Die Mutanten kommen - Was bedeutet das für die Impfungen? Von David Hutzler, dpa

Das Impfen gegen das Coronavirus rollt gerade erst richtig an, schon
drohen neue Varianten das Infektionsgeschehen zu übernehmen. Wie kann
der Schutz vor dem Coronavirus trotzdem klappen? Die wichtigsten
Antworten im Überblick.

Berlin (dpa) - Die Entwicklung in Deutschland klingt
besorgniserregend: In stichprobenartigen Untersuchungen hat sich
binnen zwei Wochen der Anteil der ansteckenderen britischen
Virusvariante B.1.1.7 von knapp 6 auf über 22 Prozent erhöht.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnet damit, «dass die
Variante bald auch bei uns die dominierende werden könnte.» Nur: Was

bedeutet das für den mühsam erreichten ersten Fortschritt beim
Impfen? Wirken die Impfstoffe überhaupt gegen Mutanten? Experten
geben etwas Entwarnung - und machen Hoffnung.

Schützen die aktuellen Impfstoffe gegen neue Varianten?

Noch sieht es recht gut aus. Ein Fall in Niedersachsen etwa, wo
mehrere bereits geimpfte Bewohner eines Pflegeheims positiv auf
B.1.1.7. getestet wurden, sei «nicht besorgniserregend, sondern
zeigt, dass die Impfung funktioniert», sagt der Generalsekretär der
Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl. In dem Heim
habe es zunächst keine schweren Verläufe gegeben. Und das zu
verhindern sei die Aufgabe der Impfung. «Die vorhandenen Vakzine
schützen bislang alle vor schwerer Krankheit und Tod», sagt auch der
Gießener Virologe Friedemann Weber. Zwar könne man nun annehmen, dass
bei Mutationen der Impfschutz in Bezug auf die Symptomatik etwas
sinke und es schwerere Verläufe geben könne. Aber: «Ein Stück weit

schützt die Impfung immer.»  

Generell bereite die britische Variante «am wenigsten Kopfschmerzen»,
meint Watzl und verweist auf entsprechende Studien. Kniffliger wird
es bei der südafrikanischen Mutante: Studienergebnisse warfen jüngst
Zweifel an der Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs auf. Es schützt
demnach nur minimal vor leichten und moderaten Erkrankungen. Doch die
Studie sei relativ klein, und es seien nur jüngere Menschen mit
generell eher leichten Verläufen einbezogen worden, meint Watzl. Es
gebe also keine Daten für schwere Krankheitsverläufe. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt den weiteren Einsatz.
Beim Impfstoff der Hersteller Biontech/Pfizer deuten erste
Laborergebnisse auf eine Wirksamkeit auch gegen Schlüsselmutationen
der britischen wie auch der südafrikanischen Variante hin.

Wie leicht kann der Impfstoff an neue Varianten angepasst werden?

Noch helfen Impfstoffe also zumindest teilweise gegen aufkommende
Varianten. Sollten sie künftig angepasst werden müssen, könnte das
insbesondere bei den auf Boten-RNA (mRNA) basierenden Impfstoffen von
Biontech, Moderna oder perspektivisch auch Curevac schnell gehen. «Da
muss man nur die Buchstabenreihenfolge im genetischen Bauplan
ändern», sagt Watzl. Er schätzt, dass eine Umstellung der Produktion

in rund sechs Wochen machbar wäre. Das deckt sich mit Angaben der
Hersteller. Etwa doppelt so lange könnte seiner Einschätzung nach der
Prozess bei Vektor-Impfstoffen wie etwa dem von Astrazeneca dauern.
Astrazeneca kündigte jüngst eine neue Impfstoff-Generation für den
Herbst an, die besser vor Varianten schützen soll.

Hinzu kommt aber noch die Zulassung. Wie lange der Zulassungsprozess
dauert und welche konkreten Anforderungen an einen umgestellten
Impfstoff gestellt werden, wird derzeit auf EU-Ebene diskutiert. Nach
Angaben des in Deutschland für Impfstoffe und biomedizinische
Arzneimittel zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts werden dort erste
Vorschläge und Ideen diskutiert. Nach Einschätzung von Watzl müsste
man für den kompletten Prozess bis zur Anwendung grob vier bis sechs
Monate veranschlagen.

Wie oft muss die Impfung in Zukunft aufgefrischt werden? 

Das hängt zum einen daran, wie schnell die Wirksamkeit des
Impfstoffes nachlässt, wie Weber erklärt. Wie schnell die Wirkung der
Corona-Impfstoffe abnimmt und wann eine Nachimpfung nötig wird, dazu
fehlen bislang langfristige Daten.

Die andere Unbekannte ist, ob neue Mutationen auch neue Impfstoffe
erfordern. «Coronaviren sind im Vergleich zu anderen Viren
behäbiger», erklärt Weber. Solange sie jedoch in großer Zahl in
Umlauf sind, ist auch die Wahrscheinlichkeit von Mutationen höher.
Insgesamt könne er sich «durchaus vorstellen, dass man künftig jeden

Herbst nachimpfen muss». Immunologe Watzl schätzt, dass «erst nach
mehreren Jahren» aufgefrischt werden muss. Einig sind sich die
Experten jedoch in einem Punkt: Das Thema wird uns die kommenden
Jahrzehnte begleiten.

