«Ruhig und geduldig?» Nur wenig Corona-Fälle in Schleswig-Holstein

Ist es norddeutsche Zurückhaltung, Geschick oder einfach nur das
Glück der Randlage? Der Norden Schleswig-Holsteins verzeichnete
zuletzt die niedrigsten Corona-Infektionen.

Kiel (dpa/lno) - Die Corona-Infektionsraten sind im Norden
Schleswig-Holsteins bundesweit vergleichsweise niedrig. Im Kreis
Schleswig-Flensburg lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Sonntag laut
Robert Koch-Institut unter elf. Bundesweit war die Zahl der
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche nirgendwo
niedriger. Auch der landesweite Wert lag unter 50. Gleich sechs
Kreise Schleswig-Holsteins zählten zu den zehn Landkreisen mit den
bundesweit niedrigsten Zahlen. Einzig im Kreis Pinneberg am Hamburger
Rand lag der Wert über 100.

Doch woran liegt das? «Die Leute sind hier ruhig und geduldig,
wodurch die Einschränkungen mit der entsprechenden Ruhe und
Gelassenheit hingenommen werden», sagte SSW-Landtags-Fraktionschef
Lars Harms der Deutschen Presse-Agentur. «Wat mutt, dat mutt» (Was
muss, das muss) treffe es ganz gut. «Die Zahl der Corona-Leugner
strebt hier gegen Null, wodurch eben auch niemand aus der Reihe
tanzt.»

Für Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) haben die im bundesweiten
Vergleich moderaten Infektionszahlen in Schleswig-Holstein vor allem
mit dem Zusammenspiel der Akzeptanz und dem Verständnis der Menschen
für die Notwendigkeit der Maßnahmen und «umsichtigem, aber
konsequenten Regierungshandeln» zu tun. Die Politik schaffe es gut,
«den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, regelmäßig sachlich und
nüchtern zu erklären, warum bestimmte Maßnahmen notwendig sind und
glaubhaft zu vermitteln, dass alle an einem Strang ziehen und ein
gemeinsames Ziel verfolgen: das Ende der Pandemie».

Schleswig-Flensburgs Landrat Wolfgang Buschmann sagte der
«Bild»-Zeitung, «im Norden ist es so: Die Leute halten lieber fünf

Meter Abstand, als die vorgeschriebenen 1,5. Spaß beiseite: Es gibt
viele glückliche Umstände.» Die Menschen hielten sich schlicht an die

Vorgaben. «Und: Wir sind durch die Ostsee und im Norden durch
Dänemark begrenzt. Von da kommt kein Corona.» Zu Buschmanns
Darstellung des Verhaltens der Norddeutschen passt ein Spruch, der in
sozialen Netzwerken geteilt wird: «Hoffentlich ist Corona bald
vorbei, dann können wir Norddeutschen endlich wieder unsere vier
Meter Abstand einhalten.»

Die Mentalität spielt nach Ansicht des wissenschaftlichen Direktors
des Hamburg Center for Health Economics (HCHE), Jonas Schreyögg, bei
der Ausbreitung des Virus eine Rolle. «Vielleicht ist es auch die
protestantische Prägung des Nordens, die dazu führt, dass die
Menschen mehr regelkonform sind», sagte er dem «Hamburger
Abendblatt».

Für Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) ist ein
wichtiger Faktor, dass das Flächenland nicht so stark besiedelt sei.
«Auch das sehr disziplinierte Verhalten der Menschen hat einen großen
Anteil daran, Ansteckungen zu vermeiden.»

Ein Grund sind aber auch die Randlage und der aktuelle
Tourismusstopp. Als Touristen noch nach Sylt und auf die anderen
Nordseeinseln durften, war die Inzidenz auch im ebenfalls an Dänemark
grenzenden Kreis Nordfriesland zwischenzeitlich deutlich höher als
aktuell mit 17,5.

Zudem ist der Grenzverkehr nach Dänemark eingeschränkt. Aus
Schleswig-Holstein dürfen aktuell zwar Urlauber mit negativem
Coronatest einreisen, aus anderen Regionen Deutschlands aber nicht.
Passieren dürfen die Grenze aber auch Menschen mit triftigem
Grund. Dazu gehört neben der Arbeit auch der Besuch von engen
Verwandten und festen Lebenspartnern.

Von Montag an dürfen im Norden Nagel-, Kosmetik- sowie Massagestudios
unter Hygieneauflagen wieder ihre Dienste anbieten. Möglich wird dann
auch der Besuch von Tierparks, Zoos und Wildparks. Diese dürfen
Außenbereiche wieder öffnen. Die Landesregierung weitet aber die
Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus. Sie muss
beispielsweise auch in Bahnhöfen oder Bahnhofsvorplätzen und an
Haltestellen getragen werden. Das Kabinett beschloss am Sonntag eine
neue Corona-Verordnung, die bis zum 20. Dezember gilt.

Die Landesregierung hält einschließlich Weihnachten und Silvester
aber an ihrer Zehn-Personen-Kontaktregel fest. Damit dürfen sich
maximal zehn Menschen aus zwei Hausständen öffentlich treffen. Im
privaten Bereich sollen es maximal zehn Personen aus bis zu zehn
Haushalten sein, die Empfehlung beträgt aber zwei Haushalte - Kinder
jeweils inklusive. Die verschärfte Bund-Länder-Regelung bis
Weihnachten mit maximal fünf Personen aus zwei Haushalten plus Kinder
bis 14 Jahre macht das Land nicht mit.

Nach Angaben der Landesregierung vom Samstagabend sind im Land
zuletzt innerhalb eines Tages 219 neue Corona-Fälle gemeldet worden.
249 sind im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gestorben. In den
Krankenhäusern in Schleswig-Holstein wurden 118 Covid-19-Patienten
behandelt; 22 von ihnen in Intensivtherapie. 12 Menschen mussten
demnach aktuell beatmet werden. Die Zahl der genesenen Menschen wird
auf 10 900 geschätzt. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag bei 47,1.