Corona hat auch Malu Dreyers Leben «total verändert» Von Birgit Reichert und Harald Tittel , dpa

In der Pandemie ist Malu Dreyer schwer gefordert. Schaltkonferenzen,
Telefonate - dann Entscheidungen mit Gewicht. In ihrer Heimatstadt
Trier kann sie auftanken - wenn auch mit Einschränkungen.

Trier (dpa/lrs) - Wenn Malu Dreyer nach Trier kommt, fällt der Stress
ab. «Das ist zu Hause ankommen. Auch emotional», sagt die
rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, die dort mit ihrem Ehemann
Klaus Jensen (beide SPD) in einer Wohnung in der Nachbarschaft des
Klosters St. Matthias lebt. «Das hier ist schon meine Heimat. Selbst
wenn ich am Wochenende wahnsinnig viel arbeiten muss, ist es immer
noch einmal etwas anderes, dann zu Hause zu sein.» Sie gehe sehr gern
spazieren, am liebsten am nahe gelegenen Mattheiser Weiher, an der
Mosel oder im Wald. «Das finde ich superschön.»

In Nicht-Corona-Zeiten gehört das Kino zu ihren Leidenschaften. «Das
ist eigentlich eines unserer großen Hobbys», sagt sie mit ihrem Mann
in dem Büro seiner Stiftung am Kloster. Auch ins Theater gingen sie
sonst gern - oder einkaufen. «Samstags, wenn es irgendwie geht, in
die Stadt gehen, gehört dazu.» In der Küche hat Jensen eher den Hut
auf. «Ich koche gerne», sagt er. «Neulich habe ich Rotkohlschnitzel
mit Ricotta gemacht. Mit einer Soße aus mehreren Kräutern.»

Corona habe nicht nur wegen der Einschränkungen, die ja alle Bürger
treffen, ihr Leben verändert, sagt Dreyer. Sondern auch ihren Job:
«Dieses Jahr hat alles total verändert. Eigentlich gibt es gar keine
Zeit mehr.» Täglich zig Schaltkonferenzen, um sich auf allen Ebenen
abzustimmen, oft von morgens früh bis abends spät. Und viele
Gespräche mit Verbänden aus Gesellschaft und Wirtschaft, mit
Experten, Betroffenen, Lehrern und Erzieherinnen und Erziehern.

Und natürlich müsse sie auch die aktuellen Entwicklungen kennen.
Einen nachrichtenfreien Moment könne es für sie derzeit gar nicht
geben. «Man kann das mit gar nichts vergleichen, was ich jemals in
meinem beruflichen Leben erlebt habe», sagt die 60-Jährige.

Es sei nicht nur ein «Rund-um-die-Uhr-Job» zurzeit. «Das Thema ist
auch so ein schweres. Es lässt einen eigentlich gar nicht los», sagt
sie. Und: Die Verantwortung sei eine «sehr große». Denn es gehe ja
immer um einschneidende Entscheidungen. «Es geht um das Thema Leben
und Tod. Es geht um die Existenz.»

Sie sei sehr froh, dass in 99 Prozent aller Altenheime im Land
geimpft wurde. Die Impfquote mit durchschnittlich 80 Prozent sei dort
gut. Ihre Mutter, die in einem Seniorenstift in Neustadt an der
Weinstraße lebe, habe auch die Erstimpfung bekommen. Mit ihrer Mutter
(87) verabrede sie sich neuerdings zum Video-Chat, erzählt Dreyer.
«Wir können sie ja nicht besuchen wegen Corona.» Mit dem Chat laufe
das prima. «Sie ist wirklich eine sehr lebensfrohe und sehr lustige
Frau.»

Auch in der Wohnung im inklusiven Wohnprojekt Schammatdorf, in dem
Dreyer seit 2004 und Jensen seit 1984 lebt, sind Treffen selten
geworden. Die drei Kinder von Jensen aus erster Ehe müssten jeweils
alleine kommen, ebenso seien die beiden Enkelkinder (1 und 4) nur mit
einem Elternteil da. «Dabei sind wir totale Familienmenschen.»

Im Schammatdorf könne man sich mit den Nachbarn zum Glück immer noch
gut unterhalten, sagt Jensen, der früher Staatssekretär im
Sozialministerium (1994-1999) und Oberbürgermeister von Trier
(2007-2014) war. Denn da gebe es in den Innenhöfen der Wohnungen
sogenannte Laubengänge, in denen man über Eck reden könne. «Seit
Corona reden wir da so viel, weil viele das Bedürfnis haben. Man
merkt jetzt gar nicht mehr die vier, fünf Meter Distanz.»

