Grenzkontrollen ab Sonntag - Einreiseverbote auch für Slowakei Von Anne-Béatrice-Clasmann und Michael Fischer, dpa

Deutschland wollte erneute Grenzkontrollen unbedingt vermeiden. Doch
wegen der hohen Infektionszahlen in einigen Nachbarstaaten hat die
Bundesregierung jetzt die Notbremse gezogen. Mediziner halten das für
absolut notwendig. Ausnahmen gibt es für Pfleger und Ehepartner.

Berlin (dpa) - Nach der Ausbreitung neuer Virusvarianten hat
Deutschland die Regeln für die Einreise aus mehreren EU-Staaten
erneut verschärft und teilweise auch Kontrollen an der Grenze
angeordnet. Nach Angaben der Bundesregierung dürfen ab Sonntag aus
Tschechien und weiten Teilen von Tirol in Österreich nur noch
Deutsche, Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in
Deutschland, landwirtschaftliche Saisonarbeitskräfte und
Gesundheitspersonal einreisen. Um das Verbot durchzusetzen, bereitet
sich die Bundespolizei auf stationäre Grenzkontrollen vor.

Wie das Bundesinnenministerium am Freitag weiter ausführte, dürfen
auch Ehepartner, eingetragene Lebenspartner, minderjährige Kinder und
Eltern minderjähriger Kinder kommen, allerdings nur, wenn sie
gemeinsam mit dem deutschen Angehörigen die Grenze passieren. Auch
Lastwagenfahrer und sonstiges Transportpersonal im Güterverkehr sind
von dem Verbot ausgenommen. Außerdem sollen Einreisen aus dringenden
humanitären Gründen - etwa bei einem Todesfall - erlaubt sein. Auch
in den Ausnahmefällen gelten Test- und Quarantänebestimmungen. Eine
Beschränkung der Einreise auf bestimmte Grenzübergänge soll es nicht

geben. Die Bestimmungen gelten für Einreisende aus Tschechien und aus
Tirol mit Ausnahme des Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz, sowie
des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee.

Die EU-Kommission hatte zuvor an Deutschland appelliert, Ausnahmen
für Pendler zuzulassen. Bundesinnenminister Horst Seehofer wies dies
jedoch entschieden zurück. Er sagte, die Bundesregierung werde nicht
«tatenlos zusehen, wie die Virus-Mutation zu uns rüber schwappt».
Grenzkontrollen im Herzen Europas seien schmerzhaft, aber derzeit
unumgänglich.

Die Bundesregierung stufte das EU-Land Slowakei am Freitag ebenfalls
als Gebiet mit besonders gefährlichen Virusmutationen ein, wie das
Robert Koch-Institut auf seiner Internetseite mitteilte. Das heißt,
dass Fluggesellschaften sowie Bus und Bahnunternehmen keine
Passagiere mehr aus der Slowakei nach Deutschland befördern dürfen.
Ausgenommen davon sind deutsche Staatsbürger und in Deutschland
lebende Ausländer. Nach der Deutschen Bahn hat am Freitag auch die
Tschechische Staatsbahn (Ceske Drahy/CD) die vorübergehende
Einstellung grenzüberschreitender Zugverbindungen angekündigt.
Betroffen sind von Sonntag an der Expresszug zwischen Prag und
München und die Linie R29 zwischen Cheb und Nürnberg, wie eine
Sprecherin auf Anfrage mitteilte.

Schon jetzt würden in Bayern bei deutlich mehr als zehn Prozent der
Infizierten Mutanten festgestellt - mehr als doppelt so viel wie
insgesamt in Deutschland, sagte der Münchner Infektiologe Clemens
Wendtner. Er warnte vor allem vor einem Einschleppen der gefährlichen
südafrikanischen Coronavirus-Variante aus Tirol. Das sei nur mit
einem strikten Vorgehen an der Grenze zu verhindern, sagte der
Chefarzt für Infektiologie an der München Klinik Schwabing. Wenn
lückenlose Kontrollen nicht funktionierten, bleibe nur eine
Schließung der Grenzen.

