Menschen mit Behinderung oft von Armut bedroht

Viele Menschen mit Behinderung haben ihre Einschränkung im Leben
akzeptiert. Aber was viele nicht akzeptieren wollen: Dass sie deshalb
stärker von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Berlin (dpa) - Millionen Menschen mit Behinderung sind in Deutschland
von Armut bedroht, Hunderttausende sind arbeitslos - und die
Corona-Pandemie hat das Problem verschärft. Zum Tag der Menschen mit
Behinderungen an diesem Donnerstag werden Forderungen an die
Bundesregierung lauter, mehr für die Betroffenen zu tun. Abgebaut
werden müssten Hürden für den Arbeitsmarkt.

Der Bundesbeauftragte für Belange von Menschen mit Behinderungen,
Jürgen Dusel, warf der Bundesregierung am Mittwoch indirekt Nichtstun
bei dem Problem vor. Er forderte, «dass sie das Problem nicht nur
erkennt, sondern auch mutig und rasch handelt». Politik für Menschen
mit Behinderungen ist bei Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
angesiedelt. Dusel hat in der Regierung unter anderem die Aufgabe,
Rechtsänderungen anzuregen. Er kann aber nichts vorschreiben. Dusel
ist selbst von Geburt an stark sehbehindert.

«Menschen mit Behinderungen sind in der Corona-Pandemie stärker von
Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen ohne Behinderungen», sagte
Dusel der Deutschen Presse-Agentur. Dusel wies auf die
Ausgleichsabgabe für Unternehmen hin, die keinen Arbeitnehmer mit
Schwerbehinderung beschäftigen. Die Bundesregierung müsse die
Ausgleichsabgabe erhöhen, forderte er. Bei dieser Abgabe müssen
Arbeitgeber etwas bezahlen, wenn sie eine vorgeschriebene Zahl von
schwerbehinderten Menschen nicht beschäftigen.

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sabine
Zimmermann, sagte der dpa, es müsse endlich etwas Wirksames gegen die
Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt getan
werden. «Arbeitslosigkeit ist der Hauptgrund für Armut.»

Die IG Metall forderte die Unternehmen auf, mindestens ihre
gesetzliche Beschäftigungsquote von fünf Prozent für Menschen mit
Behinderung zu erfüllen. «Bundesweit liegt diese Quote im Schnitt
derzeit bei 4,6 Prozent, in der Privatwirtschaft nur bei 4,1
Prozent», sagte Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban der dpa. «Das
unterstreicht, wie weit wir noch von einer inklusiven Arbeitswelt
entfernt sind.»

Nach einer aktuellen Studie der Aktion Mensch und des Handelsblatt
Research Institutes lag die Anzahl der arbeitslosen Menschen mit
Schwerbehinderung in Deutschland im Oktober um rund 13 Prozent höher
als im Vorjahresmonat. Insgesamt waren im vergangenen Jahr 10,9
Prozent der Menschen mit schwerer Behinderung arbeitslos. Es waren
dagegen nur 6,2 Prozent der Menschen insgesamt.

Auch von Armutsgefährdung sind Menschen mit Behinderungen deutlich
stärker betroffen. So hatten zuletzt von den 12,8 Millionen Menschen
mit Beeinträchtigungen 18 Prozent ein Einkommen unterhalb der
Armutsrisikoschwelle. Das waren rund 2,3 Millionen Menschen in
Deutschland. Von den Menschen ohne Beeinträchtigungen waren es 15
Prozent. Diese Zahlen, die Zimmermann bei der Bundesregierung erfragt
hatte, stammen aus dem Jahr 2017. Neue gibt es demnach nicht.

Urban wies darauf hin, dass eine schwere Behinderung jeden Menschen
treffen könne - auch im Lauf des Lebens: «Nur drei Prozent der
Behinderungen sind angeboren, die meisten werden durch Unfälle,
Krankheiten oder Verschleiß verursacht.»

Dusel blickte auf die Zeit nach der Pandemie voraus, wenn die
Wirtschaft wieder anläuft und der Arbeitsmarkt entspannter ist. Auch
dann werde es erfahrungsgemäß für Menschen mit Behinderung
schwieriger sein, einen neuen und guten Job zu finden. «Nicht, weil
sie nicht qualifiziert genug sind, sondern weil sie mit zahlreichen
Hürden zu kämpfen haben.»

Zimmermann forderte die Regierung auf, die Pflichtquote zur
Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen von 5 auf 6 Prozent zu
erhöhen. Auch die Ausgleichsabgabe müsse erhöht werden. Zimmermann
richtete auch einen Aufruf an die Arbeitgeber - nämlich, «mehr
Menschen mit Behinderungen eine Chance zu geben».