Virologe: Corona-Impfstoffentwicklung «gigantisch schnell»

Zu wenig, zu langsam - die Kritik an den Corona-Schutzimpfungen in
Deutschland reißt nicht ab. Dass bereits geimpft werden kann, ist aus
Forschersicht allerdings eine Sensation.

Marburg (dpa/lhe) - In der Debatte um Deutschlands
Corona-Impfstrategie hat der Marburger Virologe Stephan Becker das
außergewöhnliche Tempo bei der Entwicklung der Impfstoffe in
Erinnerung gerufen. «Man muss jetzt wirklich mal sagen, dass dies in
einer sensationell schnellen Zeit gemacht worden ist», sagte der
Direktor des Instituts für Virologie an der Uni Marburg der Deutschen
Presse-Agentur. «Während man früher etwa zehn bis 15 Jahre gebraucht

hat, bis man einen Impfstoff fertig entwickelt hatte, dauerte es -
wie uns Biontech/Pfizer und Moderna vorgemacht haben - weniger als
ein Jahr.» Das sei «gigantisch schnell».

Diese Hersteller setzen auf die neuartigen mRNA-Impfstoffe. An
solchen Impfstoffen an sich wird allerdings schon seit Jahren
geforscht, etwa im Kampf gegen Zika und Tollwut.

Kritiker sehen einen schleppenden Start der Impfkampagne und monieren
die knappen Mengen der verfügbaren Mittel. Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) hält dagegen: Voraussichtlich im Sommer könne allen
in Deutschland ein Impfangebot gemacht werden. Der limitierende
Faktor seien die Produktionskapazitäten. Zugelassen sind derzeit nur
die Impfstoffe des Mainzer Unternehmens Biontech und seines
US-Partners Pfizer sowie des US-amerikanischen Herstellers Moderna.

«Man muss sehen, dass man natürlich nicht die Milliarden von
Impfstoffdosen, die wir weltweit brauchen, alle auf einmal haben
kann. Das geht nicht», betonte Becker. «Die Botschaft ist: Es gibt
Impfstoffe, die wirksam und gut verträglich sind. Und die Produktion
wird in einer wirklich kurzen Zeit noch mal erhöht, so dass die
Anzahl der Impfstoffdosen in diesem Jahr für Deutschland ausreichend
sein wird.»

Mit Blick auf die Kritik an der Impfstrategie des Bundes sagte der
Forscher, es sei im Nachhinein schwer einzuschätzen, ob und welche
falschen Entscheidungen getroffen worden seien. «Was man sicher sagen
kann, ist, dass die Entwicklung und die Förderung der Entwicklung für
Impfstoffe richtig war.» In der aktuellen Diskussion gebe es in der
öffentlichen Meinung und in den Medien ein Hin und Her - «ich glaube,
das muss man einfach mit ein bisschen mehr Ruhe betrachten».

Becker und sein Team sind in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum
für Infektionsforschung an der Entwicklung eines Corona-Impfstoffes
beteiligt. Vor kurzem mussten die Wissenschaftler einen Dämpfer
hinnehmen: In der ersten Phase der klinischen Studie habe sich
überraschend eine zu geringe Antikörperantwort gebildet, erläuterte
der Professor. Man habe bereits Ideen, woran das liegen könne, müsse
aber noch einmal einen Schritt zurückgehen und wahrscheinlich an dem
Impfstoff etwas verändern.

Es sei wichtig, dass trotz der Verfügbarkeit der ersten zugelassenen
Corona-Vakzine weitere Impfstoffkandidaten entwickelt werden, betonte
Becker. Weil weltweit eine Riesennachfrage bedient werden müsse und
man gerade bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna
noch nicht genau wisse, wie lange der Schutz anhalte. «Insofern ist
es sinnvoll, noch ein paar Pfeile im Köcher zu haben.»