Aufsteiger und Absteiger: Das innenpolitische Jahr in Namen Von Stefan Heinemeyer, dpa

Für einige Politiker geht es 2021 auf der politischen Karriereleiter
steil nach oben, für andere abwärts. Weitere verabschieden sich von
der Kletterei.

Berlin (dpa) - Wahljahre sind einschneidend für Karrieren von
Politikerinnen und Politiker. Wunschträume werden wahr oder
zerplatzen. Aber auch die extrem fordernde Corona-Krise befördert
oder behindert ihr Fortkommen. Wiederum andere nehmen Abschied aus
der Politik. Ein Überblick der Politikerinnen und Politiker, die das
Jahr 2021 prägten:

Olaf Scholz: Dass der 63-Jährige ins Kanzleramt einziehen könnte, war
zu Beginn des Jahres schwer vorstellbar. Nach Stationen als Hamburger
Innensenator, SPD-Generalsekretär, Bundesarbeitsminister, Hamburgs
Erster Bürgermeister, Bundesfinanzminister und Vizekanzler folgte nun
der nächste Schritt auf der Karriereleiter. Am 8. Dezember wurde
Scholz als neunter Kanzler der Bundesrepublik gewählt und vereidigt.
Die Bildung der ersten Ampel-Koalition gelang vergleichsweise
geräuschlos. Die Herausforderungen für Scholz, Deutschland in die
Zukunft zu führen, sind enorm. Von der alten Bundesregierung erbt er
die Bewältigung der Corona-Krise.

Armin Laschet: Für den CDU-Politiker ging es auf der Karriereleiter
lange Zeit nur nach oben. Oft unterschätzt, setzte er sich immer
wieder durch. Der 60-Jährige wurde Minister in Nordrhein-Westfalen,
CDU-Landeschef, Ministerpräsident, CDU-Bundesvize. Im Rennen um die
Nachfolge von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer behielt er
gegenüber Friedrich Merz und Norbert Röttgen Anfang des Jahres die
Oberhand, ebenfalls im zermürbenden Machtkampf mit CSU-Chef Markus
Söder um die Kanzlerkandidatur der Union. Doch bei der Bundestagswahl
stürzte die Union auf den historischen Tiefstand von 24,1 Prozent ab.
Laschet gab den Ministerpräsidentenposten und den CDU-Vorsitz ab. Ihm
bleibt das Mandat im Bundestag.

Friedrich Merz: Zweimal war Merz mit dem Versuch gescheitert,
Parteichef zu werden. Im dritten Anlauf hat es nun geklappt: Bei
einer Mitgliederbefragung um den Parteivorsitz setzte er sich gegen
Norbert Röttgen und Helge Braun durch. Die im Januar noch nötige
Zustimmung eines Parteitages für die Personalie gilt als sicher. In
der CDU galt Merz lange als Polarisierer. Nun will er die tief
verunsicherte CDU wieder zusammenführen und aufrichten.

Markus Söder: Der Wunsch des bayerischen Ministerpräsidenten,
Kanzlerkandidat der Union und Kanzler zu werden, ging nicht auf. Als
CSU-Chef trägt auch er Mitverantwortung für das desaströse
Wahlergebnis der Union. Dauerhaft präsent war Söder auch als Mahner
in der Corona-Krise. Nach den Bund-Länder-Runden saß er meist unter
anderem mit Kanzlerin Angela Merkel auf dem Podium. Bei der
Zuspitzung der Pandemie fuhr Söder im besonders stark betroffenen
Bayern zum Ende des Jahres eine harte Linie mit vielen
Einschränkungen. Die eigene Partei will Söder nun neu aufstellen, um
bei der Landtagswahl 2023 Erfolg zu haben.

Lars Klingbeil/Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans/Kevin Kühnert: Die
Führungsriege der SPD kann sich wie auch Scholz den Wahlsieg der SPD
auf die Fahnen schreiben. Sie schafften es, dass die SPD im Gegensatz
zur Union als weitgehend geschlossen wahrgenommen wurde. Klingbeil
stieg nun auf dem SPD-Parteitag neben Esken zum Co-Parteichef auf,
nachdem der 69-jährige Walter-Borjans nicht mehr kandidierte. Der
frühere Juso-Chef Kevin Kühnert ist neuer Generalsekretär der Partei.

