Grenzkontrollen für Berufspendler gelockert - Kritik aus Wirtschaft

Aus Angst vor ansteckenderen Corona-Varianten sind die Grenzen zu
Tschechien und Tirol seit Sonntag für viele dicht. Doch nicht so
dicht, wie erst gedacht: Bestimmte Berufspendler dürfen nun doch
einreisen. Trotzdem fürchtet die Industrie Probleme.

Berlin (dpa) - Wenige Stunden nach Inkrafttreten sind die schärferen
Einreiseregelungen an den Grenzen zu Tschechien und Österreich am
Sonntag bereits gelockert worden. Berufspendler mit wichtigen
Aufgaben in systemrelevanten Branchen dürften nun doch nach
Deutschland einreisen, teilte das Bundesinnenministerium mit. «Wir
gehen pragmatisch vor, wo immer das möglich ist», betonte Minister
Horst Seehofer (CSU). Die Autoindustrie fürchtet trotzdem
Produktionsausfälle, etwa weil Zulieferungen nicht rechtzeitig
ankommen.

Ziel der Grenzkontrollen ist, das Einschleppen von ansteckenderen
Varianten des Coronavirus über die Grenze einzudämmen. Sowohl in
Tschechien als auch im österreichischen Bundesland Tirol sind diese
Varianten deutlich stärker verbreitet als in Deutschland. Deshalb
dürfen aus den betroffenen Gebieten derzeit nur noch Deutsche sowie
Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland
einreisen. Ausnahmen gab es zunächst für Ärzte, Kranken- und
Altenpfleger sowie für Lastwagenfahrer und landwirtschaftliche
Saisonkräfte.

In der Nacht zum Sonntag liefen die Kontrollen zunächst ruhig an und
sorgten weder für Stau noch für lange Wartezeiten. «An einem
Wochentag, wenn Pendler versuchen einzureisen, wird die Lage
sicherlich anders aussehen», sagte ein Sprecher der Grenzpolizei
Passau am Morgen. Laut Bundespolizeipräsidium wurden bis zum
Nachmittag (15.00 Uhr) 2202 Personen an der deutsch-österreichischen
sowie an der deutsch-tschechischen Grenze abgewiesen.

Künftig sollen nun auch Berufspendler einreisen dürfen, die gebraucht
werden, um die Funktionsfähigkeit ihrer Betriebe in systemrelevanten
Branchen aufrecht zu erhalten. Sie müssen dafür bis einschließlich
Dienstag ihren Arbeitsvertrag dabeihaben. Danach sollen die Länder
Bayern und Sachsen Betriebe als systemrelevant definiert und
individuelle Bescheinigungen ausgestellt haben, die an der Grenze
vorgezeigt werden sollen.

Viele Betriebe hatten gefürchtet, am Montag nicht wie gewöhnlich
produzieren zu können. Denn allein in Bayern arbeiten nach den
aktuellsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) 22 000 Tschechen
und 9600 Österreicher, viele davon im verarbeitenden Gewerbe. Bayerns
Innenminister Joachim Herrmann sagte, zu den Ausnahmebranchen sollten
etwa Wasser- und Elektrizitätswerke oder die Lebensmittelproduktion
zählen. Voraussetzung für die Einreise der Mitarbeiter ist aber
weiter ein maximal 48 Stunden alter negativer Test, zudem müssen sie
sich digital vor der Einreise anmelden.

Die Autoindustrie befürchtet trotzdem Probleme - vor allem, weil auch
für Lkw-Fahrer ein aktueller Coronatest vorgeschrieben ist. «Diese
neue Testpflicht für Lkw-Fahrer ist so kurzfristig gar nicht
umzusetzen», erklärte der Branchenverband VDA. Weil die Maßnahmen so

kurzfristig gekommen wären, hätten die Werke sich außerdem keine
Zulieferkomponenten auf Vorrat legen können. Die Automobilproduktion
werde ab Montagmittag deshalb größtenteils zum Erliegen kommen,
erklärte ein Sprecher. «Die Werke in Ingolstadt, Regensburg,
Dingolfing, Zwickau und Leipzig sind als erste betroffen.»

Bei Volkswagen und bei Daimler erwartet man zunächst allerdings keine
größeren Einschränkungen. Noch gebe es keine Engpässe wegen fehlend
er
Teile. Bei Daimler hieß es am Sonntag, von Werksschließungen könne
keine Rede sein.

Der VDA fordert, bis zum Aufbau ausreichender Testkapazitäten an den
Grenzen, mindestens aber für die nächsten vier Tage, auf eine
ärztliche Testbestätigung zu verzichten und ersatzweise Selbsttests
für Fahrer zuzulassen. Tirol kündigte an, schon ab Sonntag den
Lastwagenverkehr aus Italien vorab zu kontrollieren und zu drosseln,
um einen extremen Rückstau zu verhindern.

Österreich kritisierte die neuen deutschen Einreisebeschränkungen
scharf. Außenminister Alexander Schallenberg warnte am Sonntag vor
«überschießenden Schritten, die mehr schaden als nützen.» Das hab
e
der konservative Minister seinem Berliner Kollegen Heiko Maas
mitgeteilt. Außerdem werde der deutsche Botschafter Ralf Beste, am
Sonntag zu einem Gespräch im Wiener Außenministerium erwartet,
berichtete die Nachrichtenagentur APA. Wiens Innenminister Karl
Nehammer beschwerte sich, dass die Reisebeschränkungen für Tirol den
innerösterreichischen Verkehr zwischen Tirol und dem Osten
Österreichs behinderten, weil die Strecke über das sogenannte
Deutsche Eck in Bayern de facto gesperrt sei. Dies sei
«inakzeptabel».

Auch der slowakische Außenminister Ivan Korcok intervenierte bei
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). Wie das slowakische
Außenministerium mitteilte, ging es dabei ebenfalls um die
Testpflicht für Lkw-Fahrer.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides kritisierte die deutschen
Einreiseregeln ebenfalls. «Die Furcht vor den Mutationen des
Coronavirus ist verständlich. Aber trotzdem gilt die Wahrheit, dass
sich das Virus nicht von geschlossenen Grenzen aufhalten lässt»,
sagte die 64-jährige Politikerin aus Zypern der «Augsburger
Allgemeinen». Über kritische Bemerkungen seitens der EU-Kommission
hatte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer schon tags zuvor
empört.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte die schärferen
Einreiseregeln. «Wir müssen unseren Landkreisen in der Grenzregion
die Möglichkeit geben, zur Ruhe zu kommen», sagte er der
«Süddeutschen Zeitung». Es gebe «Momente in einer Pandemie, in dene
n
man solche Entscheidungen zur Sicherheit und Gesundheit aller treffen
muss.»