Sorge vor Virus-Mutanten: Deutschland schottet sich ab Von Sabine Dobel und Theresa Münch, dpa

In Deutschland sinken die Corona-Fallzahlen weiter. Doch jenseits der
Grenzen gibt es neue Gefahren: Ansteckendere und teils gefährlichere
Mutationen des Virus. Nun hat Deutschland im Südosten für die meisten
Reisenden dicht gemacht - aber es gibt Ausnahmen.

München/Berlin (dpa) - Deutschland hat nach der Ausbreitung neuer
Virusvarianten im Ausland die Regeln für die Einreise an den Grenzen
im Südosten verschärft. Beamte der Bundespolizei und der bayerischen
Grenzpolizei kontrollieren seit Sonntag an der Grenze zu Tschechien
und Tirol den Verkehr - und schicken Einreisende zurück, wenn sie
nicht unter Ausnahmeregelungen fallen. Doch es dürfen mehr Pendler
über die Grenzen kommen, als man im Bund zunächst wollte.

Warum wurden die Einreiseregeln verschärft?

In Tschechien und Tirol breiten sich Varianten des Coronavirus aus.
In Tirol gibt es verstärkt Fälle der südafrikanischen Mutante
B.1.351, in Tschechien ist es die britische B.1.1.7. Beide Formen
gelten als ansteckender. Die Südafrika-Variante ist nach bisherigem
Wissen auch tödlicher - und manche Impfstoffe wirken vermutlich
weniger gut. Auch wer schon Corona hatte, könne sich wahrscheinlich
erneut anstecken, warnen Mediziner. Bayerns Ministerpräsident Markus
Söder meint: Man sei befreundet und helfe auch gerne mit der Aufnahme
von tschechischen Patienten. «Aber wenn es jenseits der Grenze
überhaupt keine Maßnahmen mehr geben sollte, dann bedeutet das eine
erhebliche Gefährdung.» In Tschechien liegt die Inzidenz teils bei
mehr als 1100.

Wer darf nun noch aus Tschechien und Tirol einreisen?

Deutsche Staatsangehörige mit Ehepartnern und minderjährigen Kindern
werden grundsätzlich durchgelassen, ebenso alle, die ihren Wohnsitz
in Deutschland haben. Weitere Ausnahmen gibt es für Lkw-Fahrer,
Ärzte, Kranken- und Altenpfleger sowie landwirtschaftliche
Saisonarbeitskräfte - denn sie werden in Deutschland dringend zur
Versorgung der Bevölkerung gebraucht. Auch wer zur Beerdigung eines
Angehörigen will, darf einreisen. Für dringende medizinische
Behandlungen darf man mit ärztlichem Attest noch über die Grenze. Für

alle Einreisenden gilt ausnahmslos: Sie müssen einen negativen
Corona-Test vorweisen und sich vorab digital anmelden.

Wie sieht es mit den Pendlern aus?

Das wurde heiß diskutiert. Zuerst waren strikte Verbote geplant, doch
es gab Kritik aus der Wirtschaft, von der EU und den Nachbarländern.
Die EU-Kommission forderte Deutschland auf, Ausnahmen etwa für
Pendler und unverzichtbare Reisen zu gewähren. Dann verkündeten
Bayern und der Bund eine Lockerung: Berufspendler aus
systemrelevanten Bereichen sollen weiter einreisen können, wenn sie
für ihren Betrieb besonders wichtig sind. Die örtlichen Behörden
sollen klären, für welche Berufsgruppen das gilt. Laut Bayerns
Innenminister Joachim Herrmann geht es etwa um Mitarbeiter in Wasser-
und Elektrizitätswerken oder in der Lebensmittelproduktion. Auch ein
Glaswerk in Mitterteich, das Glas für die Pharmaindustrie herstelle,
gehöre dazu.

Welche Auswirkungen könnten die Regeln auf die Industrie haben?

Vor allem die Autoindustrie sieht erhebliche Schwierigkeiten - und
warnt sogar schon vor Werksschließungen. «Die Werke in Ingolstadt,
Regensburg, Dingolfing, Zwickau und Leipzig sind als erste
betroffen», hieß es beim Branchenverband VDA. Das größte Problem:
Auch Lkw-Fahrer müssen aktuelle Coronatests vorweisen. An den
Autobahnen und Grenzen gebe es aber keine ausreichenden
Testmöglichkeiten. Außerdem müsse man durch die Kontrollen mit
Wartezeiten und zeitlichen Verzögerungen rechnen. In der
Autoindustrie, die «just-in-time», also quasi direkt vom Laster aufs
Band beliefert wird, ist das ein Problem. Große Lagerbestände gibt es
nicht. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer kritisierte: «Die
Bundesregierung und Bayern provozieren mit den Grenzkontrollen
Lieferengpässe und Werksschliessungen.» Für Lkw-Fahrer müssten
Selbsttests zugelassen werden.

Wie lange gilt das alles?

Die verschärften Einreiseregeln sind laut Innenministerium zunächst
auf zehn Tage befristet, gelten also bis zum 23. Februar. Sie können
allerdings dann noch auf maximal drei Monate verlängert werden.

Kommen die neuen Regeln noch rechtzeitig?

Vor einem Jahr bei der ersten Welle kamen die Grenzschließungen in
Europa einer im Fachmagazin «PNAS» veröffentlichen Studie zufolge zu

spät, um das Coronavirus nachhaltig aufzuhalten. Experten zufolge
werden sich die mutierten Viren auch in Deutschland ausbreiten, man
versucht das nur zur verlangsamen. In Bayern sind Virusvarianten
schon jetzt stärker verbreitet als im Bundesschnitt. Bei weit über
zehn Prozent der Infizierten in Bayern wurden sie festgestellt, mehr
als doppelt so viel wie insgesamt in Deutschland, wie der Münchner
Infektiologe Clemens Wendtner sagte. Vor allem Ostbayern ist
betroffen. Die britische Variante hat bei Einpendlern aus Tschechien
die Oberhand; laut Wendtner hat sie etwa in den Regionen
Tirschenreuth und Hof einen Anteil von mehr als 40 Prozent der
positiven Fälle.

Drohen auch an anderen Grenzen schärferen Einreise-Regeln?

Auszuschließen sei das nicht, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn
(CDU). Die Bundesregierung gehe aber mit Blick auf den wichtigen
Austausch in Grenzregionen «sehr zurückhaltend und abwägend» mit
solchen Maßnahmen um. Die anderen Nachbarländer mit direkter Grenze
zu Deutschland, also Polen, Dänemark, die Niederlande, Belgien,
Luxemburg, Frankreich und die Schweiz, sind bisher nicht als Gebiete
mit besonderer Virusvarianten-Verbreitung eingestuft.

Kommt man überhaupt noch heraus aus Deutschland?

Das ist zumindest nicht so einfach wie üblich. Auch in den
Nachbarländern gelten strikte Einreiseregeln und Beschränkungen teils
mit mehrtägiger Quarantäne-Pflicht. Wer nach Tschechien oder Tirol
will, muss sich wohl ins Auto setzen: Die Deutsche Bahn hat den
Fernverkehr hierhin wegen der neuen Corona-Regelungen eingestellt, es
fahren auch keine Regionalzüge oder Fernbusse mehr. Auch die
Tschechische Staatsbahn hat die vorübergehende Einstellung
grenzüberschreitender Zugverbindungen angekündigt.