) Wie die Corona-Warn-App eine dritte Infektionswelle verhindern soll Von Christoph Dernbach, dpa

Die Corona-Warn-App des Bundes hat die zweite Corona-Infektionswelle
in Deutschland nicht verhindern können. Dabei ist sie kein «zahnloser
Tiger», sondern wird nur von zu wenigen Smartphone-Besitzern genutzt.
Eine Zusatz-Funktion könnte die Wirksamkeit spürbar erhöhen.

Berlin (dpa) - Der Start der Corona-Warn-App im vergangenen Sommer
war hoffnungsvoll. Innerhalb weniger Wochen wurde die Schwelle von
zehn Millionen Downloads durchbrochen. Doch dann wurde es ruhig um
die Anwendung, die mit Hilfe von Bluetooth-Signalen feststellen kann,
ob zwei Nutzer sich über einen gewissen Zeitraum hinweg gefährlich
nahe gekommen sind.

Nun sollen die Nutzungszahlen der App noch einmal einen Schub
bekommen, denn die Anwendung kann nun auch von Besitzern der älteren
iPhone-Modelle 5s und 6 genutzt werden. Die neuste Version steht seit
Mittwoch im App-Store von Apple zum Herunterladen bereit. Es kann
allerdings mehrere Stunden dauern, bis die aktualisierte App in der
neuen Version 1.12 auch für alle iPhone-Nutzer sichtbar wird.

Das Robert Koch-Institut (RKI) kommt mit der Aktualisierung der
Forderung nach, die Nutzung der App auch den Besitzern von älteren
Smartphones zu ermöglichen. In Deutschland sind schätzungsweise noch
1,7 Millionen ältere Apple-Smartphones aktiv, auf denen nicht das
bislang notwendige Betriebssystem iOS 13 oder 14 laufen kann. Die
aktuelle Version der App gibt sich nun auch mit iOS 12.5 zufrieden,
das auch auf dem iPhone 5s oder 6 läuft.

Was die Nutzungszahlen angeht, sind die Apple-Kunden aber ohnehin
schon gut vertreten: Die Zahl der 25,4 Millionen Downloads verteilt
sich auf 14,0 Millionen Android-Geräte und 11,4 Millionen Download
von einem iPhone. Dabei sind in Deutschland vier Mal so viele
Smartphones mit dem Google-Betriebssystem Android in Gebrauch als
iOS-Geräte von Apple. Es müssten also vor allem Android-User dazu
motiviert werden, die App zu verwenden.

So oder so: Um noch effizienter zur Vermeidung einer dritten
Infektionskette beitragen zu können, braucht die App noch mehr
Nutzer. Denn der Wirkungsgrad hängt maßgeblich von den Anwenderzahlen
ab. Nur wenn Nutzer der App bei ihren Aktivität auf andere
App-Anwender treffen, kann das Tracing funktionieren.

Henning Tillmann, Informatiker und Co-Vorsitzender des
Digital-Thinktanks D64, beklagt verpasste Chancen, mit denen man die
App noch populärer hätte machen können: «Im vergangenen Sommer war

die App weltweit der Spitzenreiter, doch dann wurde vergessen, sie
weiterzuentwickeln», sagte Tillmann Anfang Februar auf einem Kongress
der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz
(EAID). So sei das Führen eines Kontaktdatenbuches, das der Virologe
Christian Drosten bereits im August vorgeschlagen habe, erst im
Januar ermöglicht und in der App umgesetzt worden.

Immerhin habe das RKI die richtige Grundsatz-Entscheidung getroffen,
nämlich auf die technischen Schnittstellen von Apple und Google zu
setzen. Tillmann verweist darauf, dass Frankreich und Australien
mittlerweile den Versuch aufgegeben, ohne die Hilfe der großen
Silicon-Valley-Konzerne klar zu kommen. Die dort entwickelten Apps
mit eigenen Schnittstellen haben nicht funktioniert und sind
gefloppt.

Dass die deutsche App technisch funktioniert, wird inzwischen kaum
mehr angezweifelt, auch wenn sich etliche Anwender gewundert haben,
dass die App in den vergangenen Wochen kaum noch Risikobegegnungen
angezeigt hat. Die Verringerung der Zahl der ungefährlichen
Risikobegegnungen war aber nicht auf einen Defekt zurückzuführen,
sondern einer neuen Zählmethode. Mit der Version 1.9, die Mitte
Dezember veröffentlicht wurde, konnte präziser gesteuert werden,
welche Begegnungen gezählt werden sollen und welche irrelevant waren.

Auch wenn die meisten App-User das noch nicht selbst erlebt haben:
Bei wirklich gefährlichen Begegnungen schlägt sie an. Und sie gibt
die Warnungen zuverlässig weiter. Über die App haben bislang über 240

000 Personen, die selbst positiv auf das Coronavirus getestet wurden,
ihre Mitmenschen gewarnt. Bei einem geschätzten Durchschnittswert von
fünf Begegnungen mit anderen App-Nutzern dürften damit über eine
Million Warnhinweise ausgelöst worden sein.

Wie wirksam Corona-Warn-Apps sein können, zeigen auch aktuelle Zahlen
aus Großbritannien. Alleine in England und Wales seien mit einer der
deutschen App vergleichbaren Anwendung rund 600 000 Infektionen
verhindert worden, teilte das britische Gesundheitsministerium mit.
Die britische App verzeichnet bislang rund 21,6 Millionen Downloads.

Die Zahl der Warnungen in Deutschland - und damit die Wirksamkeit der
App - könnte allerdings noch viel höher sein, wann tatsächlich alle
Nutzer, die ein positives Testergebnis erhalten haben, dies auch in
die App eintragen und damit die vorgesehene Alarmkette auslösen
würden. Von den 391 000 positiven Testergebnissen, die seit September
über einen QR-Code oder einer TeleTAN aus dem Callcenter der Telekom
verifiziert wurden, lösten nur 59 Prozent den Warn-Mechanismus aus.
41 Prozent der betroffenen Nutzerinnen und Nutzer haben sich dagegen
entschieden, ihr positives Testergebnis mit den anderen Nutzerinnen
und Nutzern zu teilen.

An der Freiwilligkeit wollen die Verantwortlichen trotz dieser
enttäuschenden Quote nichts ändern. Künftig soll aber eine
Erinnerungsfunktion nachhaken, ob die Warnmeldung in der
Stresssituation einer positiven Corona-Diagnose nicht einfach nur
vergessen wurde.

Informatiker Tillmann, der sein Konzept zusammen mit dem
SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach erarbeitet hat, äußert noch
einen weiteren dringenden Erweiterungswunsch: Die Corona-Warn-App
sollte unabhängig vom Aufspüren potenziell gefährlicher
Einzelbegegnungen in der Lage sein, Clusterbildungen - beispielsweise
in einem Restaurant - zu erkennen. Massenansammlungen von Menschen
könnten wegen der Aerosoleausschüttung auch dann gefährlich sein,
wenn die 1:1-Kontakte relativ weit auseinander stattfinden.

Zum einen könnte die App so erweitert werden, dass die Anwender sich
bei einem Event oder einem Restaurantbesuch selbst einchecken können.
Mit einer moderaten Änderung der Schnittstellen von Google und Apple
könnte dies auch automatisch passieren. «Wenn es an diesem Ort dann
eine Infektion gab, würden hier anonym die Menschen gewarnt.»