Experte: Johnson hat keinen nachhaltigen Erfolg bei liberalen Medien

London (dpa) - Die jüngsten Erfolge in Streitigkeiten mit der EU
haben das Ansehen des britischen Premierministers Boris Johnson in
linken und liberalen Medien nach Einschätzung eines Experten nicht
nachhaltig verbessert. «Für den Moment kann sich Johnson darin
sonnen, eine Entscheidung richtig getroffen zu haben und von Europa
beneidet zu werden», sagte der Journalismusprofessor Tor Clark von
der Universität Leicester der Deutschen Presse-Agentur. «Aber das
ändert nichts an der Einschätzung liberaler Medien, dass er ein
schlechter Premierminister ist, der eine schlechte Regierung führt,
die mehr falsch als richtig gemacht.»

Die EU hatte zeitweise angedroht, Kontrollen beim Export von
Impfstoffen einzuführen und dafür eine wichtige Vereinbarung des
Brexit-Protokolls zu Nordirland außer Kraft zu setzen. Daraufhin
hatten auch EU-freundliche Medien wie die Zeitung «Guardian» oder das
Online-Portal «Politico» sich überraschend deutlich auf die Seite der

britischen Regierung geschlagen und die EU scharf attackiert.

«Auch liberale oder antikonservative Medien konnten die Ereignisse
nur als einen EU-Fehler darstellen», sagte Clark. «Sie unterstützen
die Regierung von Johnson nicht und werden sie auch nicht
unterstützen, aber die Einführung von Impfstoffen und das Verhalten
der EU bedeuten für die Regierung derzeit leichte Siege.»
Grundsätzlich aber hätten die liberalen Medien in Großbritannien
überhaupt keine Sympathie für die Johnson-Regierung.

So hätten sie in vielen anderen Fragen, etwa zu Maßnahmen gegen die
Ausbreitung des Coronavirus, deutlich kritischer berichtet.
«Insgesamt werden die Auswirkungen des Brexits negativ gesehen»,
sagte Clark. «Die Impf-Frage ist nachrangig im Vergleich zu den
langfristigen Auswirkungen des Rückgangs beim Handel mit der EU.»

Der Handelsexperte David Henig vom Thinktank European Centre for
International Political Economy kritisierte, ein Großteil der
britischen Medien scheue die Details kniffliger Fragen. Außerdem
stehe ein erheblicher Teil der Printmedien der EU geradezu feindlich
gegenüber. «Impfstoffe werden als nationale Erfolgsgeschichte
gesehen, und es gibt kein Verlangen, die Details aufzubereiten»,
sagte Henig der dpa. «Ich denke, es handelt sich um eine
oberflächliche Herangehensweise an Nachrichten in Kombination mit
Vorurteilen gegen die EU.»