Mit Schlafwägen gegen die Kälte

Gerade jetzt im Winter treibt es so manchen Obdachlosen in die
Not-Unterkünfte. Sie haben kaum noch Möglichkeiten, sich tagsüber
aufzuwärmen oder etwas Geld zu sammeln. Und nachts im Freien zu
schlafen, kann den Tod bedeuten.

Koblenz/Mainz/Kaiserslautern/Bingen (dpa/lrs) - Angesichts der
klirrenden Kälte haben Städte und Hilfsorganisationen ihre Angebote
für obdachlose Menschen in Rheinland-Pfalz teils ausgeweitet. In
Koblenz etwa seien die 28 Plätze in einem Übernachtungsheim der
Caritas belegt, erklärte ein Sprecher der Stadt. Die Stadt wolle nun
weitere Obdachlose in zwei Hotels unterbringen. In den Wohnungen der
Stadt könnten 30 Personen untergebracht werden, aufgrund der
Corona-Pandemie würden derzeit aber nicht alle Plätze genutzt.

Zudem habe der Stadtrat die Verwaltung aufgefordert, die Erfahrungen
in Ulm abzufragen, wo spezielle Schlafkapseln aufgestellt wurden. Die
sogenannten Ulmer Nester stehen zwar im Freien, sind aber aus Holz
und Blech gefertigt und isoliert. Als Ergänzung zum bestehenden
Angebot seien die Schlafkojen sinnvoll, erklärte Jürgen Michel vom
Koblenzer Verein Die Schachtel, vor allem für diejenigen, die nicht
in eine Einrichtung gehen wollten. «Die Menschen in Not sind so
allerdings auch präsent und könnten Übergriffen ausgesetzt sein»,
meinte Michel. Zudem sei fraglich, wie und durch wen die Kapseln in
Koblenz betreut werden sollten.

Michels Angaben zufolge gibt es in der Stadt 30 bis 50 Obdachlose und
rund 500 Wohnungslose. Drei Mal die Woche sei aktuell wie in jedem
Winter der Kältebus unterwegs, um Obdachlose vor dem Kältetod zu
bewahren. Schlafsäcke, Isomatten, warme Getränke, Essen und Kleidung
werde dann unter den Betroffenen verteilt.

Etwas ähnliches wie die «Ulmer Nester» will der Mainzer
Sozialmediziner Gerhard Trabert der Stadt nun ebenfalls vorschlagen -
als Notlösung: Einfache Holzwägen auf Rädern, in denen man geschütz
t
vor der Kälte schlafen könne. Sie seien schon einmal bei der
Zitadelle in Mainz im Einsatz gewesen, das Ordnungsamt habe die
Nutzung damals jedoch untersagt.

Trabert vom Mainzer Verein Armut und Gesundheit schätzt, dass derzeit
noch zehn bis 15 Personen in Mainz im Freien übernachten. «Es könnten

aber auch noch mehr sein, wir schauen gerade in den Tiefgaragen
vermehrt nach», sagte Trabert. In den Heimen seien keine Plätze mehr
frei, auch die Container seien belegt. Es werde überlegt, nun vier
statt drei Menschen pro Container unterzubringen. «Es geht jetzt
einfach ums Überleben», meinte Trabert. In der Housing Area seien die
25 Plätze ebenfalls belegt, so Trabert, die Stadt will hier nach
eigenen Angaben weitere zehn Plätze zur Verfügung stellen.

In Kaiserslautern seien die Obdachlosen derzeit gut versorgt, sagte
Peter Lehmann, Leiter des Caritas-Förderzentrums St. Christophorus.
Im Übernachtungsheim der Caritas könnten sie momentan auch aufgrund
der Corona-Pandemie unbefristet bleiben, normalerweise gelte ein
Maximum von fünf Übernachtungen im Monat. Das Heim sei für
Übernachter mit 40 Personen voll belegt, in der Not gebe es aber noch
Platz.

Seit 1993 ist Ralf Blümlein mit einem Kältebus im Landkreis
Mainz-Bingen und der Stadt Mainz unterwegs. Ab Oktober würden
Schlafsäcke, Isomatten und wärmende Wäsche verteilt. «Wir wollen,
dass die Leute schon im Vorfeld versorgt sind, nicht erst, wenn es
kalt wird.» In Bingen werde in der Einrichtung der Wohnungslosenhilfe
des Caritasverbandes derzeit coronabedingt niemand weggeschickt, alle
Plätze seien belegt, etwa 15 Personen untergebracht. Die
Wohnungslosen, die jetzt noch draußen übernachteten, schliefen meist
in kleinen Hütten auf Obstfeldern.

Hotels zu öffnen, sei eine gute Sache, Blümlein sieht aber auch die
Kirchen in der Pflicht. «Warum nicht Kolping- oder Gemeindehäuser
öffnen?», schlägt Blümlein vor. Auch weitere Wohncontainer
aufzustellen, sei in der Region Mainz-Bingen angebracht.

Die Stadt Ludwigshafen stellt Obdachlosen unter anderem eine
«Kältewohnung» bereit. «Sie wird geöffnet im Winter, wenn um 19.3
0
Uhr die Temperatur unter null Grad Celsius fällt», sagte eine
Sprecherin. Die beheizte Zweiraumwohnung mit Toilette und Warmwasser
sei etwa 32 Quadratmeter groß, die Ausstattung bestehe aus vier
Betten und vier Spinden. «Sie wurde erstmals am 22. November 2018
geöffnet, ist anonym und kostenfrei nutzbar», sagte die Sprecherin.

«Für Obdachlose in Deutschland ist es der vielleicht schlimmste
Winter in der Nachkriegsgeschichte», sagte der Buchautor Richard
Brox. Dabei gäbe es seiner Ansicht nach Abhilfe, wenn Kommunen und
Kreise an einem Strang ziehen würden. «Zum Beispiel die Öffnung von
leerstehenden Hotels, Pensionen und Gästehäuser in Zusammenarbeit mit
Facheinrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Dort könnten Obdachlose
betreut werden», sagt der 56-Jährige in Ludwigshafen. Brox hatte 30
Jahre lang keinen festen Wohnsitz. Dann schrieb er ein Buch darüber -
«Kein Dach über dem Leben» verkaufte sich mehr als 40 000 Mal.

«Tagesaufenthalte zum Aufwärmen, Duschen und zum Wäsche waschen sind

weitestgehend geschlossen», klagte Brox. Auch viele Tafeln seien zu.
«Notübernachtungen haben die Kapazitäten reduziert oder ganz
geschlossen. Ämter und Behörden sind dicht. Ergo gibt es auch keine
geregelten Auszahlungen von Tagessätze mehr. Kein Hartz IV, keine
Krankenversicherung, nichts. Auch keine Veranstaltungen mehr - was
das Leergut sammeln fast auf Null reduziert.»

Blümlein und Michel appellierten an Bürgerinnen und Bürger,
Obdachlose anzusprechen, ob sie Hilfe benötigten oder alles in
Ordnung sei. Denn manch einer wolle zwar nicht in eine Einrichtung,
sei jedoch vielleicht dankbar, wahrgenommen zu werden.