D wie Drosten, Q wie Querdenken: Das ABC zum Krisenjahr 2020 Von Gregor Bauernfeind, dpa

Das Jahr 2020 mit dem prägenden Thema «Corona» neigt sich dem Ende
entgegen. Es gab aber auch einen Kurzzeit-Ministerpräsidenten,
Demonstrationen und Ärger um Kassenzettel. Zeit, auf wichtige
Begriffe aus dem Krisenjahr zurückzublicken.

Berlin (dpa) - Selten gab es ein Jahr, das so stark von einem Thema
geprägt wurde wie 2020: Spätestens seit dem Frühjahr drehte sich fast

alles um das Coronavirus. Das spiegelt sich auch in einem ABC der
wichtigsten Begriffe wider.

APP: Seit Mitte Juni können sich Bürger die Corona-Warn-App des
Bundes auf ihre Smartphones laden. Das Ziel: Corona-Infektionsketten
besser erkennen. Kritiker stellen aber immer wieder die Wirksamkeit
in Frage. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) etwa
bezeichnete sie als «zahnlosen Tiger».

BLACK LIVES MATTER: Nach der brutalen Tötung des unbewaffneten
Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in den USA
gehen im Juni auch in deutschen Städten Zehntausende auf die Straße.
Der Protest richtet sich gegen Rassismus und Polizeigewalt. Es folgen
Debatten über Rechtsextremismus in der Polizei.

BONPFLICHT: Vor allem vor Ausbruch der Corona-Pandemie sorgt die
Bonpflicht für Aufsehen, die Händler mit elektronischen
Kassensystemen verpflichtet, Kunden bei jedem Kauf unaufgefordert
einen Beleg zu geben. Das soll Steuerbetrug verhindern. Handel und
Handwerk kritisieren die Vorschrift als bürokratisch und überflüssig.


CDU-VORSITZ: Nach der Ankündigung von Annegret Kramp-Karrenbauer, den
CDU-Vorsitz - und damit auch die Kanzlerkandidatur - abzugeben,
kündigen NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, Außenpolitiker Norbert

Röttgen und Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz ihre Kandidatur an.
Als ein Parteitag verschoben wird, wirft Merz Teilen des
«Partei-Establishments» vor, ihn verhindern zu wollen.

DROSTEN: Wie kein anderer steht Christian Drosten für die Virologen,
Epidemiologen und Ärzte, die zuvor nur Fachkreise kannten, auf die
während der Corona-Krise aber das ganze Land blickt. Plötzlich kennen
auch Wissenschaftslaien etwa die Virologen Hendrik Streeck und
Alexander Kekulé oder RKI-Chef Lothar Wieler.

HANAU: Im Februar erschießt ein 43 Jahre alter Deutscher aus
rassistischen Motiven neun Menschen mit ausländischen Wurzeln. Später
tötet er seine Mutter und schließlich sich selbst. Die Tat lässt
Rassismus-, Muslimfeindlichkeits- und Antisemitismus-Debatten neu
aufflammen und bewegt viele dazu, die Namen der Opfer zu teilen - um
nicht wie oft bei Anschlägen dem Täter Öffentlichkeit zu geben. Auch

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gedenkt ihrer: Sedat Gürbüz,

Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Vili-Viorel Paun, Ferhat Unvar,
Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Fatih Saraçoglu, Kaloyan Velkov.

HEINSBERG-STUDIE: Im Frühjahr während der ersten strengen
Corona-Beschränkungen ist die sogenannte Heinsberg-Studie in aller
Munde, für die ein Forscherteam um den Virologen Hendrik Streeck
Untersuchungen in Gangelt im NRW-Kreis Heinsberg anstellt, einem
frühen Epizentrum der Pandemie. Die von der nordrhein-westfälischen
Landesregierung in Auftrag gegebene Studie sorgt für Aufsehen, aber
auch Kritik an der Methodik und der Begleitung durch eine PR-Agentur.

KEMMERICH: Im Februar wird der FDP-Politiker Thomas Kemmerich völlig
überraschend mit den Stimmen der AfD-Abgeordneten zum Regierungschef
in Thüringen gewählt, nimmt die Wahl an und löst damit ein
politisches Erdbeben aus. Wenig später tritt er zurück, am Ende wird
Bodo Ramelow (Linke) wieder Ministerpräsident.

