Infektiologe: Öffnung nicht nur von Inzidenz abhängig machen

München (dpa) - Der Münchner Infektiologe Clemens Wendtner sieht in
der von Bund und Ländern beschlossenen Fortsetzung des Lockdowns den
richtigen Schritt. Vor Lockerungen im größere Stil müssten die Zahlen

weiter sinken, sagte der Chefarzt der Klinik für Infektiologie in
Schwabing der Deutschen Presse-Agentur zu den Beschlüssen vom
Mittwochabend. Neben der Inzidenz sei es notwendig, auf weitere Werte
zu schauen, besonders den Reproduktions-Wert, also die Zahl der
Neuansteckungen pro Infizierten. «Wir sind gut, aber wir dürfen das
Erreichte nicht verspielen», sagte Wendtner mit Blick auf die
Virus-Mutanten.

Er favorisiere als Voraussetzung für weitere Öffnungen eine
Sieben-Tages-Inzidenz von 25 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner.
Die nun angestrebte Inzidenz von 35 sei aus seiner Sicht «sehr
akzeptabel», jedoch kombiniert mit einem Reproduktions-Wert von
höchstens 0,7 - «besser wäre kleiner». Das könne reichen, um vor

einer großen dritten Welle zu schützen. Zugleich müsse allerdings
weiter unter Hochdruck geimpft werden. Hier müsse Deutschland noch
schneller werden. Unter Umständen müssten weitere Impfzentren
aufgebaut werden, auch Hausarztpraxen müssten einbezogen werden.

Eine Öffnung für die Friseure schon am 1. März bei strikter
Einhaltung von Hygieneauflagen und Abstandsregeln sehe er als
gangbaren Kompromiss, zumal hier nur sehr begrenzt wenige Menschen
bei entsprechender Terminvergabe zusammen kämen.

Auch bei Schulen und Kitas müsse es um Kompromisse gehen. «Die
Kinder, die am nötigsten einen geordneten Präsenzunterricht brauchen,
sind die Grundschulkinder. Dazu kommen die Kleinkinder in den Kitas.
Das werden die Bereiche sein, bei denen wir bei aller Vorsicht in
eine Präsenz kommen sollten», sagte Wendtner. Er mahnte allerdings
auch hier zur Wachsamkeit und verwies auf Ausbrüche mit der Variante
aus Großbritannien in Kindergärten.

Die No-Covid-Strategie, die mit einem radikalen Lockdown eine
Inzidenz von Null erreichen will, halte er hierzulande - zumal im
Winter - für nicht realistisch. «Deutschland ist ein Land in der
Mitte Europas und ein Transitland.» In Neuseeland und Australien, wo
diese Vorgehen funktioniert habe, herrschten andere Bedingungen.