Sie diskutiere viel mit ihrem Mann über Politik, sagt Dreyer. «Es ist
mir wichtig zu wissen, was er denkt. Seine Meinungen sind hoch
reflektiert. Insofern ist es ein totaler Glücksfall, dass mein Mann
nicht nur sehr viel Verständnis für mein Amt hat, sondern mir auch
ein ganz wichtiger Ratgeber ist». Jensen: «Alles andere wäre
unnatürlich. Mich bewegen die Themen, sie sind mir persönlich
wichtig.»

Dazu gehört auch, was gerade in der Gesellschaft passiert. «Wir haben
eine extrem große Polarisierung inzwischen, was Meinungen betrifft»,
sagt Dreyer. Es gebe nicht nur die sogenannten Querdenker, sondern
unterschiedliche Meinungen zu allen Sachverhalten und Entscheidungen.
Zu vieles werde eingeteilt in Schwarz oder Weiß, richtig oder falsch.
Der Mittelweg oder Kompromiss habe gerade keine Konjunktur. Manchmal
sei es sehr schwierig, «weil man gar nicht mehr mit Argumenten
durchdringt». Da sei es «echt die Kunst, die Leute überhaupt zu
erreichen und aus ihrer Blase zu holen».

Vor allem im Internet merke man das. «Da treibt das alle Blüten
dieser Welt. Da werden Meinungen, die nicht passen oder gefallen,
einfach platt gemacht. Das ist einfach nicht förderlich. Wir müssen
als Gesellschaft zusammenbleiben.» Shitstorms habe sie schon oft
erlebt. Manchmal gebe es «auch Ausfälle, die sind so unter der
Gürtellinie. Bei Hass und Hetze schalten wir auch die Polizei ein.
Ich versuche das immer professionell zu sehen und nicht persönlich an
mich ran zu lassen. Geht gar nicht anders.»

Den Frust, den es bei vielen Menschen derzeit gebe, könne sie aber
«total gut verstehen. Es ist eine Zeit, in der wir uns massiv
einschränken müssen, in der Schutzmaßnahmen auch in Grundrechte
eingreifen. Das haben wir in unserer Generation so noch nicht
erlebt.»

Mit der Krankheit Multiple Sklerose (MS), die bei ihr 1995
diagnostiziert worden war, komme sie gut klar. «Ich habe auch Glück.
Es ging mir ja auch schon schlechter», sagt sie. Das sei aber Jahre
her. «Ich bin so fit im Verhältnis wie man fit sein kann.» Stress sei

für sie nie kontraproduktiv gewesen. «Ich empfinde meine Aufgabe als
positiven Stress. Und ich glaube, das trägt auch dazu bei, dass ich
mein Leben trotzdem so leben kann.»

Was denn ein Traum in ihrem Leben wäre? «Meinen Traum haben wir uns
vor zwei Jahren erfüllt. Ich wollte immer nach Tansania in die
Serengeti und in den Ngorongoro-Krater», erzählt sie. «Das war der
schönste Urlaub meines Lebens. Irgendwann fahren wir noch mal hin.»
Jensen: «Da sind alle Tiere, die man sich nur vorstellen kann. Das
ist eine Welt unberührt von Menschen. Das gab es vor einer Million
Jahren und das wird es in einer Million Jahre noch geben.»

Wollte Dreyer schon immer Politikerin werden? «Nein, ich wollte
eigentlich Ärztin werden», sagt sie. «Ich habe das große Latinum
gemacht und ein Einser-Abi, weil ich unbedingt Medizin studieren
wollte». Doch dann habe sie es sich von heute auf morgen anders
überlegt - und Jura studiert. Eigentlich strebte sie ans
Bundesarbeitsgericht, ihr Schwerpunkt war Arbeitsrecht. «Doch dann
hat sich das anders entwickelt. Und ich habe es nie bereut.»

Sie wolle gern weiter die Geschicke von Rheinland-Pfalz führen - nach
der Wahl am 14. März. «Ich wünsche mir und kämpfe dafür, dass wir

wieder stärkste Partei werden», sagt sie. Der Wahlkampf laufe vor
allem digital. So treffe sie die Wahlkreiskandidaten in ihrem
«digitalen Wohnzimmer» in Mainz. «Der Kontakt fehlt schon. Es ist
eine meiner großen Leidenschaften, Menschen zu begegnen und ihnen
zuzuhören.»