Jubel und Frust - Wie Deutschland auf den längeren Lockdown reagiert Von Basil Wegener, David Hutzler, Sascha Meyer und Jörg Ratzsch, dpa

Die einen haben weiter Furcht vor den Virus-Varianten - die anderen
sind bestürzt wegen der andauernden Schließungen: So richtig
zufrieden sind mit den Beschlüssen zum Lockdown nur wenige.

Berlin (dpa) - Jubel bei den Friseuren, verhaltene Zustimmung bei den
Virologen, Ärger beim Handel - die Reaktionen auf die Verlängerung
des Lockdowns bis zum 7. März und die anderen neuen Corona-Beschlüsse
könnten kaum kontroverser sein. Was steckt dahinter und wie dürfte es
nun in den Wirtschaftsbranchen und bei den Infektionszahlen konkret
weitergehen?

Was ist jetzt bei den Friseuren los?

Eine Welle von Friseurbesuchen baut sich auf. «Eigentlich will jeder
Kunde schon in der ersten Woche drankommen», berichtet der Präsident
des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks, Harald Esser mit
Blick auf das Öffnungsdatum 1. März. Für viele wird es eine Frage von

Wohlfühlen und Ästhetik sein. Begründet wird die Friseuröffnung
damit, dass gebrechliche Menschen zur Hygiene darauf angewiesen
seien. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte
dazu im rbb: «Es mag für viele nicht das wichtigste und dringlichste
Thema sein. Aber wer sich nicht mehr komplett alleine versorgen kann,
nicht mehr ganz so beweglich ist, braucht einfach auch für seine
Hygiene diese Unterstützung.» Auch sollte ein im Lockdown beim
Frisieren gewachsener «Schwarzmarkt», so Innenminister Horst Seehofer
(CSU), gestutzt werden.

Warum die Friseure - und nicht etwa auch Schuhmacher oder Juweliere?

Das regt zum Beispiel der Erlanger Infektionsimmunologen Christian
Bogdan an. Wie viele andere Wissenschaftler findet er die
Einschränkungen nötig. Er sagt aber, ohne Risiko könnten dann etwa
auch kleine Einzelhandelsgeschäfte ohne Massenandrang öffnen. Müller

hingegen betont: «Jeder für sich kann natürlich gut begründen, dass

er natürlich Hygienekonzepte hat (...), aber wir haben im Herbst
gesehen, dass es am Ende die Fülle von Kontakten, von Verkehren, von
Begegnungsmöglichkeiten ist, die dann doch wieder zu hohen Inzidenzen
führen.»

Wie soll es in den Schulen weitergehen?

Schritt für Schritt - und Land für Land. Vorbereiten können sich die

Kita-Kinder und Grundschüler in vielen Ländern auf ein Ende der Zeit
zuhause ab Montag in einer Woche. Die Begründung: Schule zu Hause ist
für kleine Kinder und deren Eltern oft besonders schwer. Freunde,
Spielen und Gemeinschaft sind besonders wichtig. Manche Experten
schätzen, dass kleinere Kinder sich selbst weniger mit Corona
anstecken und auch weniger ansteckend sind. Meist startet die Schule
wieder im Wechselbetrieb - Klassen werden geteilt und besuchen
abwechselnd die Schule. Die Schul- und Kita-Organisation lag schon
die ganze Zeit in der Länderregie, wie im Föderalismus vorgesehen. Je
schärfer die Krise, desto stärker war aber die Bereitschaft
einheitlich vorzugehen.

Was ist mit den Geschäften, Restaurants und Kneipen?

Der Handel bleibt bis mindestens 7. März geschlossen und öffnet auch
erst wieder ab einer Inzidenz von 35 in den Ländern, also wenn es
binnen sieben Tagen nur noch so viele gemeldete Neuinfektionen pro
100 000 Einwohner gibt. Eine Perspektive für die Gastronomie gibt es
noch nicht - denn, so die Überlegung, an Restauranttischen sitzt man
normalerweise nicht mit Abstand zu anderen und nicht mit Maske.