«Wir haben es mit der südafrikanischen Variante zu tun. Die ist nach
bisherigem Wissen noch einmal gefährlicher als die britische
Variante», sagte Wendtner der Deutschen Presse-Agentur. Sie sei nicht
nur infektiöser, sondern ersten Erkenntnissen nach auch tödlicher -
zudem wirkten manche Impfstoffe weniger gut dagegen. Auch wer schon
Corona hatte, könne sich wahrscheinlich erneut anstecken. Die Rate
der Zweitinfektionen werde daher wahrscheinlich steigen.

Die britische Variante hat wiederum in einigen ostbayerischen
Regionen bei Pendlern aus Tschechien bereits die Oberhand gewonnen.
Der Anteil der Mutanten an den positiven Fällen liegt dort laut
Wendtner teilweise schon bei über 40 Prozent.

Grenzkontrollen zu Tschechien und Tirol sind deshalb auch nach
Ansicht von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU)
unverzichtbar. «Wir sind für ein freies Europa», aber in der Pandemie

müsse die Sicherheit oben stehen, sagte er im bayerischen Landtag.

Deutschland hatte am Donnerstag wegen des verstärkten Auftretens
mutierter Coronaviren Tschechien und das Bundesland Tirol als
Virusmutationsgebiete eingestuft. Außerdem ordnete das
Bundesinnenministerium ab Sonntag Grenzkontrollen an, um die damit
verbundenen Beförderungs- und Einreiseverbote durchzusetzen.

In der Slowakei steigen etwa seit Oktober die Infektionszahlen so
dramatisch an, dass Experten vor einem drohenden Kollaps des
Gesundheitssystems warnen. Eine besonders große Rolle spielt dabei
die britische Variante B.1.1.7 des Coronavirus. Auf sie ist mehreren
Untersuchungen zufolge der mit Abstand größte Teil der Neuinfektionen
zurückzuführen.

Es sei nicht auszuschließen, dass es auch an anderen Stellen der
Grenze zu Kontrollen kommen könne, sagte Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn (CDU). Die Bundesregierung gehe aber mit Blick auf den
wichtigen Austausch in Grenzregionen «sehr zurückhaltend und
abwägend» mit solchen Maßnahmen um.

Die Bundesregierung hatte die Einreise nach Deutschland in den
letzten Wochen und Monaten Schritt für Schritt erschwert. Rund 160
der knapp 200 Länder weltweit sind inzwischen in eine von drei
Corona-Risikokategorien eingestuft. Für die niedrigste gilt eine
Testpflicht spätestens 48 Stunden nach Einreise und eine zehntägige
Quarantänepflicht, von der man sich nach fünf Tagen durch einen
zweiten negativen Test befreien kann.

Mehr als 40 Länder sind als Virusvarianten- oder Hochrisikogebiete
mit besonders hohen Infektionszahlen eingestuft. In letztere
Kategorie wurden am Freitag das arabische Bahrain, die Seychellen im
Indischen Ozean sowie St. Lucia und St. Vincent und die Grenadinen in
der Karibik neu eingeordnet. Für das afrikanische Namibia wurde der
Status als sogenanntes Hochinzidenzgebiet dagegen wieder aufgehoben.

Für Hochinzidenzgebiete gilt wie auch für die Virusvariantengebiete
eine verschärfte Testpflicht: Bei der Einreise aus diesen Ländern
muss man direkt einen negativen Test vorlegen. Im März vergangenen
Jahres hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bereits für
mehrere Grenzabschnitte stationäre Kontrollen angeordnet. Sie wurden
im Juni wieder beendet.

Einige Ministerpräsidenten hatten damals über Probleme in den
Grenzregionen geklagt, vor allem für Berufspendler. Rund 45 000 in
Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hatten zuletzt
ihren Wohnsitz in Tschechien oder Österreich, wie die Bundesagentur
für Arbeit (BA) am Freitag auf dpa-Anfrage mitteilte.