Angela Merkel: Nach 16 Jahren im Kanzleramt ist für Angela Merkel
Schluss mit der Bundespolitik. Das letzte Jahr ihrer Kanzlerschaft
blieb wie viele zuvor extrem fordernd, viele Krisen begleiteten sie
die vergangenen 16 Jahre. Die 67-Jährige schied zu einem Zeitpunkt
aus dem Amt, an dem das Coronavirus schlimmer als je zuvor in
Deutschland wütet. Und was macht Merkel künftig? Aus der großen
Politik will sie sich zurückziehen. Ihre Wünsche klangen in einem
Interview der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» sehr
bodenständig: «Und jetzt schaue ich, dass ein paar Sachen folgen, die
als Bundeskanzlerin etwas zu kurz kamen, vielleicht etwas reisen oder
lesen oder einfach mal Muße haben in dem Wissen, dass nicht in den
nächsten zwanzig Minuten schon wieder etwas Umwälzendes passieren
kann. Darauf freue ich mich.»

Bärbel Bas: Die 53-Jährige machte einen großen Sprung in ihrer
politischen Karriere. Als Fraktionsvize war sie vor der Wahl vor
allem in Bildungs- und Gesundheitsthemen gefragt. Nach der
Bundestagswahl wurde sie Bundestagspräsidentin. In dem Amt ist sie
nach Annemarie Renger (SPD) und Rita Süssmuth (CDU) erst die dritte
Frau. Von ihrem Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU) erbt sie die schon
länger notwendige grundlegende Reform des Wahlrechts, um ein weiteres
Aufblähen des Parlaments entgegenzuwirken. Das Problem will Bas rasch
angehen.

Annalena Baerbock/Robert Habeck: Noch im Frühjahr sah es so aus, als
könnte einer der beiden Grünen-Parteichefs ins Kanzleramt einziehen.
Nach Pannen im Wahlkampf blieb nur Rang drei bei der Bundestagswahl.
Auf der Habenseite bleibt die Beteiligung an einer Regierung, auch
wenn bei der Besetzung der Ministerposten alte Flügelkämpfe wieder
aufbrachen. Mit dem Außenministerium (Baerbock) und dem Klima- und
Wirtschaftsministerium (Habeck) übernehmen beide nun wichtige Posten.
Habeck wurde zudem Vizekanzler, der zweite Grüne nach Joschka
Fischer. Wer ihnen an der Spitze der Grünen nachfolgt, ist noch
unklar. Parteivize Ricarda Lang und der Außenpolitiker Omid Nouripour
haben ihren Hut bereits in den Ring geworfen.

Christian Lindner: Der 42-Jährige übernahm 2013 nach dem Verpassen
des Einzugs der Liberalen in den Bundestag den FDP-Vorsitz und führte
seine Partei mit einem zweistelligen Ergebnis ins Parlament und
schließlich in die Regierungskoalition. Der Makel, vier Jahre zuvor
kein «Jamaika»-Bündnis mit Union und Grünen eingegangen zu sein,
scheint vergessen. Zum Vizekanzlerposten reicht es nicht, aber
Lindner hat als Finanzminister eine Schlüsselposition in der
Ampel-Koalition inne. Er verstehe sein Haus als
«Ermöglichungsministerium», machte Lindner deutlich.

Karl Lauterbach: Am Ende kam Scholz nicht umhin, den omnipräsenten
Experten auch zum Gesundheitsminister zu machen. Nun kann Lauterbach
nicht mehr nur mahnen, sondern auch agieren, um mit der
Corona-Pandemie fertig zu werden. Er setzt dabei auf einen breit
aufgestellten Expertenrat. Mit Lauterbach zog eine Reihe von
Politikern ins Kabinett ein, mit denen mehr oder weniger gerechnet
worden war. Bemerkenswert: Mit Agrarminister Cem Özdemir gibt es
erstmals einen Bundesminister mit türkischen Wurzeln.

