Alle Augen auf die Ema: So prüft die EU-Behörde die Corona-Impfstoffe Von Wilhelm Pischke, dpa

Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Die ersten Pharmafirmen möchten von
der EU die Erlaubnis für ihren Corona-Impfstoff. Wie läuft die
Zulassung ab und wann kann schließlich geimpft werden?

Berlin (dpa) - Im Wettlauf um einen Corona-Impfstoff haben Hersteller
zu Wochenbeginn gleich für zwei Vakzine die Zulassung in der EU
beantragt. Der Mainzer Hersteller Biontech zusammen mit
dem US-Pharmariesen Pfizer sowie das US-Unternehmen Moderna hoffen
darauf, möglichst bald eine sogenannte bedingte Zulassung zu
bekommen. Nun ist die Europäische Arzneimittel-Agentur (Ema) am Zug.
Die Anzeichen verdichten sich, dass bereits in diesem Jahr ein
Impfstoff zugelassen werden könnte. Die wichtigsten Antworten zum
Zulassungsprozess - und wie es danach weitergeht.

Wie läuft eine Zulassung in Europa generell ab?

Da heute praktisch kein Impfstoff mehr ausschließlich für den
deutschen Markt zugelassen wird, ist dieses Verfahren größtenteils
durch das zentrale europäische Zulassungsverfahren ersetzt worden.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (Ema) mit Sitz in Amsterdam ist
dabei als zentrale Prüfstelle zuständig. Nach einem Prüf-Verfahren
gibt der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) eine Empfehlung über
den Zulassungsantrag ab. Diese bildet die Basis für die endgültige
Zulassungsentscheidung durch die EU-Kommission. In der Regel folgt
die Kommission der Ema-Empfehlung.

Was bedeutet das neue Rolling-Review-Verfahren?

Die Zulassungsanträge für Corona-Impfstoffkandidaten können in einem

«Rolling-Review» bewertet werden - das ist sowohl bei Moderna als
auch beim aussichtsreichen Vakzin von Biontech/Pfizer der Fall. Das
Verfahren dient der Beschleunigung der Bewertung durch die Ema. Die
Beurteilung des Impfstoffkandidaten wird bereits begonnen, bevor alle
erforderlichen Daten für einen «normalen» Zulassungsantrag
eingereicht wurden. Die Ema bietet bereits während der Entwicklung
schnelle wissenschaftliche Beratung mit einer eigens ins Leben
gerufenen Covid-19 Task Force (Etf). Trotz Beschleunigung bleiben die
Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit der
betreffenden Arzneimittel nach Aussage der Ema unverändert hoch.

Wie lange dauert nun die Prüfung der Ema?

Die Europäische Arzneimittel-Agentur Ema will noch im Dezember über
eine Zulassungsempfehlung für den Corona-Impfstoff der Mainzer Firma
Biontech und des US-Pharmakonzerns Pfizer entscheiden. Bis spätestens
29. Dezember soll ein Ergebnis der Prüfung vorliegen, teilte die
Agentur am Dienstag in Amsterdam mit. Zum Antrag des US-Konzerns
Moderna auf Zulassung seines Impfstoffs werde eine Entscheidung bis
zum 12. Januar erwartet.

Was genau prüft die EMA während des Zulassungsprozesses?

Die Vorteile eines Covid-19-Impfstoffs müssen nach
EU-Arzneimittelgesetzgebung weitaus größer sein als alle
Nebenwirkungen oder potenziellen Risiken. Der Ausschuss für
Humanarzneimittel (CHMP) mit Wissenschaftlern aus allen europäischen
Zulassungsbehörden übernimmt die Beurteilung des neuen Mittels.
Experten geben Einschätzungen zur Wirkung des Arzneimittels ab und
äußern sich zu Unsicherheiten der Daten. Außerdem können sie dem
Antragssteller weitere Fragen stellen. Der Ausschuss für
Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) bewertet die
Arzneimittelsicherheit.

Wie entscheidet die Kommission?

Ein Kommissionssprecher sagte am Dienstag, das Verfahren könnte nach
einer Ema-Empfehlung binnen Tagen abgeschlossen sein. Vor der
Entscheidung der Kommission werde Rücksprache mit einem
Expertengremium gehalten, in dem alle EU-Staaten vertreten sind.
Dieses muss mit qualifizierter Mehrheit zustimmen.

Was bedeutet eine bedingte Zulassung?

Im Falle der beiden nun zu prüfenden Impfstoffe soll es eine bedingte
Zulassung geben. Eine solche Zulassung soll dringliche medizinische
Bedürfnisse befriedigen. Die Ema schreibt dazu: «Im Interesse der
öffentlichen Gesundheit kann den Antragstellern eine bedingte
Genehmigung für das Inverkehrbringen solcher Arzneimittel erteilt
werden, wenn der Nutzen einer sofortigen Verfügbarkeit das Risiko,
das von weniger als normalerweise erforderlichen Daten ausgeht,
überwiegt (...).» Die Zulassungsauflagen schreiben vor, dass fehlende
Daten beispielsweise zur Langzeitwirksamkeit oder Daten in bestimmten
Subgruppen so schnell wie möglich nach Zulassung nachgereicht werden
müssen. Eine bedingte Zulassung gilt für ein Jahr und kann verlängert

werden.

Wie schnell nach der Zulassung können die ersten Menschen geimpft
werden?

«Ein Impfstoffes darf (..) nur in den Verkehr gebracht werden, wenn
sie von der zuständigen Bundesoberbehörde freigegeben ist», heißt e
s
im Arzneimittelgesetz. Diese Prüfung nimmt nach der EU-Zulassung das
Paul-Ehrlich-Institut in Berlin vor. Wie lange diese Prüfung dauert
beantwortete das Institut aus dpa-Anfrage nicht. Da nach Ansicht des
Gesundheitsministeriums zu Beginn nicht ausreichend Impfstoff zu
Verfügung steht, um den gesamten Bedarf zu erfüllen, sollen prioritär

bestimmte Risikogruppen geimpft werden. Die Priorisierung des
Ministeriums erfolgt unter der Mithilfe des Deutschen Ethikrats und
der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Wie ist der Stand der Vorbereitungen auf die Impfungen in
Deutschland?

Bund und Länder stellen sich darauf ein, dass «bei bestmöglichem
Verlauf» noch im Dezember mit ersten Impfstoff-Lieferungen gerechnet
werden kann. Die Länder haben dem Bund dafür rund 30 Anlieferstellen
genannt. Impfungen sollen dann zunächst über regionale Impfzentren
der Länder und mobile Teams laufen, die in Pflegeheime oder Kliniken
gehen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung soll «standardisierte
Module» entwickeln, damit Patienten telefonisch und digital Termine
vereinbaren können. Im Detail festzulegen ist zudem die Reihenfolge
von Impfungen - die kann auch davon abhängen, welcher Stoff zuerst
verfügbar und für welche Gruppen verträglich ist. Generell sollen
Risikogruppen und Gesundheitspersonal Priorität haben. Die Regierung
hat mehrfach klar gemacht, dass es keine Impfpflicht geben soll.