IW: Corona-Hilfen um Milliarden zu hoch - Lob von Volkswirten Von Katharina Redanz und Michael Donhauser, dpa

Mit 30 Milliarden Euro will der Bund Betriebe unterstützen, die wegen
des Teil-Lockdowns ihre Türen zu lassen müssen. Eine Berechnung
ergibt: Deutlich weniger Geld hätte auch gereicht. Und welchen
Einfluss hat die weitere Stilllegung für die deutsche Wirtschaft?

Nürnberg/Köln(dpa) - Die November- und Dezemberhilfen des Bundes
werden Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in
Köln zufolge um zehn Milliarden Euro höher ausfallen als notwendig.
Sofern die Hilfen unverändert fortbestehen, erhalten manche von dem
Teil-Lockdown betroffenen Betriebe nun mehr Geld, als wenn sie
geöffnet hätten, wie IW-Steuerökonom Tobias Hentze am Sonntag der
Deutschen Presse-Agentur sagte.

Das gelte aber keinesfalls für alle Unternehmen, sagte Hentze. «Es
gibt natürlich auch Bereiche, die haben hohe Fixkosten - zum Beispiel
Kinobetreiber.» Insgesamt habe die Bundesregierung eher großzügig als

knapp kalkuliert. Zuvor hatte die «Welt am Sonntag» (WamS) berichtet.
Volkswirtinnen lobten die Maßnahmen der Bundesregierung.

Firmen, die vom Teil-Lockdown betroffen sind, unterstützt der Bund
mit den sogenannten November- und Dezemberhilfen - geplant sind
Zuschüsse von bis zu 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat.
Insgesamt sind dafür derzeit rund 30 Milliarden Euro veranschlagt.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte zügige erste
Abschlagszahlungen angekündigt. Das ist ein Vorschuss auf spätere
Zahlungen ohne eine tiefergehende Prüfung.

Altmaier verteidigte die veranschlagten Hilfen. «Natürlich ist die
Orientierung am Umsatz nicht hundertprozentig gerecht, aber kein
Kriterium kann für absolute Gerechtigkeit in jedem Einzelfall
sorgen», sagte er der «Welt am Sonntag». Weiterhin deutete er an,
dass die betroffenen Branchen über den Dezember hinaus nicht mit
dieser Art von Hilfen rechnen können. «Damit ist keineswegs eine neue
Automatik begründet. Wir werden uns Gedanken machen müssen, was wir
machen, wenn wir längere weitreichende Beschränkungen brauchen.»

Der IW-Schätzung zufolge hätten in der Summe zehn Milliarden Euro
weniger ausgereicht. Der Hauptpunkt dabei seien die variablen Kosten,
die für viele Betriebe nun nicht anfallen. «Die müssten eigentlich
nicht erstattet werden», sagte Experte Hentze. Im Gegensatz dazu
stünden fixe Kosten wie etwa Pacht und Miete, die Unternehmen auch
aufbringen müssten, wenn sie geschlossen sind. «Grundsätzlich würde

ich sagen, wäre eine Orientierung an den Fixkosten sinnvoll gewesen»,
sagte Hentze. Dies jedoch sei ein deutlich größerer Aufwand. Die
Bundesregierung habe sich für eine schnelle, nicht aufwendige Lösung
entschieden, mit der kein Unternehmen in der Existenz bedroht werde.

Führende Ökonominnen halten die Milliarden-Ausgaben für
gerechtfertigt. Die «Wirtschaftsweise» Veronika Grimm sagte, der
verlängerte Teil-Lockdown werde kaum gravierende Auswirkungen auf die
Wirtschaftskraft in der Bundesrepublik haben - denn die hauptsächlich
betroffenen Branchen hätten einen vergleichsweise geringen Anteil an
der Bruttowertschöpfung. So trage das derzeit weitgehend geschlossene
Gastgewerbe 1,6 Prozent bei - die gegenwärtig vergleichsweise gut
laufende Industrie dagegen einen Anteil von rund 25 Prozent und der
ebenfalls geöffnete Einzelhandel von um die 10 Prozent, sagte Grimm.

Auch Katharina Utermöhl, Volkswirtin bei der Allianz-Gruppe in
Frankfurt, geht von einer nur leichten negativen Wirkung des
Teil-Lockdowns aus, was auch für die Situation auf dem Arbeitsmarkt
gelte. «Der zweite Lockdown wird hier keine nennenswerten
Auswirkungen haben», sagte sie mit Blick auf die Arbeitslosenzahlen.
Die Bundesagentur für Arbeit wird ihre November-Statistik an diesem
Dienstag (1. Dezember) bekanntgeben.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hält staatliche
Entschädigungszahlungen an die Wirtschaft für rechtlich geboten, bis
die einschneidenden Corona-Auflagen aufgehoben werden. «Wir gehen
alle davon aus, dass wir möglichst bald einen Impfstoff haben werden.
Solange wir allerdings weitere so gravierende Einschränkungen
erleben, solange muss es aus meiner Sicht auch Hilfen geben», sagte
Lambrecht der Zeitung.

Deutliche Kritik kommt indes von der Opposition. «Wir brauchen
Corona-Hilfen, die auch langfristig gerecht funktionieren und bei
denen verantwortlich mit Steuergeldern umgegangen wird», sagte
Claudia Müller, Mittelstandsbeauftragte der Grünen-Fraktion im
Bundestag, der «WamS». Es könne nicht sein, dass bei einigen viel zu

viel und bei anderen, wie zum Beispiel Solo-Selbstständigen oder dem
Einzelhandel, viel zu wenig ankomme. FDP-Bundestagsfraktionvize
Michael Theurer kritisierte, die von Altmaier angekündigten
Abschlagszahlungen würden Gastwirten, Soloselbstständigen und
Kulturschaffenden nicht helfen. Vielmehr müsse das Geld «endlich real
auf den Konten der Betroffenen ankommen».

Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte die Bundesregierung auf,
zu viel gezahlte Corona-Hilfen zurückzufordern. «Sofern es
Überkompensierungen geben sollte, müssen diese angepasst werden»,
sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag). Überflüssige
Hilfszahlungen in Milliardenhöhe zulasten der Steuer- und
Beitragszahler habe es bereits bei Dax-Konzernen, die indirekte
Staatshilfen mitnahmen und gleichzeitig Dividenden ausschütteten,
gegeben. «Dieses Geld sollte die Bundesregierung zurückfordern, auch
um die aktuellen Hilfen damit zu einem Teil zu finanzieren.»