Expertin begrüßt Vorgaben für Corona-Lockerungen - aber mit Vorbehalt

Schulen, Geschäfte, Dienstleister, Kultur - wer darf wann wieder
öffnen, falls sich die Corona-Lage entspannt? Auch nach den neuen
Bund-Länder-Beschlüssen bleibe Vorsicht geboten, mahnt eine Expertin.

Braunschweig/Berlin (dpa) - Die neuen Vorgaben für mögliche
Corona-Lockerungen stoßen bei einer Expertin auf Zustimmung.
Angesichts der Risiken durch mutierte Viren müssten regional aber
auch schärfere Regeln durchsetzbar bleiben, sagte Berit Lange,
Epidemiologin am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in
Braunschweig, der Deutschen Presse-Agentur. «Natürlich musste man den
Lockdown verlängern, darum kamen wir nicht herum», betonte sie am
Donnerstag.

Die Orientierung an einer Sieben-Tage-Inzidenz von 35 statt bisher 50
Neuinfektionen je 100 000 Einwohner halte sie für «keine schlechte
Idee». Ein präziser Stufenplan müsse jedoch ebenso «nach oben
durchdekliniert» sein - «falls, auch innerhalb des aktuellen
Lockdowns, wieder Verschärfungen bei höheren Werten nötig werden
sollten».

Die Politik müsse bei womöglich wieder anschwellenden Zahlen mit
neuen Beschränkungen gegensteuern können, betonte Lange. Dies sei
wichtig, um die insgesamt erzielten Fortschritte nicht zu gefährden -
gerade mit Blick auf infektiösere Varianten des Erregers Sars-CoV-2.
«Wir brauchen da Abstufungen in beide Richtungen», sagte die
Medizinerin nach den Bund-Länder-Beschlüssen vom Vorabend. «Wenn die

neuen Virus-Varianten deutlich zunehmen, wird man das in den
überregionalen Daten erst mit einer gewissen Verzögerung sehen. Die
Frage ist dann: Um wie viel kann ich die Entwicklung noch abmildern?»

Eine Aussicht auf Entspannung dürfe nicht dazu führen, dass sich die
Menschen vorschnell in Sicherheit wähnten. Dies gelte vor allem für
das mögliche Auftreten neuer Hotspots, sollte sich etwa die zunächst
in Großbritannien entdeckte Variante B.1.1.7 hierzulande stärker
verbreiten. «Um eine steigende Dynamik zu brechen, braucht man schon
jetzt auch eine klare regionale Strategie», mahnte Lange.

«In einzelnen Landkreisen müssten zusätzliche Einschränkungen mög
lich
sein. Auf Ebene der Länder ist das aus politischen Gründen offenbar
nur noch schwer durchsetzbar - auf regionaler Ebene sähe das für
einen kurzen Zeitraum vielleicht anders aus», sagte sie. Im Fall
steigender Inzidenzen müsse man verschärft reagieren. «Das Argument
«Wir sind doch schon im Lockdown» kann dann nicht mehr gelten.»

Lange zeigte Verständnis für den dringenden Wunsch, die Grundschulen
wieder zu öffnen. «Wir sollten aber auch hier vorsichtig sein und die
Reihenfolge und zeitlichen Abstände zu Öffnungen in anderen Bereichen
genau im Blick haben», unterstrich sie. Die Menschen dürften aus der
Öffnung von Schulen zum Beispiel nicht den Eindruck gewinnen, dass
die Situation dann auch in anderen Bereichen bereits sicherer sei.

Schnelltests für Lehrkräfte und Kita-Personal seien zu begrüßen -
aber nicht nur dort. «Ein durchgängiges Testen müsste man eigentlich

in jedem Bereich haben, den man öffnen möchte», sagte Lange. «Das
sollte Teil der Öffnungsstrategie sein. In Krankenhäusern oder
einigen großen Unternehmen wird das ja auch schon so gemacht.»

Skeptischer gab sich die Epidemiologin zur Frage, ob in Schulen und
Kinderbetreuung auch frühere Impfungen angestrebt werden sollten.
«Das vornehmliche Ziel der Impfstrategie, wie sie bisher konzipiert
ist, ist es, die Zahl der Todesfälle zu drücken», so Lange. «Also
haben alte Menschen mit einem hohen Risiko und diejenigen, die
täglich in Kontakt mit ihnen sind, Vorrang. Nach diesem Kriterium ist
die Impfstrategie gemacht worden - nicht so sehr nach der Frage,
welche Bereiche wir offen halten oder bald wieder öffnen wollen.»