Jahr des Rindes: 60 Prozent weniger Reisen wegen Virus-Angst in China Von Andreas Landwehr, dpa

Die Chinesen in aller Welt erwarten das Jahr des Rindes. Nach dem
schlimmen Corona-Jahr der Ratte soll es weniger turbulent werden.
Aber auch wenn China das Virus weitgehend im Griff hat, können
Millionen Chinesen zum Neujahrsfest nicht zu ihren Familien reisen.

Peking (dpa) - Das Coronavirus vermasselt den Chinesen auch ein
zweites Neujahrsfest. Mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie in
Zentralchina haben die Behörden das Milliardenvolk dazu aufgerufen,
zu dem wichtigsten chinesischen Familienfest nicht wie üblich in die
Heimatorte zu reisen. Was sonst die größte jährliche Völkerwanderun
g
der Welt mit Hunderten Millionen Reisenden ist, dürfte im Vergleich
zum letzten «normalen» Neujahrsfest vor zwei Jahren um 60 Prozent
kleiner ausfallen, wie das Transportministerium erwartet. «Bleibt, wo
ihr seid!», lautet die Ansage.

Dabei bedeutet den Chinesen das Neujahrsfest vielleicht noch mehr,
als wenn in Deutschland Weihnachten und Neujahr zusammenfiele. Hinzu
kommt, dass jeder fünfte Chinese als Wanderarbeiter gilt und nicht
dort arbeitet, wo seine Familie herkommt. Nach dem Mondkalender wird
das neue Jahr in der Nacht zum Freitag Ortszeit (Donnerstag 17.00 Uhr
MEZ) begrüßt: Es steht diesmal unter dem chinesischen
Tierkreiszeichen des Rindes - oder auch des Ochsen oder Büffels. Nach
dem wilden Corona-Jahr der Ratte soll es friedlicher und harmonischer
werden, sagen zumindest Wahrsager vorher.

Als das Sars-CoV-2-Virus im Dezember 2019 in Wuhan ausbrach, wurde
kurz vor dem vergangenen Neujahrsfest eine Ausgangssperre für mehr
als 50 Millionen Menschen in der zentralchinesischen Metropole und
benachbarten Städten verhängt. Es war der Beginn der bis dahin
beispiellosen Maßnahmen, mit denen das bevölkerungsreichste Land das
Virus weitgehend in den Griff bekommen hat. Der Alltag hat sich
inzwischen wieder normalisiert.

Auf nur wenige Fälle reagiert China seither sofort mit Abriegelung,
Massentests, Kontaktverfolgung und Zwangsquarantäne. Seit dem Sommer
gab es zunächst nur noch wenige lokale Infektionen. Doch erlebte
China seit Jahresanfang in den Provinzen Jilin, Heilongjiang, Hebei
wieder größere Ausbrüche - in Peking und Shanghai einzelne
Ansteckungen. Die Behörden waren alarmiert, weil sie Lücken in der
Vorbeugung vor allem im ländlichen Raum zeigten.

Die Lage hat sich seither wieder beruhigt, ist im Vergleich zu
anderen Ländern auch völlig undramatisch. Da die Behörden aber eine
unkontrollierte Ausbreitung befürchteten, warnten sie schon früh
davor, zum Neujahrsfest zu den Familien in die Heimat zu reisen. Wer
trotzdem reist, sollte am besten einen negativen Corona-Test in der
Tasche haben. Dennoch droht ihm, daheim erstmal zwei Wochen in
Quarantäne zu müssen, was lokale Stellen selbst anordnen können.

«So viel Urlaub habe ich nicht», sagt der Pekinger Friseur Wang, der
mit seiner Frau sonst zu jedem Neujahrsfest seinen Sohn in
Nordostchina besucht, der wie häufig in China bei den Großeltern
aufwächst. «Die örtlichen Behörden heißen uns nicht willkommen.
» So
werden sie ihr achtjähriges Kind nicht sehen können und in der
Hauptstadt bleiben müssen, wo beide vor Jahren Arbeit gefunden
hatten. «Es fällt uns nicht leicht. Aber was sollen wir machen?»

Auch Arbeitgeber sind in der Pflicht, ihre Mitarbeiter an einer
Heimreise zu hindern. Erzählt wird von Chefs, die vorher die
Kündigung einfordern, wenn einer ihrer Angestellten dennoch reisen
will. «Sie wollen nicht zur Verantwortung gezogen werden, falls es
ein Problem gibt», sagt ein Angestellter eines Sportclubs. Nach der
Rückkehr könne vielleicht ein neuer Vertrag gemacht werden. «Aber
sicher ist das nicht. Wer reist, trägt das Risiko.»

Es gibt auch Anreize wie Einkaufsgutscheine oder die zu Neujahr
üblichen «roten Umschläge» mit Geldgeschenken in Höhe von zum Tei
l
sogar 1000 Yuan, umgerechnet 129 Euro, für Wanderarbeiter, die nicht
in ihre Heimatdörfer reisen. Ein willkommener Nebeneffekt: Der Konsum
wird gleich mit angekurbelt. Dennoch, es wird ein trauriges
Neujahrsfest: Auch Tempelfeste und Neujahrsmärkte wurden abgesagt, um
größere Menschenansammlungen zu vermeiden. «So werden wir alle daheim

hocken und Fernsehen schauen», sagt eine Sekretärin deprimiert.