist von sich aus an die Öffentlichkeit gegangen. Ich gehe daher
davon aus, er hat sich vorher sehr genau überlegt, was das für seine
politische Arbeit bedeutet», sagt der Freiburger
Politikwissenschaftler Ulrich Eith. Er schließe daraus, dass
Kretschmann diese Situation mit seiner Kandidatur für vereinbar halte
und er auch bereit sei, sein Amt im Falle eines Wahlsiegs weiter
auszuführen - «trotz der Belastungen und Sorgen, die die Krankheit
mit sich bringt.»