Brustimplantate-Skandal: Gericht verurteilt TÜV zu Schadenersatz

Silikonkissen, die aufreißen: ein Horror-Szenario für Frauen mit
Brustimplantaten. Seit Jahren schon kämpfen sich die Opfer durch alle
Instanzen. Ein Hersteller hatte Billigsilikon verwendet. Im Fokus
steht auch der TÜV Rheinland - er hatte die Produktion zertifiziert.

Aix-en-Provence/Köln (dpa) - Im Skandal um minderwertige
Brustimplantate hat ein französisches Berufungsgericht den TÜV
Rheinland zur Zahlung von Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt.
Der TÜV Rheinland habe bei der Zertifizierung der Produktion des
Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) seine Pflichten verletzt,
teilte das Berufungsgericht in Aix-en-Provence am Donnerstag mit.
Damit bestätigt das Gericht vorangegangene Entscheidungen des
Handelsgerichts von Toulon, wonach der TÜV haftbar ist. Der TÜV
kündigte an, eine Berufung beim Kassationshof zu prüfen. Aus Sicht
von Opfern ist das Urteil wegweisend.

Der inzwischen insolvente Hersteller PIP hatte jahrelang billiges
Industriesilikon für seine Implantate verwendet. Die reißanfälligen
Implantate könnten Schätzungen zufolge weltweit bei Hunderttausenden
Frauen eingesetzt worden sein. Betroffen sind auch Frauen aus
Deutschland. Die Opfer berichteten etwa von Silikonkissen, aus denen
das Gel herausgesickert sei. Der TÜV Rheinland hatte das
Qualitätssicherungsverfahren von PIP zertifiziert. Die Klägerinnen
werfen ihm deshalb Schlamperei vor. Das Unternehmen sieht sich
dagegen selbst als Opfer der Täuschung von PIP.

Das Handelsgericht in Toulon hatte 2017 den TÜV Rheinland zur Zahlung
von etwa 60 Millionen Euro Schadenersatz an rund 20 000 Klägerinnen
verurteilt. Gegen die Entscheidung ging der TÜV Rheinland in
Berufung. Er musste den Frauen damals bereits vorläufig den
Schadenersatz von etwa 3000 Euro zahlen. Das Berufungsgericht
erklärte nun allerdings 6205 Klagen für unzulässig, da anhand der
eingereichten Unterlagen nicht sichergestellt werden könne, dass die
Klägerinnen das vom TÜV zertifizierte Modell trugen. Den anderen
13 456 Klägerinnen sprach das Gericht Schadenersatz zu.

Nach Angaben des Gerichts in Aix-en-Provence handelt es sich bei der
aktuellen Entscheidung um die erste Anerkennung der Haftung des TÜV
im PIP-Fall durch ein Berufungsgericht. Für Opferanwalt Olivier
Aumaître ebnet diese Entscheidung den Weg zur Entschädigung für Opfer

aus aller Welt. «Es ist ein entscheidender Sieg nach zehn Jahren
juristischem Kampf im Dienste der Opfer», hieß es in einer Mitteilung
des Opferverbands PIPA World.

Das Berufungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass der TÜV Rheinland nach
der europäischen Verordnung über Medizinprodukte verpflichtet gewesen
wäre, die Herkunft der verwendeten Materialien zu überprüfen. Dazu
hätten die Lagerbücher des Herstellers PIP untersucht werden müssen.

Eine solche Kontrolle hätte es dem TÜV und seinem französischen
Unterauftragnehmer ermöglicht, die Diskrepanz zwischen der Menge des
vom einzigen zugelassenen Lieferanten bezogenen Gels und der Anzahl
der hergestellten Brustprothesen festzustellen, so das Gericht. Diese
Feststellung hätte unangekündigte Kontrollen zur Folge haben müssen.


Der TÜV argumentiert hingegen, dass er den Anforderungen der
entsprechenden EU-Verordnung nachgekommen sei. «TÜV Rheinland teilt
nicht die Auffassung des Berufungsgerichts Aix-en-Provence»,
reagierte die Anwältin von TÜV Rheinland, Christelle Coslin, laut
Mitteilung. Der TÜV habe stets verantwortungsvoll und im Einklang mit
allen geltenden Vorschriften gearbeitet. TÜV Rheinland ist ein
unabhängiger Prüfdienstleister. Weltweit sind dort mehr als 20 000
Menschen beschäftigt.

Gegen den TÜV Rheinland laufen in Frankreich mehrere Verfahren - das
aktuelle in Aix-en-Provence ist das größte. In einem anderen
Verfahren mit rund 400 Klägerinnen hatte das Berufungsgericht von
Versailles eine Haftung des TÜV zuletzt verneint, wie dieser
mitgeteilt hatte. In einem weiteren Verfahren mit rund 2000
Klägerinnen wird eine Entscheidung im Mai erwartet. Auch in Toulon
läuft noch ein Verfahren, in dem im Sommer ein Urteil fallen soll.