Wie groß ist das Verständnis in diesen Branchen?

Ihre offiziellen Vertretern zeigen sich wütend. Die Verluste gehen in
die Milliarden. Viele Betriebe fürchteten um ihre Existenz, heißt es.
Die Rücklagen seien oft längst aufgezehrt, mahnt etwa der BTE
Handelsverband Textil. «Es ist der blanke Horror», sagt
Geschäftsführer Rolf Pangels. Der Handelsverband Deutschland (HDE)
warnt vor massenweise Geschäftsaufgaben in den Innenstädten.

Ist eine Pleitewelle in der Corona-Krise unabwendbar?

Insgesamt in Deutschland nicht. Von Januar bis November 2020 gab es
laut Statistischem Bundesamt 15,9 Prozent weniger Insolvenzen als im
Vorjahreszeitraum. Grund sind die Ausnahmen von der
Insolvenzantragspflicht in der Krise. Im Januar wurde ein Rückgang
bei den Firmeninsolvenzen von 34 Prozent verzeichnet. Der
Berufsverband der Insolvenzverwalter rechnet auch wegen weiter
geltender Ausnahmen nicht mit einer Insolvenzwelle im ersten
Halbjahr.

Was halten Virologen von der Lockdown-Verlängerung?

Sie halten sie überwiegend für nötig und gut. Es müssten aber für

einzelne Regionen auch schärfere Regeln durchsetzbar bleiben, sagt
Berit Lange, Epidemiologin am Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Und zwar dann, wenn die
hochansteckenden Virus-Mutationen sich in einer Region stark
ausbreiten. Lange: «Wenn die neuen Virus-Varianten deutlich zunehmen,
wird man das in den überregionalen Daten erst mit einer gewissen
Verzögerung sehen. Die Frage ist dann: Um wie viel kann ich die
Entwicklung noch abmildern?» Etwa in einigen ostbayerischen Regionen
übernahm die stärker ansteckende Variante aus Großbritannien nach
Angaben von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nun die Oberhand.

Was steckt hinter der neuen 35-er Marke genau?

Zuletzt ging die Zahl der Neuinfektionen (Inzidenz) pro 100 000
Einwohner in sieben Tagen herunter - von knapp 200 kurz vor
Weihnachten auf nun bundesweit 64. Die Spanne reicht aber noch von
106 in Thüringen bis zu 55 oder 56 in Rheinland-Pfalz, Berlin und
Baden-Württemberg. Lange erklärtes Ziel ist, bundesweit unter 50 zu
kommen. Dann sollen Gesundheitsämter Infektionsketten wieder
nachspüren können. Gedacht war diese Schwelle bereits bisher nur als
Alarmmarke. Nun vereinbarten Bund und Länder die niedrigere Schwelle
für Öffnungsschritte: Stabil höchstens 35 neue Fälle pro 100 000
Einwohner in sieben Tagen - über die genaue Umsetzung, auch die
Bezugsebene dafür, entscheiden die Länder, wie die Bundesregierung
erläuterte. Und stabil heißt laut Merkel: Mindestens drei Tage lang.

Wann könnte die 35er-Inzidenz erreicht werden?

Womöglich bereits Anfang März. «Unsere optimistischsten Vorhersagen
zeigen, dass wir bereits in zwei Wochen die 50er-Inzidenz erreichen
können», sagt etwa die Mathematikerin Maria Barbarossa vom Frankfurt
Institute for Advanced Studies. Bis zum 7. März könnten sich die
Zahlen in Richtung der 35 entwickeln - vorausgesetzt, der Lockdown
bleibt bis dahin konsequent. Allerdings gebe es auch mit Blick auf
die neu aufkommenden Virusvarianten Unsicherheiten. So bedeute etwa
die Öffnung der Schulen auch wieder, dass insbesondere in den Städten
mehr Menschen im öffentlichen Nahverkehr unterwegs sind.