Was die Zulassung des Corona-Impfstoffs in Großbritannien bedeutet Von Silvia Kusidlo, Christoph Meyer und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

London (dpa) - Paukenschlag in Großbritannien: Das Land mit den
meisten Corona-Toten in Europa beginnt nächste Woche mit Impfungen.
Dort kommt der Impfstoff des Mainzer Herstellers Biontech und seines
US-Partners Pfizer zum Einsatz - weitere Länder könnten bald folgen.

Wird die EU nun ihr Zulassungsverfahren auch beschleunigen?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte am Mittwoch, er erwarte
eine rasche Entscheidung der Arzneimittelbehörde EMA im
Zulassungsverfahren. Doch betonte der CDU-Politiker auch den
entscheidenden Unterschied: In Großbritannien handelt es sich um eine
befristete Notfallzulassung, die in nationaler Kompetenz liegt.
Deutschland hätte auch diesen Weg wählen können, habe sich aber
bewusst dagegen entschieden, sagte Spahn. In der EU gehe es hingegen
um eine bedingte Marktzulassung, die eine umfassendere Prüfung durch
die EMA nötig mache. Das solle das Vertrauen der Bürger in den
Impfstoff stärken. Eine kleine Verzögerung im Vergleich zu
Großbritannien sei nicht dramatisch, sagte Spahn. EU-Kommissarin
Stella Kyriakides rechnet mit ersten Impfungen in der EU Anfang
Januar.

Was kosten die Impfdosen?

Die mit den Herstellern in den EU-Rahmenverträgen vereinbarten Preise
sind geheim. Offizielle Angaben dazu gibt es nicht. Anfang November
gab es jedoch Berichte, wonach die EU weniger für den
Biontech-Impfstoff zahlt als die 19,50 Dollar pro Dosis, die die USA
akzeptiert hätten. Bei Moderna liege der von der EU angestrebte Preis
pro Dosis unter 25 Dollar. Der Preis des Astrazeneca-Impfstoffs soll
nur einen Bruchteil davon betragen. Die Impfungen in Großbritannien
werden vom Nationalen Gesundheitsdienst NHS durchgeführt, der auch
die Kosten übernimmt. Insgesamt hat Großbritannien nach Angaben der
Regierung 40 Millionen Impfdosen bestellt. Premierminister Boris
Johnson warnte am Mittwoch im Parlament jedoch vor allzu großen
Hoffnungen auf eine schnelle Immunisierung der breiten Bevölkerung.

Wie wirksam ist der Impfstoff überhaupt?

Für den Biontech/Pfizer-Impfstoff ergaben umfangreiche Testreihen
nach Angaben der Unternehmen eine Wirksamkeit von 95 Prozent. Bei
über 65-Jährigen seien es 94 Prozent. Das ist besonders wichtig, denn
Senioren sind stärker durch das Virus gefährdet. Der Impfstoff
funktioniere jedoch über alle Altersgruppen hinweg gut und zeige
praktisch keine ernsten Nebenwirkungen, teilten die Firmen mit. All
diese Angaben beziehen sich auf Covid-19-Erkrankungen. Ob der
Impfstoff aber auch vor der Infektion und einer möglichen Weitergabe
des Virus schützt, ist unklar. «Wie bei jedem anderen Impfstoff wird
es nötig sein, die Sicherheit und Wirksamkeit genau zu überwachen»,
teilte der Wellcome Trust mit, eine der größten Stiftungen der Welt.

Hat der Impfstoff auch Nachteile?

Das Mittel, das zweimal gegeben wird, muss bei minus 70 Grad Celsius
transportiert und gelagert werden - das könnte für viele Länder zum
Problem werden. Dem vom britisch-schwedischen Konzern Astrazeneca
gemeinsam mit Forschern aus Oxford entwickelten Impfstoff-Kandidaten
reichen dagegen Kühlschranktemperaturen. «Angesichts dessen werden
wir sicherlich mehr als einen zugelassenen Impfstoff benötigen»,
sagte Michael Head, Experte für Globale Gesundheit an der Universität
Southampton. Der Impfstoff soll in Belgien verpackt und per
Spezialtransport nach Großbritannien gebracht werden.

Was wird alles zum Impfzentrum umfunktioniert?

Die erste Runde Impfungen soll in Kliniken und Pflegeeinrichtungen
stattfinden. Dort geht die britische Regierung am ehesten davon aus,
dass sie die Lagerungsbedingungen einhalten kann. Allerdings gab es
schon kritische Stimmen, die das bei den Pflegeeinrichtungen
bezweifelten. Geplant ist längerfristig, dass auch in Hausarztpraxen,
Sportstätten und Konferenzzentren geimpft wird.

Kann ein EU-Bürger nach Großbritannien fahren und sich impfen lassen?

Nein. Die Vergabe des Impfstoffs erfolgt zentral und nach strengen
Kriterien. Einer Kommission zufolge werden als erstes die Bewohner
und Mitarbeiter von Seniorenheimen geimpft. In einem nächsten Schritt
sollen alle über 80-Jährigen, Krankenhausmitarbeiter und andere
Pflegekräfte an die Reihe kommen, später weitere Risikogruppen.
Bereits in der kommenden Woche sollen in Großbritannien 800 000 Dosen
des Impfstoffs verabreicht werden. Noch in diesem Jahr sollen mehrere
Millionen Dosen verfügbar sein.

Wieso ist der Impfstoff gerade für Großbritannien so wichtig?

Das Vereinigte Königreich steht besonders unter Druck: In keinem
anderen europäischen Land ist die Zahl der Covid-19-Todesfälle so
hoch. Dem Gesundheitsministerium zufolge sind schon fast 60 000
Menschen gestorben, aber Experten rechnen mit einer hohen
Dunkelziffer. Noch immer mangelt es an Tests. Dem Premierminister
Boris Johnson wird vorgeworfen, zu spät und falsch auf die Pandemie
reagiert zu haben. Er selbst hatte sich anfangs damit gebrüstet,
Infizierten die Hände geschüttelt zu haben - bis er auf einer
Intensivstation selbst um sein Leben kämpfte. Der staatliche
Gesundheitsdienst NHS ist zudem seit vielen Jahren marode und
chronisch unterfinanziert. Schon bei einer normalen Grippewelle
stehen viele Kliniken vor dem Kollaps.