Grenzkontrollen: Lockerungen für Pendler und Kritik aus Wirtschaft

Aus Angst vor ansteckenderen Corona-Varianten sind die Grenzen zu
Tschechien und Tirol seit Sonntag für viele dicht. Doch nicht so, wie
erst gedacht: Bestimmte Berufspendler dürfen nun doch einreisen.
Trotzdem könnten am Montag Werke stillstehen.

Schirnding/München (dpa) - Die schärferen Einreiseregelungen an den
Grenzen zu Tschechien und Österreich sind wenige Stunden nach
Inkrafttreten am Sonntag bereits gelockert worden. Berufspendler mit
wichtigen Aufgaben in systemrelevanten Branchen dürften nun doch nach
Deutschland einreisen, teilten Bund und Freistaat am Sonntag mit.
«Wir gehen pragmatisch vor, wo immer das möglich ist», betonte
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Die Autoindustrie fürchtet
trotzdem, dass am Montag einige Werke stillstehen könnten.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wies am Sonntag bei einem Besuch
in Schirnding an der tschechischen Grenze Kritik an den Maßnahmen
zurück. Die Kontrollen bedeuteten nicht das Ende des freien Europas,
wie manche sagten. «Was für ein Unsinn.» Er sei überzeugt, dass es

Europa stärke, wenn es gelinge, eine neue Corona-Welle zu verhindern.
Momentan sei unklar, wie in Tschechien das Corona-Management
weitergehe, sagte Söder. «Ich darf ausdrücklich sagen: Wir sind
befreundet. Wir helfen, wir nehmen auch tschechische Patienten gerne
auf. Aber wenn es jenseits der Grenze überhaupt keine Maßnahmen mehr
geben sollte, dann bedeutet das eine erhebliche Gefährdung.»

Ziel der Grenzkontrollen ist, das Einschleppen von ansteckenderen
Varianten des Coronavirus über die Grenze einzudämmen. Sowohl in
Tschechien als auch im österreichischen Bundesland Tirol sind diese
Varianten deutlich stärker verbreitet als in Deutschland. Deshalb
dürfen aus den betroffenen Gebieten derzeit nur noch Deutsche sowie
Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland
einreisen. Ausnahmen gab es zunächst für Ärzte, Kranken- und
Altenpfleger, Lkw-Fahrer und landwirtschaftliche Saisonkräfte.

Künftig sollen nun auch Berufspendler einreisen dürfen, die gebraucht
werden, um die Funktionsfähigkeit ihrer Betriebe in systemrelevanten
Branchen aufrecht zu erhalten. Sie müssen dafür bis einschließlich
Dienstag ihren Arbeitsvertrag dabei haben. Danach sollen die Länder
Bayern und Sachsen Betriebe als systemrelevant definiert und
individuelle Bescheinigungen ausgestellt haben, die an der Grenze
vorgezeigt werden sollen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nannte in Schirnding
etwa Elektrizitäts- und Wasserwerke oder die Lebensmittelproduktion
als mögliche Ausnahmebranchen. Voraussetzung für die Einreise der
Mitarbeiter ist aber weiter ein maximal 48 Stunden alter negativer
Test, zudem müssen sie sich digital vor der Einreise anmelden.

Viele Betriebe hatten gefürchtet, am Montag nicht wie gewöhnlich
produzieren zu können. Denn allein in Bayern arbeiten nach den
aktuellsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) 22 000 Tschechen
und 9600 Österreicher, viele davon im verarbeitenden Gewerbe.

Die Kontrollen hatten in der Nacht zum Sonntag bei frostigen
Temperaturen von mancherorts bis zu 20 Grad unter Null begonnen. Laut
Bundespolizei gab es weder Staus noch längere Wartezeiten. «An einem
Wochentag, wenn Pendler versuchen einzureisen, wird die Lage
sicherlich anders aussehen», sagte ein Sprecher der Grenzpolizei
Passau. Der Sprecher der Bundespolizei-Inspektion Rosenheim, Rainer
Scharf, sagte in Kiefersfelden an der Grenze zu Tirol: «Wir schauen
tatsächlich in jedes Fahrzeug hinein und sprechen die Fahrer an.»

In den ersten zwölf Stunden wurden so mehr als 500 von insgesamt 1700
kontrollierten Einreisewilligen an den Grenzen zurückgeschickt, wie
der Präsident der Bundespolizeidirektion München, Karl-Heinz Blümel,

bilanzierte.

Die Autoindustrie sieht trotz der Erleichterungen Probleme - vor
allem, weil auch Lkw-Fahrer einen aktuellen Coronatest vorlegen
müssen. «Diese neue Testpflicht für LKW-Fahrer ist so kurzfristig
gar nicht umzusetzen», erklärte der Branchenverband VDA. Weil die
Maßnahmen so kurzfristig gekommen wären, hätten die Werke sich keine

Zulieferkomponenten auf Vorrat legen können. Die Automobilproduktion
werde ab Montagmittag deshalb größtenteils zum Erliegen kommen,
erklärte ein Sprecher. «Die Werke in Ingolstadt, Regensburg,
Dingolfing, Zwickau und Leipzig sind als erste betroffen.»

Tirol kündigte an, schon ab Sonntag den Lastwagenverkehr aus Italien
vorab zu kontrollieren und zu drosseln, um einen extremen Rückstau zu
verhindern. Der slowakische Außenminister Ivan Korcok intervenierte
bei Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Laut slowakischem
Außenministerium ging es dabei um die Testpflicht für Lkw-Fahrer.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides kritisierte die deutschen
Einreiseregeln ebenfalls. «Die Furcht vor den Mutationen des
Coronavirus ist verständlich. Aber trotzdem gilt die Wahrheit, dass
sich das Virus nicht von geschlossenen Grenzen aufhalten lässt»,
sagte die Politikerin aus Zypern der «Augsburger Allgemeinen».

Nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) werden sich die
mutierten Viren auch in Deutschland nach und nach ausbreiten, dies
soll aber verlangsamt werden. Seit wenigen Wochen sinken die
Infektionszahlen hierzulande. So ging der Wert der binnen sieben
Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner
(Sieben-Tage-Inzidenz) laut RKI bayernweit auf 55,6 zurück. In
Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg lag die Inzidenz unter 50.