Grenzkontrollen ab Sonntag - Seehofer weist Kritik scharf zurück

Ab Sonntag kommen kaum noch Reisende aus Tschechien und Tirol über
die Grenze nach Deutschland. Aus Angst vor ansteckenden
Coronavirus-Varianten macht Deutschland im Südosten weitgehend dicht.
Dass auch Zehntausende Berufspendler betroffen sind, schürt Kritik.

Berlin (dpa) - Während sich Grenzer in Bayern und Sachsen auf
verschärfte Einreisekontrollen vorbereiten, hat Innenminister Horst
Seehofer Kritik daran scharf zurückgewiesen. «Jetzt reicht's!», sagte

der CSU-Politiker nach Lockerungsforderungen aus Brüssel der
«Bild»-Zeitung. Die EU habe bei der Impfstoffbeschaffung «genug
Fehler gemacht». «Die EU-Kommission sollte uns unterstützen und nicht

durch wohlfeile Hinweise Knüppel zwischen die Beine werfen.»
Deutschland hatte aus Angst vor ansteckenderen Varianten des
Coronavirus strenge Regeln für die Einreise aus bestimmten Gebieten
verhängt. Am Sonntag sollen sie in Kraft treten.

Dann dürfen aus Tschechien und weiten Teilen des österreichischen
Bundeslandes Tirol nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und
Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Ausnahmen gibt es für
Ärzte, Kranken- und Altenpfleger sowie für Lastwagenfahrer und
landwirtschaftliche Saisonkräfte. Tschechien und Tirol gelten als
Gebiete, in denen die ansteckenderen Virusvarianten besonders
verbreitet sind.

Die mutierten Viren werden sich nach Einschätzung des Robert
Koch-Instituts (RKI) auch in Deutschland mehr und mehr ausbreiten.
Man versucht dies zwar zu verlangsamen, doch immer wieder werden
Ausbrüche gemeldet, wie etwa am Samstag aus dem Landkreis Landsberg
am Lech, wo «im Umfeld eines Großbetriebs» sowie in einer
Gemeinschaftsunterkunft und einer Seniorenwohngemeinschaft
Virusvarianten um sich greifen.

Die Bundesregierung hatte wiederholt betont, die Gefahr dürfe trotz
sinkender Infektionszahlen nicht unterschätzt werden. Zuletzt hatten
sich in Deutschland immer weniger Menschen täglich mit dem
Coronavirus infiziert. Alle Bundesländer haben nach RKI-Angaben
inzwischen eine Inzidenz von unter 100, also weniger als 100
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen. Zuletzt
meldeten die Gesundheitsämter binnen eines Tages 8354 Neuinfektionen
und 551 neue Todesfälle. Am Samstag vergangener Woche hatte das RKI

noch 10 485 Neuinfektionen und 689 neue Todesfälle verzeichnet.

Die EU-Kommission hatte Deutschland aufgefordert, bei den neuen
Einreisebeschränkungen Ausnahmen etwa für Berufspendler zu gewähren.

Nach derzeitigem Stand könnten viele der rund 45 000 in Deutschland
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten davon betroffen sein, die
nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) zuletzt ihren Wohnsitz
in Tschechien oder Österreich hatten. Nach der jüngsten BA-Statistik
von Ende Juni arbeiteten allein in Bayern 22 000 Tschechen und 9600
Österreicher - vor allem im verarbeitenden Gewerbe.

Auch der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter hatte sich empört
gezeigt. Dies würde tausenden Tirolern, die zur Arbeit nach Bayern
pendelten, das Arbeiten unmöglich machen. Grenzüberschreitendes
gemeinsames Arbeiten und Wirtschaften komme so gut wie zum Erliegen.

An den bayerischen Grenzübergängen herrschte einen Tag vor
Inkrafttreten der schärferen Regeln am Samstag extrem ruhiger
Verkehr. Es sei deutlich weniger los als sonst an Samstagen, sagte
ein Sprecher der Bundespolizei in Passau. Auch Pendler seien kaum
unterwegs. «Es gibt aber viele Anfragen von Bürgern, die unsicher
sind und wissen wollen, wie es weitergeht.»

Ab Sonntag wird laut Bundespolizei voraussichtlich jedes einzelne
Fahrzeug überprüft. Selbst wer unter die Ausnahmeregeln fällt, muss
einen negativen Corona-Test vorweisen und in Deutschland zunächst in
Quarantäne gehen. Die Testpflicht war schon vor den
neuen Einreiseregeln eingeführt worden. Zur Kontrolle hatte die
Bundespolizei auf den wichtigen Nebenstrecken auch provisorische
Stationen eingerichtet.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte, die Bundespolizei sei
für einen solchen Einsatz kaum ausgerüstet. «Die technische
Ausstattung der Bundespolizei lässt zu wünschen übrig. Es mangelt an

Containerbüros, Toilettenwagen und großen Zelten, um die Kontrollen
durchführen zu können», sagte der Vorsitzende des GdP-Bezirks
Bundespolizei, Andreas Roßkopf, der «Rheinischen Post». Auch
personell sei die Bundespolizei für die Grenzkontrollen nicht gut
genug aufgestellt. Es bestehe das Risiko, dass Ortskundige über
Feld-und Waldwege die Kontrollen umgingen.

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) warnte zudem vor den
Auswirkungen auf die europäischen Lieferketten. «Absehbar sind
Engpässe bei ausländischem Fahrpersonal in Deutschland, erhebliche
Verzögerungen beim Grenzübertritt und weiträumige Ausweichverkehre»
,
sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. «Manche Transporte
werden ganz wegfallen, etwa weil Personal fehlt.» Die Bundesregierung
müsse die Auswirkungen der entstehenden Engpässe im Blick behalten,
um die Versorgung von Bürgern und Unternehmen sicherzustellen.
«Deutschland ist keine Insel, sondern liegt mitten in Europa.»

Angesichts der geplanten Grenzkontrollen hatten auch die Auto- und
Gütertransportbranche vor unterbrochenen Lieferketten in der
Produktion sowie vor Engpässen im Handel gewarnt.