Studien: Nach Lockdown-Ende keine schnelle Erholung zu erwarten Von Carsten Hoefer, dpa

Der Lockdown soll weg - angesichts einer befürchteten Pleitewelle
stehen Bund und Länder unter großem Druck der Wirtschaft. Aber würde

eine schnelle Öffnung helfen? Internationale Erfahrungen legen nahe,
dass Angst vor dem Virus den größten Teil der wirtschaftlichen
Schäden verursacht, nicht die Beschränkungen.

München/Berlin (dpa) - Ein Ende des Corona-Lockdowns wird der
Wirtschaft nach Einschätzung von Ökonomen nicht automatisch zum
ersehnten schnellen Aufschwung verhelfen - solange das Virus nicht
unter Kontrolle ist. Vergleichsstudien in Skandinavien und den USA
zeigen, dass die Wirtschaft in Ländern und Regionen ohne strikte
Lockdowns in der ersten Phase der Epidemie ebenso abstürzte wie in
Staaten mit strikten Beschränkungen. «Da das Virus für Unsicherheit
sorgt, investieren viele Firmen nicht», sagt Clemens Fuest, der
Präsident des Münchner Ifo-Instituts. «Wenn ein gefährliches Virus

grassiert, gehen die meisten Menschen nicht ins Kino, ins Restaurant
oder ins Konzert, egal ob sie dürfen oder nicht.»

In Europa ist Schweden das bekannteste Beispiel für ein Land, dass
mit der Pandemie zunächst ohne strikte Beschränkungen zurechtkommen
wollte. Dennoch brach die schwedische Wirtschaftsleistung nach Daten
der EU-Statistikbehörde im zweiten Quartal 2020 um 8 Prozent ein, im
benachbarten Dänemark waren es mit Lockdown minus 7,1 Prozent. Dabei
spielte allerdings auch eine Rolle, dass die internationalen
Lieferketten in der Industrie zeitweise schwer gestört waren.

Ifo-Wissenschaftler haben in einer Studie den schwedischen
Arbeitsmarkt untersucht, der ebenfalls hart getroffen wurde. «Ohne
Lockdown kommt der wirtschaftliche Einbruch etwas später und ist
nicht ganz so tief», sagt Fuest. «Das bezahlt man allerdings mit
später höheren Infektionszahlen und entsprechend höheren
gesundheitlichen und ökonomischen Schäden, die nicht mitgezählt
sind.»

In den USA haben die Ökonomen Austan Goolsbee und Chad Syverson die
ökonomischen Folgen für den Einzelhandel in der frühen Phase der
Pandemie in mehreren US-Landkreisen mit und ohne Lockdowns
untersucht. Ergebnis: «Während der gesamte Kundenverkehr um 60
Prozent zurückging, erklären die rechtlichen Beschränkungen nur 7
Prozent dieses Rückgangs. Individuelle Entscheidungen (der Einkäufer)
waren sehr viel wichtiger und stehen anscheinend in Zusammenhang mit
der Angst vor Infektion», schreiben die beiden Wissenschaftler. Eine
offene Frage ist allerdings, ob die Menschen sich in einer späteren
Phase der Pandemie ebenso verhalten würden wie in der ersten.

Der Lockdown bedeutet für die direkt und indirekt getroffenen
Branchen Tag für Tag verlorene Einnahmen. Es gibt aber keinen
Konsens, wie hoch die durch den Lockdown verursachten
volkswirtschaftlichen Einbußen sind. Ifo-Konjunkturforscher Timo
Wollmershäuser geht pro Woche von verlorener Wertschöpfung in
Deutschland in Höhe von 1,5 Milliarden Euro aus. Das IW Köln schätzt

grob zwischen 3,5 und 5 Milliarden Euro jede Woche.

Andere Institute sind in dieser Hinsicht vorsichtig: «Wie hoch die
durch Verzögerungen verursachten volkswirtschaftlichen Einbußen sind,
ist sehr stark annahmegetrieben», sagt Claus Michelsen, Leiter der
Abteilung Konjunkturpolitik am DIW in Berlin. «Die Frage ist, was als
Referenzgröße dient: Wenn man die wirtschaftliche Lage vor Ausbruch
der Pandemie als Vergleichsbasis nimmt, fallen die Einbußen sehr hoch
aus.»

Das DIW ging in seiner Prognose für das erste Quartal davon aus, dass
das deutsche Bruttoinlandsprodukt um drei Prozent sinken würde.
«Inzwischen gehen wir eher davon aus, dass wir zu negativ als zu
positiv gerechnet haben», sagt Michelsen. «Das liegt unter anderem
daran, dass der Bereich der öffentlichen Vorsorge und Bildung weit
weniger hart getroffen wurde als im vergangenen Frühjahr - in vielen
Kindertagesstätten und Kinderbetreuungseinrichtungen wird
gearbeitet.» Die Industrie sei im vergangen Frühjahr komplett
unvorbereitet getroffen worden und stand weitgehend still. «Das
scheint dieses Mal anders zu sein.»

Ein entscheidender Faktor beim Tempo der wirtschaftlichen Erholung
wird die Geschwindigkeit der Impfkampagne sein. Darin sind sich viele
Wissenschaftler mit Unternehmern und Politikern einig. «Ein
funktionierendes Impfprogramm würde die wirtschaftliche Erholung
beschleunigen», sagt DIW-Konjunkturforscher Michelsen.

Die «No Covid»-Initiative von 14 Wissenschaftlern mehrerer
Fachrichtungen von Medizin bis Ökonomie mahnte die Regierenden in
ihrem neuen Papier am Mittwoch, Geld für schnellere Impfungen in die
Hand zu nehmen - und sei das noch so teuer: «Wegen der hohen Kosten
der Pandemie und der notwendigen harten Maßnahmen zu ihrer Eindämmung
sind Investitionen, die Aussicht auf eine Beschleunigung der
Impfungen bieten, quasi in jedem Umfang rein wirtschaftlich
vorteilhaft.» Ifo-Präsident Fuest war an dem Appell beteiligt.

Denn nach wie vor läuft die Impfkampagne in der EU sehr schleppend.
Nach der Analyse des Portals «Our World in Data», hatte es am 9.
Februar in Großbritannien pro 100 Einwohner bereits 20 Impfungen
gegeben, in der EU dagegen 4 - die Briten waren also bislang bei den
Impfungen fünfmal schneller als die Kontinentaleuropäer. «Nachzügle
r
in der Impfkampagne werden im Krisenmodus gefangen bleiben und mit
erheblichen Kosten konfrontiert werden - ökonomisch und politisch»,
warnten die Volkswirte des Versicherungskonzerns Allianz in einer
kürzlich veröffentlichten Einschätzung.