Claudia Roth: Dass die frühere Grünen-Chefin mal im Kanzleramt ein-
und ausgehen wird, war nicht zu erwarten. Nun ist die frühere
Managerin der Band Ton Steine Scherben um Rio Reiser
Kulturstaatsministerin. Roth versteht das Amt durchaus politisch.
Einer der ersten Termine war der Besuch der KZ-Gedenkstätte
Buchenwald bei Weimar. Solche Orte seien wichtig für die
Erinnerungskultur, sagte Roth und mahnte, gegen Hass und Hetze
aufzubegehren.

Jörg Meuthen: Nach sechseinhalb Jahren gibt der AfD-Chef den Posten
auf. Meuthen steht für einen gemäßigteren Kurs der Partei und hatte
sich bei der Rechtsaußen-Strömung viele Feinde gemacht. Das
Verhältnis zum Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla war zuletzt angespannt,
auch mit Fraktionschefin Alice Weidel liegt er über Kreuz. Meuthen
bleibt aber Europaabgeordneter.

Janine Wissler/Susanne Hennig-Wellsow: Das Führungsduo der Linken war
erst im Frühjahr frisch gewählt worden, doch ein Aufbruch war damit
nicht verbunden. Im Wahlkampf drang die Partei kaum durch mit ihren
Themen, bei der Bundestagswahl brach sie von 9,2 auf 4,9 Prozent ein.
Nur drei Abgeordneten mit Direktmandaten verdankte die Partei, dass
die Linke wieder im Bundestag mit 39 Abgeordneten (zuvor 69)
vertreten ist und nicht in der bundesweiten Bedeutungslosigkeit
versinkt. Das Vorsitzendenduo darf weitermachen, ein Aufwärtstrend
ist zwei Monate nach der Wahl in Umfragen aber nicht zu erkennen.

Franziska Giffey: Der früheren Bundesfamilienministerin machte weiter
die Affäre um Plagiate in ihrer Doktorarbeit zu schaffen, am
Jahresende steht sie aber als Gewinnerin da. Die Berliner SPD zog bei
der Wahl zum Abgeordnetenhaus noch an den Grünen vorbei, Giffey ist
seit kurz vor Weihnachten erste Regierende Bürgermeisterin der Stadt.
Sie regiert künftig wie zuvor Michael Müller mit Grünen und Linken,
nachdem auch andere Optionen ausgelotet worden waren.

Zu den Gewinnern des Jahres gehören auch die vier Länderchefs, die
ihr Amt bei weiteren Landtagswahlen behaupten konnten. Winfried
Kretschmann (Grüne) blieb Ministerpräsident in Baden-Württemberg,
Malu Dreyer (SPD) Regierungschefin in Rheinland-Pfalz, Reiner
Haseloff (CDU) regiert weiter in Sachsen-Anhalt und Manuela Schwesig
(SPD) in Mecklenburg-Vorpommern.

Einen Karrieresprung gab es dank des Wahlausgangs auch für drei
Politiker im Bundestag. Bei der FDP wurde Christian Dürr neuer
Fraktionschef und Nachfolger von Lindner in dem Amt. Die Grünen
wählten dort Katharina Dröge und Britta Haßelmann zu neuen
Fraktionschefs. Vorgänger waren Katrin Göring-Eckardt und Anton
Hofreiter. Göring-Eckardt wurde Bundestagsvizepräsidentin. Hofreiter
ging bei der Verteilung der Ministerposten leer aus und soll künftig
den Europaausschuss des Bundestages führen.

Stefan Seidler: Seidler ist der erste Politiker des Südschleswigschen
Wählerverbandes (SSW) seit rund 70 Jahren im Bundestag. Die Partei
der dänischen und friesischen Minderheit ist von der
Fünf-Prozent-Hürde befreit. Seidler sitzt als Fraktionsloser im
Parlament. Er will seine Unabhängigkeit bewahren, bei einzelnen
Themen aber auch mit anderen Fraktion zusammenarbeiten.