Endliche Ressource Boden in Gefahr? Streit über Baurecht Von Julia Giertz, dpa

Ein Paragraf im Baurecht erhitzt die Gemüter und wirft die Frage auf,
wie wir mit einer unterschätzten, aber kostbaren Ressource umgehen.

Leimen/Berlin/Essen (dpa) - Boden ist Lebensraum für Menschen, Tiere,
Pflanzen und doch steht er im Vergleich zu Wasser und Luft nicht oft
im Fokus der Öffentlichkeit. Derzeit allerdings rückt ein
Gesetzentwurf der Bundesregierung unter der Überschrift «Mehr Bauland
für mehr Wohngebäude» ihn in den Vordergrund. Der Beschluss des
Kabinetts führt zu Kontroversen über die Frage, wie mit der endliche
Ressource Boden umgegangen werden soll.

Für Zündstoff sorgt die im Entwurf enthaltene Verlängerung des zum
Ende dieses Jahres auslaufenden befristeten Paragrafen 13 b im
Baugesetzbuch. Mittels diesem können Kommunen unter bestimmten
Bedingungen Bebauungspläne ohne Umweltprüfung aufstellen. Was
Umweltschützer als «Zersiedlungsparagrafen» anprangern, ist aus Sicht

vieler Gemeinden ein willkommenes Instrument, unkompliziert Flächen
für dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum ausweisen zu können.

Damit wird aus Sicht von Umweltschützern dem Flächenfraß Tür und To
r
geöffnet. Sie ist ein schleichendes kaum wahrnehmbares, aber nicht
minder folgenreiches Phänomen: Jeden Tag werden laut Umweltbundesamt
in Deutschland 56 Hektar Boden bebaut, zu mehr als der Hälfte durch
Wohnungsbau, Gewerbe Industrie, öffentliche Einrichtungen und zu
einem Drittel für den Verkehr. Das entspricht 78 Fußballfeldern. Da
ist es noch ein weiter Weg für den Bund, wie geplant bis 2030 den
Flächenverbrauch auf weniger als 30 Hektar pro Tag zu senken und bis
2050 die EU-Vorgabe eines Netto-Null Flächenverbrauchs zu erfüllen.

Wenn der Entwurf des Baulandmobilisierungsgesetzes so durch Bundestag
und Bundesrat ginge, wäre das aus Sicht von Christiane Kranz,
Geschäftsführerin des NABU Bezirksverbandes Rhein-Neckar-Odenwald in
Leimen, die «Vollkatastrophe». Damit würde der Arten- und
Umweltschutz nicht mehr ausreichend gewürdigt, die Beteiligung der
Öffentlichkeit reduziert. Zudem müssten die Kommunen keine
Ausgleichsflächen mehr suchen. Die mit dem Flächenverbrauch
einhergehende Versiegelung von Boden sei kaum revidierbar und töte
das Leben in ihm ab.

Bislang habe der «Schnellbauparagraf» auch nicht den versprochenen
Effekt gehabt. Denn nicht Mehrfamilienhäuser etwa für Flüchtlinge
würden an die Peripherie von Ortschaften gebaut, sondern zu 85
Prozent Einzel- und Doppelhäuser. «Das hat mit günstigerem Wohnraum
nichts zu tun und verstärkt den Donut-Effekt», bemängelt Kranz.
Darunter versteht sie den Trend absterbender Innenstädte bei
gleichzeitigem Wachstum an den Rändern - mit der teuren Folge für
Kommunen, Doppel-Infrastruktur vorhalten zu müssen.

Der Städte- und Gemeindebund hingegen sieht Grenzen für das
Wohnungsangebot in den Innenstadtbereichen. «Innen- vor
Außenentwicklung - das ist leichter gesagt als getan», sagt der
Städtebauexperte des Verbandes Norbert Portz. Auch in den
Innenstädten seien schon aus Gründen des Klimaschutzes
Frischluftschneisen, mehr Grün und Blau, unverzichtbar. Die letzten
drei heißen Sommer hätten gezeigt, dass das Stadtklima vielerorts
unerträglich wird und immer weitere Verdichtungen nicht die Lösung
seien. Häufigere Starkregen führten in den versiegelten Innenstädten

zu Überschwemmungen.

Die vom Städte- und Gemeindebund begrüßte Einbeziehung von
Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren sei an enge
Bedingungen geknüpft. «Die lassen einen Wildwuchs gar nicht zu»,
meint Portz. So sei das vereinfachte Verfahren nur für Zwecke der
Wohnnutzung und bis zu maximal 10 000 Quadratmeter großen Flächen
zulässig. Diese dürften nicht isoliert auf der grünen Wiese liegen,
sondern müssten an bereits bebautes Gebiet angrenzen. Für Portz ist
der Schlüssel zu gleichen Lebens- und Wohnverhältnissen ein Mehr an
Dezentralisierung. «Dafür stehen die Chancen mit dem coronabedingten
Trend zum Home-Office gerade nicht schlecht.»

Aus Sicht des Bundesverbandes Boden in Essen nimmt die vereinfachte
Regelung zwar für die Kommunen kurzfristig Druck aus dem Kessel.
Langfristig würden aber neue Probleme für die Gesellschaft entstehen,
denn Boden sei nicht vermehrbar, warnt Klaus Kruse von der
Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes. Neue Siedlungen entstünden
gerade auf fruchtbaren Böden, die aber für die Landwirtschaft genutzt
werden sollten. Böden seien Wasserspeicher und sorgten für Kühlung
und Grundwasserschutz. Die Vielfalt der Bodenorganismen sei riesig:
Eine Hand voll Boden enthalte mehr davon als es Menschen auf der Welt
gebe - vom Regenwurm über Asseln bis hin zu winzigen Fadenwürmern.
Die lockerten den Boden auf und verwandelten organisches Material in
Humus. Kruse betont: «Boden ist nicht einfach nur Dreck.»

Auch Umweltschützerin Kranz pflichtet bei: «Versiegelter Boden ist
tot.» Auch für die oberirdische Flora und Fauna habe der umstrittene
Paragraf gravierende Folgen. Biotopverbünde und Populationsaustausch
würden durch Zersiedlung erschwert. Darunter leide etwa der
Steinkauz. Der Nabu sammelt derzeit Unterschriften gegen das
«Aufweichen des Baugesetzes».

Was kann der fortschreitenden Versiegelung entgegengesetzt werden?
Nabu-Frau Kranz und Bodenexperte Kruse raten zum Erhalt von
Versickerungsflächen, zu für Wasser durchlässiger Pflasterung und zu

Verzicht auf Schottergärten. Gebäude könnten behutsam aufgestockt
werden. Weitere Empfehlungen: Dächer begrünen und gemeinsame
Grünflächen statt Mini-Handtuch-Gärten anlegen.