Kann der Körper mehrere Corona-Impfungen in kurzer Zeit verkraften?

Viele Menschen werden wohl erst im Sommer geimpft. Was aber, wenn im
Herbst bereits eine neue Mutante eine rasche Auffrischung nötig
macht? «Ich sehe überhaupt kein Problem, mehrere Dosen hintereinander
zu spritzen», sagt Watzl. Das Immunsystem könne das ab. Mit den mRNA-
und Vektor-Impfstoffen wird dem Körper kein abgeschwächtes Virus
gespritzt, wie etwa bei einer Gelbfieber-Impfung. Sondern es wird
spezifisch eine Immunreaktion gegen einen Teil des Coronavirus
angeregt. Daraus entstehen Gedächtniszellen, die dann den Impfschutz
geben, wie Watzl erklärt.

Wichtig sei, genug zeitlichen Abstand zu anderen Impfungen zu haben
und die zweite Dosis in einer Impfreihe nicht zu früh zu setzen.
«Denn dann wäre die Immunreaktion der ersten Dosis noch nicht
abgeschlossen.» Kein Problem sei auch, die zweite Impfung etwas
später als empfohlen zu erhalten. Die zweite Dosis sei aber in jedem
Fall wichtig.

Ist es denkbar, Impfstoffe zu kombinieren? 

Noch läuft es hierzulande so: Wer die erste Spritze mit
Biontech-Impfstoff erhält, wird auch die zweite von Biontech
erhalten. Doch theoretisch wäre es auch möglich, in einer Reihenfolge
verschiedene Impfstoffe zu spritzen. «Immunologisch geht das, und es
wird auch oft gemacht», sagt Weber. Auch Watzl vermutet, dass das
«wahrscheinlich kein Problem» sei. Solange aber keine Studien
vorliegen, könne man nur im Konjunktiv bleiben. Es braucht also
Forschung, bevor in Deutschland ernsthaft über solche Schritte
nachgedacht wird.

Hilft ein globales Impfprogramm gegen Mutationen? 

Etliche Stimmen kritisieren die globale Impfstoff-Verteilung und
mahnen, das könne auch hierzulande zum Problem werden. Das
Argument: Wenn sich das Virus in einigen Weltregionen frei entfalten
kann, entstehen mehr Mutationen, die irgendwann auch in Deutschland
ankommen. «Die Pandemie ist nicht vorbei, wenn Deutschland geimpft
ist, sondern wenn die ganze Welt geimpft ist», sagt Watzl. Auch Weber
plädiert für ein globales Impfprogramm.

Beide machen aber auch klar: Sobald in Deutschland ausreichend
geimpft wurde, sei eine Grundimmunität in der Bevölkerung vorhanden,
die es neuen Varianten schwerer macht. «Wenn dann eine Mutante
durchkommt, sind wir nicht mehr so ungeschützt», erklärt Watzl. Auch

Weber rechnet nicht damit, dass neue Mutationen den Fortschritt in
der Pandemiebekämpfung in Deutschland auf null zurücksetzen.

Wie viele Virusvarianten sind noch denkbar? 

Seit Beginn der Pandemie hat das als behäbig geltende Sars-CoV-2
schon mehrere potenziell ansteckendere und gefährlichere Varianten
ausgeprägt - obwohl es noch keine Herdenimmunität gab und der
Anpassungsdruck für das Virus relativ gering war. Wird es also mit
steigender Immunisierung gefährlicher? «Das ist schwierig
vorherzusagen», sagt Weber. Es könne sein, dass eine nur mittlere
oder «halbgare» Immunität in der Bevölkerung die Entstehung neuer
Varianten begünstige. Dann seien viele Viren unterwegs, was
Mutationen wahrscheinlicher mache. Und es gebe hier und da einen
Anpassungsdruck, auf den das Virus reagiere.

Wann klappt das hierzulande mit der Herdenimmunität? 

Die wirksamste Waffe auch gegen Mutationen wäre die vielbeschworene
Herdenimmunität. Die könnte man vielleicht schon im Herbst erreichen,
meint Weber. Bis dahin werde die Impfstoff-Produktion massiv
hochgefahren. Sollten dann Varianten wie etwa B.1.1.7. vorherrschen,
müssten für eine Herdenimmunität wohl mindestens 80 Prozent der
Bevölkerung immun sein. Auch Watzl denkt, dass dem Virus bis zum
Herbst eine weitgehend immunisierte Bevölkerung gegenübersteht und
die Infektionszahlen gedrückt sind: «Ich bin optimistisch, dass wir
das schaffen.» Bis dahin seien ein weiteres Einhalten der
Abstandsregeln und andere Maßnahmen nötig: «Wir werden uns aus dies
er
aktuellen zweiten Welle nicht rausimpfen können.»