MINISTERPRÄSIDENTENKONFERENZ: Während sie vor der Pandemie selten im
Zentrum der Aufmerksamkeit stand, kommt der
Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) plötzlich große Bedeutung zu, wenn

es bei der Abstimmung von Bund und Ländern um neue Maßnahmen geht.
Teils finden die Gespräche mit Kanzlerin Merkel im Wochentakt statt.

PARLAMENT: In der MPK sind die Regierungen vertreten, Bundestag und
Landesparlamente bleiben außen vor. Auch um die Frage, wie viel
Mitspracherecht die Parlamente etwa bei Corona-Maßnahmen haben
sollen, entbrennt eine Debatte. Vorerst einigt man sich mit der
Reform des Infektionsschutzgesetzes im November, das «Leitplanken»
für die Regierungen vorsieht und etwa festhält, dass für Verordnungen

unter anderem eine Pflicht zur öffentlichen Begründung kommt.

PFLEGEKRÄFTE: Auf sie kommt es in der Pandemie entscheidend an. Im
Frühjahr während der Ausgangsbeschränkungen drücken manche per
Klatschen auf dem Balkon ihre Anerkennung aus, die Krise macht aber
auch auf ihre Bezahlung aufmerksam. Es folgt ein Tarifvertrag mit
etwas höheren Gehältern, außerdem gibt es Corona-Prämien.

QUERDENKEN: Im April demonstriert in Stuttgart erstmals die
Initiative «Querdenken» gegen aus ihrer Sicht eingeschränkte
Grundrechte. Wenig später protestieren Tausende, nicht mehr nur im
Südwesten und nicht mehr nur bei «Querdenken». Die Demonstrationen
prägen die Corona-Zeit mit. Teils setzt sich der Begriff
«Corona-Leugner» durch - auch wenn nicht alle die Existenz und
Gefährlichkeit des Virus bezweifeln. Verschwörungsmythen sind aber
weit verbreitet. Auf die Straße geht eine Mischung aus Menschen, die
teilweise zum ersten Mal auf Demos gehen: von Esoterikern,
Friedensbewegten bis hin zu Reichsbürgern und offen Rechtsextremen.
Etwa der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein,
warnt: «Das Selbstbild als verfolgtes Opfer ist und war ein zentrales
Element antisemitischer Einstellungen.»

REICHSFLAGGEN: Ende Oktober überrennen 300 bis 400 Protestler bei
einer großen Demo in Berlin die Absperrgitter am Reichstagsgebäude.
Auf den Treppen vor dem Parlament werden schwarz-weiß-rote
Reichsflaggen geschwenkt, ein Symbol der Rechtsextremen.

RUNDFUNKBEITRAG: Vordergründig geht es um ganze 86 Cent, als sich ab
Ende November die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt übel über die
geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags verkracht. Tatsächlich stellt
sich der CDU eine Gretchenfrage: «Wie hältst du's mit der AfD?» Beide

Parteien wollen das Beitragsplus verhindern und hätten zusammen eine
Mehrheit, was der CDU den Vorwurf einbringt, sich zu sehr mit der
Rechtsaußen-Oppositionspartei einzulassen. Die Koalition mit SPD und
Grünen wackelt. Weil Innenminister Holger Stahlknecht eine
Minderheitsregierung seiner Partei ins Spiel bringt, wird er von
Ministerpräsident Reiner Haseloff (beide CDU) entlassen. Der zieht
schließlich den Gesetzentwurf zurück und erspart allen eine mögliche

gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD. Die Koalition hält. Der
Staatsvertrag aber ist weiter blockiert. Kurz vor Weihnachten wies
das Bundesverfassungsgericht Eilanträge von ARD, ZDF und
Deutschlandradio gegen die Blockade ab. Damit kann der monatliche
Beitrag nicht wie geplant zum Jahreswechsel steigen.

VERFASSUNGSSCHUTZ: Der von AfD-Politikern gegründete rechtsnationale
«Flügel» um den Wortführer Björn Höcke ist, wie im März bekan
nt wird,
ein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz. Wie im Dezember
bekannt wird, steht auch eine bundesweite Einstufung der gesamten AfD
als rechtsextremistischer Verdachtsfall im Raum. Und der
baden-württembergische Verfassungsschutz beobachtet ab Dezember
mehrere maßgebliche Akteure der dortigen «Querdenken»-Bewegung.