Verstöße gegen Impfplan - Ein Angebot, das man auch ablehnen kann Von Fabian Albrecht, dpa

Kommunalpolitiker, die sich beim Impfen vorgedrängelt haben, sorgen
in Deutschland für Wut und Misstrauen. Mit Vorbildfunktion wie in
anderen Ländern haben diese Impfungen meist nichts zu tun. Dahinter
steht oft die Frage, wie Verschwendung vermieden werden kann.

Magdeburg (dpa) - Solidarität, Disziplin und Vertrauen fordert die
Politik seit Monaten von den Menschen in Deutschland ein. Vielerorts
ist in den vergangenen Tagen bekannt geworden, dass ausgerechnet
Politiker, Polizisten und weitere Amt- und Würdenträger gegen genau
diese Werte verstoßen und sich beim Impfen gegen das Coronavirus
vorgedrängelt haben. In mindestens 9 der 16 Bundesländer sind solche
Fälle bekannt.

Die Bundesregierung hatte eine klare Reihenfolge festgelegt, nach der
der knappe Impfstoff verteilt wird: Die Ältesten und die, die sie
versorgen, zuerst. Zwar räumt die Impfverordnung des Bundes etwa
Polizei- und Ordnungskräften und wichtigen Verwaltungsangestellten
auch eine hohe Priorität ein - aber eben nicht die höchste. Sie
sollen in der zweiten und dritten Gruppe geimpft werden. Auch die
Kanzlerin, der Gesundheitsminister und die Ministerpräsidentinnen und
Ministerpräsidenten hielten sich bei den Impfungen demonstrativ
zurück und die Reihenfolge ein.

In anderen Ländern interpretierten Spitzenpolitikerinnen und
-Politiker ihre Vorbildfunktion anders. In Israel etwa ließen sich
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Gesundheitsminister Juli
Edelstein am 19. Dezember zum Auftakt der Impfkampagne als erste
impfen. Netanjahu sagte vor laufender Kamera, dass sie damit als
persönliches Beispiel dienen und das israelische Volk zum Impfen
ermutigen wollten.

Auch in den USA holten sich Spitzenpolitiker bereits im Dezember vor
laufenden Kameras ihren Piks, darunter der heutige US-Präsident Joe
Biden, der damalige Vize-Präsident Mike Pence und die Sprecherin des
Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Bis auf Pence gehörten sie auf
Grund ihres Alters allerdings alle auch zu der ersten
Prioritätsgruppe, in Israel wie auch den USA.

Von solch demonstrativen Impfungen kann in den umstrittenen Fällen in
Deutschland jedoch keine Rede sein: Halles Oberbürgermeister Wiegand

etwa räumte erst auf Nachfrage von «Mitteldeutscher Zeitung» und
MDR ein, dass er und zehn Stadträte schon geimpft worden waren.
Informationen über weitere zu früh Geimpfte rückt er nicht raus. Dass

Wiegand angab, dass an einem Nachmittag in einem Krankenhaus der
Stadt niemand sonst für eine Impfung bereitgestanden habe und ein
«Zufallsgenerator» dann ihn ausgewählt habe, trug nicht gerade dazu
bei, das Vertrauen in die Verwaltung wieder zu stärken.

Die Impfungen des Augsburger katholischen Bischofs Bertram Meier und
seines Generalvikars Harald Heinrich wurden ebenfalls nicht
medienwirksam inszeniert, sondern von der «Augsburger Allgemeinen»
aufgedeckt. Auch unter den anderen zu früh geimpften Politikern,
Polizistinnen, Polizisten und Feuerwehrleuten nutzte niemand die
Impfung, um damit ein Signal zu setzen. Dem Landkreis Stendal kann
man immerhin keine Geheimhaltung vorwerfen: Frank und frei berichtete
der Kreis aus Sachsen-Anhalt fast beiläufig in einer
Pressemitteilung, dass versuchsweise 330 Polizisten geimpft worden
seien.

Fast alle unberechtigten Impfungen begründeten die Akteure mit übrig
gebliebenen Impfdosen, die man nicht habe verfallen lassen wollen.
Ist der Impfstoff einmal verdünnt und für die Impfung zubereitet, ist
er nur wenige Stunden haltbar. Wenn Termine abgesagt werden oder
Impfkandidaten sich kurzfristig umentscheiden, können durchaus am
Ende des Tages Dosen übrig bleiben, die dann schnell injiziert werden
müssen. Die meisten der 401 Landkreise und kreisfreien Städte in
Deutschland haben aber schon in den ersten Tagen der Impfkampagne
Strategien entwickelt, wie diese Impfreste trotzdem der ersten
Prioritätsgruppe zuteil werden können.

Die meisten führen dazu eine Art Warteliste, etwa mit Hochbetagten
oder medizinischem Personal, die im Falle einer übrig gebliebenen
Dosis schnell zur Verfügung stehen. Die Frage der Verschwendung
stellt sich aber nicht erst am Ende eines Impftages, sondern schon am
Anfang, wenn die Impfdosen des Tages vorbereitet werden. Einen
besonders sparsamen Weg haben die dafür auch sonst bekannten Schwaben
entwickelt: In Ulm werden täglich nur 90 Prozent der eingeplanten
Dosen vorbereitet. Bei Bedarf tauen die Impfteams dann weitere
Ampullen auf.

In Halle hingegen fielen laut Oberbürgermeister allein in den ersten
40 Tagen der Impfkampagne 585 übrig gebliebene Dosen an - das waren
fünf Prozent der bis dahin gespritzten Gesamtmenge. Jeden Tag
bereitete die Stadt also theoretisch gut 14 Impfdosen oder
zweieinhalb Ampullen mehr zu als benötigt, die der «Zufallsgenerator»

dann neben berechtigten Kandidaten wie Fachärzten oder
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Rettungsdiensten eben auch
Stadträten und Angehörigen des Katastrophenstabs zugelost haben soll.

Gerade in Sachsen-Anhalt, wo bis zum Freitag erst sieben Prozent der
Hochbetagten und nicht einmal die Hälfte des berechtigten
medizinischen Personals durchgeimpft waren, fällt es vielen schwer zu
glauben, dass die Dosen verfallen wären, hätten Wiegand und seine
Mitarbeiter das Impfangebot des «Zufallsgenerators» abgelehnt.

Nicht nur Politiker fordern daher Strafen für die Verstöße. Drei
Hallenser stellten noch am Wochenende des Bekanntwerdens Strafanzeige
gegen ihren Verwaltungschef. Die Staatsanwaltschaft räumte denen in
einer ersten Bewertung zwar kaum Chancen ein, betonte aber, dass die
moralische Wertung der Vorgänge nicht ihr Auftrag sei. Die
Magdeburger Landesregierung prüft derzeit disziplinarische Maßnahmen
gegen Wiegand und andere zu früh geimpfte Amtsträger. Die Deutsche
Stiftung Patientenschutz forderte die Bundesregierung auf, die
Verstöße unter Strafe zu stellen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reagierte am Freitag auf
die Forderungen und kündigte an, Sanktionen gegen Vordrängler zu
prüfen. Es gehe darum, ob Sanktionen Sinn machen könnten, sagte Spahn
in Berlin. Um Vorgänge wie die Impfungen in Halle künftig zu
vermeiden, könnten auch klarere Regeln für den Umfang mit den übrigen

Dosen helfen. Die gibt es in Deutschland bisher nicht. «Ich werde mit
den Ländern darüber sprechen, ob wir das noch ein Stück verbindlicher

regeln», sagte Spahn.