) Die Corona-Apotheke der EU: Warum so viel Impfstoff aus Belgien kommt Von Magdalena Tröndle und Michel Winde, dpa

Im Rennen um möglichst viel Corona-Impfstoff steht immer wieder das
kleine Belgien im Fokus - auch wenn es mal hakt. In dem Königreich
wird ein großer Teil der Impfstoffe für die EU produziert. Warum?

Seneffe/Puurs (dpa) - Der Ort, der maßgeblich zum Sieg über das
Coronavirus beitragen soll, wirkt ziemlich trist. Graue Container
reihen sich aneinander, in der Nähe raucht ein Schornstein. Doch am
Rande des Industriegebiets der belgischen Stadt Seneffe, im Werk des
US-Laborausrüsters Thermo Fisher, wird ein entscheidender Bestandteil
des Astrazeneca-Impfstoffs gegen Covid-19 hergestellt.

«Unser Land steht heute dank seines Beitrags zur Entwicklung,
Produktion und Verteilung von Coronavirus-Impfstoffen im Zentrum der
weltweiten Impfmaßnahmen», sagte König Philippe Ende Januar. «Hiera
uf
können wir stolz sein.» Zugleich betonte er: «Die ganze Welt schaut
auf uns und zählt auf uns.» Denn wie in den vergangenen Wochen
deutlich wurde, gerät das Land mit seinen 11,5 Millionen Einwohnern
ganz besonders ins Blickfeld, wenn es bei der Impfstoff-Produktion
mal hakt.

Zwei der drei in der EU zugelassenen Impfstoffe werden in großen
Teilen in Belgien hergestellt. Neben Astrazeneca setzt auch der
US-Konzern Pfizer auf das Königreich. Und das britische Unternehmen
GSK will einen seiner größten Standorte im belgischen Wavre nutzen,
um Curevac bei der Impfstoff-Produktion zu unterstützen. Weshalb
gerade Belgien?

Die Pharmaindustrie investiert in Belgien nach offiziellen Angaben
jedes Jahr mehr als 1,5 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung.
Das entspricht 40 Prozent aller privaten Forschungsinvestitionen in
dem Land - belgischen Behörden zufolge ist das etwa doppelt so viel
wie der europäische Durchschnitt. Die Zahl der Forschenden und
Beschäftigten in der Branche ist in den vergangenen Jahren stark
gestiegen, wie Zahlen des belgischen Pharmaverbandes zeigen. Mehr als
10 Prozent aller belgischen Exporte sind Pharmazeutika.

Knapp eine Autostunde nördlich von Seneffe, im Herzen Flanderns,
liegt die Gemeinde Puurs-Sint-Amands. Hier produziert Pfizer nach
eigenen Angaben 400 Millionen Impfdosen und injizierbare Medikamente
pro Jahr. In dem Werk verarbeitet und veredelt der Biontech-Partner
auch den mRNA-Wirkstoff, etikettiert, verpackt und lagert Ampullen
und Fläschchen mit dem Covid-19-Impfstoff in besonderen
Gefrierschränken. Jüngst war das Werk wegen umbaubedingter
Lieferverzögerungen in den Schlagzeilen.

Die Geschichte von Pfizer in dem kleinen Örtchen reicht zurück bis
ins Jahr 1963, als sich das Pharmaunternehmen Upjohn, das später von
Pfizer übernommen wurde, in Puurs niederließ. Heute ist das Werk in
der 26-000-Einwohner-Gemeinde eines der größten Produktions- und
Verpackungsstandorte von Pfizer weltweit. Wie Pfizer auf Anfrage
mitteilt, investiert das Unternehmen vor allem aufgrund des
technologischen Know-hows der Mitarbeiter und des hohen Niveaus der
Forschung in die Region. Auch die zentrale Lage innerhalb Europas
spiele eine Rolle.

«In einer halben Stunde sind Sie sowohl am Brüsseler Flughafen als
auch im Hafen von Antwerpen», sagt der Bürgermeister der Gemeinde
Puurs-Sint-Amands, Koen Van den Heuvel, der dpa. Für den
Christdemokraten und ehemaligen Umweltminister Flanderns ist die
florierende Pharmaindustrie ein Segen. 5000 Arbeitsplätze bringen die
ansässigen Pharmaunternehmen seiner Gemeinde, allein 3000 sind es bei
Pfizer, 200 weitere Mitarbeiter sollen dem Unternehmen zufolge in
Kürze eingestellt werden. «Die Arbeitslosenquote in Puurs ist eine
der niedrigsten in der Provinz Antwerpen», sagt Van den Heuvel.

Der Politiker macht keinen Hehl aus seinen Beziehungen zur
Pharmaindustrie. «Wenn Pfizer um etwas bittet, tut die Stadt ihr
Bestes, um es zu erfüllen», sagt er. Dem Unternehmen sei etwa eine
Straße verkauft worden, damit es zwei seiner Standorte verbinden
konnte. Als es 2013 zwei Windkraftanlagen aufstellen wollte, wurden
diese problemlos genehmigt, ebenso wie kürzlich ein klobiger
Parkturm. «Gelegentlich werde ich kritisiert, dass wir den
Bedürfnissen von Pfizer zu bereitwillig nachgeben. Aber für eine
solche Ikone, die so vielen unserer Familien Arbeitsplätze bietet,
ist etwas Wohlwollen erlaubt», sagt Van den Heuvel.

Belgien ist seit Jahrzehnten beliebter Standort auch für andere
Pharmakonzerne. Mit der Niederlassung von Unternehmen wie Janssen
Pharmaceutica, das Teil des amerikanischen Konzerns Johnson und
Johnson ist, habe sich seit den 50er Jahren die Zusammenarbeit von
Wirtschaft, Politik und Forschungseinrichtungen intensiviert, erklärt
David Gering vom belgischer Pharmaverband. Auch Johnson und Johnson
gehört zu den sechs Firmen, die einen Liefervertrag über
Corona-Impfstoffe mit der EU haben.

Gering zählt viele Vorteile auf, die Pharmaunternehmen auf belgischem
Boden haben: So profitierten Unternehmen, die in Forschung und
Entwicklung investieren, von Steuervergünstigungen. Bei klinischen
Studien seien die Wartezeiten bei der Genehmigung von Anträgen
deutlich kürzer als andernorts. Mit mehr als 70 Krankenhäusern mit
hoch qualifiziertem Personal sei eine sehr gute Infrastruktur
gegeben. Und beim Export profitierten die Unternehmen von der
zentralen Lage des Landes in Europa und modernen Flughäfen. König
Philippe sieht eine «bemerkenswerte Zusammenarbeit zwischen Behörden
und Universitäten, zwischen dem öffentlichen Sektor und der
Industrie».

Doch geht auch im Pharmaland Belgien bisweilen einiges schief. Sowohl
Biontech/Pfizer als auch Astrazeneca kündigten zuletzt überraschend
Verzögerungen bei den Lieferungen in die EU-Staaten an, und in beiden
Fällen hieß es: Produktionsprobleme in Belgien. Die große Hoffnung,
die auf den belgischen Werken ruht, wird mitunter also auch
enttäuscht.