Tourismus: Erholung nach dem Corona-Krisenjahr lässt auf sich warten Von Friederike Marx und Jan Petermann, dpa

Reisewarnungen, Stornierungen und Umsatzverluste in Milliardenhöhe:
Der Tourismus hat ein Horrorjahr hinter sich. Wie lange hat die
Corona-Krise die Branche noch im Griff? Und was bedeutet das für
Urlauber?

Frankfurt/Hannover (dpa) - Schnäppchen-Lust statt Corona-Frust? Mit
Frühbucher-Rabatten werben Reiseveranstalter nach dem Krisenjahr 2020
um Kunden. Doch diese zögern bislang noch mit Buchungen für die
schönsten Wochen des Jahres - zu groß ist die Ungewissheit. Die
Menschen verzichten nicht deshalb aufs Reisen, weil sie nicht wollen,
«sondern weil sie nicht können», sagt der Branchenexperte Martin
Lohmann. «Die Nachfrage ist potenziell da.» Bisher deutet sich an,
dass zunächst vor allem Ziele in Deutschland und den Nachbarländern
gefragt sind, die mit dem Auto, per Bus oder Bahn erreicht werden
können. Mancherorts könnte es sogar eng werden.

«Bei erdgebundenen Reisen stellen wir für den Sommer eine hohe
Nachfrage fest. Es ist möglich, dass nicht jeder sein Wunschhotel
bekommt, wenn er später bucht», berichtet Ingo Burmester,
Zentraleuropa-Chef von DER Touristik. Branchenprimus Tui weist darauf
hin, dass «nicht das ganze Volumen, das sonst ins Ausland gegangen
wäre, hier in Deutschland aufgenommen werden kann». Im Vorkrisen-Jahr
2019 führten nach Angaben des Reiseverbandes DRV fast 74 Prozent der
Urlaubsreisen ins Ausland.

Das Problem: «Stetige Änderungen der Einreisemodalitäten und
Reisewarnungen sorgen noch für eine Buchungszurückhaltung», stellt
FTI-Group-Geschäftsführer Ralph Schiller fest. Immerhin: «Seit die
Nachricht bekannt ist, dass es noch in diesem Winter einen Impfstoff
gegen das Coronavirus geben soll, sind die Buchungsanfragen deutlich
gestiegen. Das zeigt uns, dass die Menschen unbedingt wieder reisen
wollen.» Auch Andreas Rüttgers, Leiter Flugtouristik bei
Schauinsland-Reisen, sagt: «Die Buchungen erfolgen deutlich
kurzfristiger.» Überproportional oft entschieden sich Kunden für
Urlaubsanlagen in direkter Strand- und Meerlage.

Um die Reiselust der Bundesbürger anzuschieben, locken Veranstalter
mit günstigen Frühbucher-Rabatten, der Möglichkeit kostenloser
Stornierungen und Umbuchungen sowie Hygienekonzepten für Anreise und
Unterkunft. Denn das Corona-Krisenjahr hat tiefe Löcher in die
Bilanzen gerissen, die gestopft werden müssen.

Nach DRV-Berechnungen summieren sich die Umsatzausfälle der deutschen
Reiseveranstalter und Reisebüros bis Ende dieses Jahres auf 28
Milliarden Euro - ein in dieser Größenordnung einmaliger Einbruch von
rund 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Branchenprimus Tui und der
drittgrößte Veranstalter FTI brauchten Hilfen des staatlichen
Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Beim Tui-Konzern summiert sich die
Unterstützung - private Kapitalspritzen der Eigentümer eingeschlossen
- inzwischen auf knapp 5 Milliarden Euro. Vorstandschef Fritz Joussen
hofft, dass das Geschäft ab dem Sommer wieder stärker läuft: «Die
Leute sagen einfach: Wir haben es satt, wir wollen in den Urlaub.»

Letztlich hängt eine Erholung der Branche von Faktoren ab, die sie
nicht beeinflussen kann. Die Politik sei gefordert, sensibel mit
Reisewarnungen und Reisehinweisen umzugehen, mahnt der Präsident des
Reiseverbandes DRV, Norbert Fiebig. «Ein Zick-Zack-Kurs, wie im
laufenden Jahr gesehen, verunsichert nicht nur die Urlaubswilligen,
sondern auch die Unternehmen und erstickt die vorhandene Reiselust im
Keim.» Auch Tui wünscht sich schlüssigere Hinweise - möglichst
regionaler, präziserer Art, nicht gleich pauschal für ganze Länder.

Selbst falls das Geschäft nach einem Ende der Beschränkungen anzieht,
wird es nach Fiebigs Einschätzung noch ein oder zwei Jahre dauern,
bis das Niveau der Vorkrisenzeit erreicht wird. Einen besonderen
Vorteil hat aus seiner Sicht die Pauschalreise, «da sie den Urlaubern
zusätzliche Sicherheiten gerade in eher unsicheren Zeiten bietet».
Auch Reisebüros würden wegen des gestiegenen Beratungsbedarfs der
Kunden in Corona-Zeiten profitieren. Vieles läuft aber auch digital.

Für 2021 sind Reisebüros und Veranstalter verhalten optimistisch: «50

bis 60 Prozent der Umsätze des Rekordjahres 2019 sind hoffentlich
drin», sagt Fiebig. Voraussetzung seien die Verfügbarkeit eines
Impfstoffes und eine risikobasierte Teststrategie der Regierung.

Allerdings dürften kaum alle Veranstalter und Büros den Schock
überleben. Sollten die Beschränkungen bis zum Frühjahr bleiben, «wi
rd
in manchen Fällen die staatliche Unterstützung nicht ausreichen, weil
die laufenden Kosten ohne Geschäft auf die Dauer zu hoch sind»,
befürchtet der Tourismusexperte Torsten Kirstges. Der Professor an
der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven schätzt, dass etwa zehn Prozent
der rund 11 000 Reisebüros und etwa 50 bis 100 Veranstalter in
Deutschland gefährdet sein könnten.

Nach Erkenntnissen der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR)
ist die Reiselust der Menschen in Deutschland seit Jahren weitgehend
konstant. Daran habe sich auch in der Pandemie nichts Grundsätzliches
geändert, erklärt Lohmann, Leiter des Instituts für
Tourismusforschung in Nordeuropa (NIT) und wissenschaftlicher Berater
der FUR. «Die Produkte der Reisebranche brauchen keine Revolution.»

Das gilt nach Einschätzung von Kirstges auch für Kreuzfahrten, die
ein wichtiger Wachstumstreiber waren, aber bei Umweltschützern in der
Kritik stehen. «Kreuzfahrten werden wieder boomen.» Grundsätzlich
hält der Experte das Geschäftsmodell nicht für bedroht. Den
Geschäftsbetrieb des Veranstalters FTI Cruises hat FTI jedoch zum 31.
Oktober eingestellt. Tui erwartet dagegen, «dass wir nächstes Jahr
das Geschäft wieder anfahren und die Flotten komplett im Umlauf haben
können».

Und wenn die ersehnte Erholung kommt? «Dann muss das Geschäft schnell
wieder hochgefahren werden», sagt Kirstges. «Der Verlust von
qualifizierten Mitarbeitern - sei es, weil sie entlassen wurden,
oder, weil sie sich einen neuen Job gesucht haben - könnte die
Branche dann ein Stück weit belasten.»