Umbruch bei den Jusos - Kühnert weint zum Abschied

Kevin Kühnert hat den Jusos bei der SPD Gehör verschafft. Auch ohne
ihn wollen sie ihre Partei aufmischen. Ihren Kanzlerkandidaten nehmen
die Jusos in die Pflicht.

Berlin (dpa) - Die Jusos wollen auch ohne Kevin Kühnert an der Spitze
an ihrem linken Kurs festhalten und Forderungen im
SPD-Bundestagswahlprogramm unterbringen. «Lasst uns für eine bessere,
gerechtere, ökologischere, antifaschistische, feministische und
internationalistische Zukunft kämpfen», sagte die Kandidatin für den

Juso-Vorsitz, Jessica Rosenthal, am Samstag auf dem Bundeskongress
der SPD-Jugendorganisation. «Denn Zukunft machen wir selbst mit Mut,
mit Willen, mit klarem Kopf und manchmal auch mit erhobenem
Mittelfinger», kündigte sie an. Von Kanzlerkandidat Olaf Scholz und
ihrer Partei forderten die Jusos mehr Mut und Offenheit für
alternative Ideen. Der bisherige Juso-Chef Kühnert verabschiedete
sich mit einer emotionalen Rede.

«Es hat mir bombastischen Spaß gemacht», betonte der 31-Jährige der

inzwischen auch stellvertretender Parteivorsitzender der SPD ist. Er
rief seine Mitstreiter auf, sich nicht kleinmachen und unterkriegen
zu lassen. «Lasst euch nicht erklären, dass die Debatten nicht
wichtig sind», forderte Kühnert. Der frühere Kopf der Kampagne gegen

eine große Koalition tritt nach drei Jahren vorzeitig als Chef der
SPD-Jugend zurück, weil er im kommenden Jahr in den Bundestag
einziehen will.

Die Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bedankten
sich für Kühnerts Unterstützung bei ihrer Wahl vor einem Jahr und bei

der Profilierung der SPD. «Du hast als Gesicht der Jusos die Jusos
auf eine neue Art in das öffentliche Bewusstsein zurückgebracht»,
sagte Walter-Borjans. Selten zuvor hätten Juso-Positionen so stark
auf die Partei eingewirkt. «Du bist unglaublich präsent und du bist
auf eine unglaublich konstruktive Art auch umstritten.»
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bezeichnete Kühnert in einem
Interview als «das größte politische Talent in der SPD seit Gerhard
Schröder». «Normalerweise fliegen zwischen einem
Generalsekretär und einem Juso-Chef die Fetzen», sagte er der
«Rhein-Neckar-Zeitung» (online). «Das hat bei uns nicht wirklich oft

geklappt und schon gar nicht öffentlich.»

Kühnert betonte, ihm sei es in den vergangenen Jahren auch darum
gegangen, die Parteien aufzurütteln, die sich alle zu sehr in der
Mitte des politischen Spektrums versammelt hätten und sich alle
irgendwie einig seien. «Als Antwort auf unsere Vorschläge will ich
nicht hören «Mann, seid ihr verrückt», sondern ich will
Gegenvorschläge hören», sagte er.

Die Jusos seien häufig mehr am Puls der Zeit gewesen, als viele
realisiert hätten. Das sehe man auch in der Corona-Krise, wo
plötzlich viele alte Juso-Forderungen umgesetzt würden: die
Aussetzung der Schuldenbremse, Jobgarantien durch ein ausgeweitetes
Kurzarbeitergeld, mehr Schulbusse am Morgen. «Warum soll das
eigentlich nur in Krisenzeiten möglich sein?», fragte Kühnert. Viele

Menschen müssten jetzt zähneknirschend eingestehen, dass die
angeblich utopischen Ideen der Jusos gar nicht so abwegig seien.
«Mehr auf Jusos zu hören, heißt häufig auch früher zu merken, wo

brenzlige politische Debatten anstehen.» Kühnert bekräftigte in
diesem Zusammenhang die Forderung nach höheren Steuern für
Vermögende.

SPD-Kanzlerkandidat Scholz warb bei den Jusos dafür, mit ihm zusammen
für einen Politikwechsel und eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen.
«Wir müssen dafür Sorge tragen, dass unser Land sich
weiterentwickelt», sagte er. Das gemeinsame politische Ziel müsse ein
Deutschland sein, das sozial sei und das zusammenhalte. Scholz ging
dabei auch auf Kritik der Jusos ein, betonte, er wolle dafür sorgen,
dass jeder junge Mensch einen Ausbildungsplatz bekomme und dass mehr
Sozialwohnungen gebaut würden.

Rosenthal sicherte Scholz zu, im Ziel seien sie «vollkommen vereint».
Es sei, «die CDU in die Opposition zu schicken, eben, weil sie keine
Antworten hat für die Zukunft». Dafür wollten die Jusos ihn aber auch

kämpfen sehen. Die SPD müsse mutig sein und nicht so tun, als gebe es

keine Alternativen. «Wir dürfen nicht länger an unserer eigenen
Verzagtheit scheitern. Ich will eine mutige SPD, die zu ihren
Überzeugungen steht, die eine mächtige Lobby für die Menschen ist,
die sonst viel zu oft keine Stimme haben», forderte die 28-Jährige.

Die Jusos stimmen in den kommenden Wochen per Brief über die
Kühnert-Nachfolge ab. Rosenthal, die ehemalige nordrhein-westfälische
Juso-Chefin, ist die einzige Kandidatin. Anfang Januar soll das
Ergebnis bekanntgegeben werden.

Die Parteichefs bekräftigten, dass sie in der großen Koalition keine
Zukunft sehen. Zwar gelinge es ihr gerade, das Land in der Krise über
Wasser zu halten wie ein Schiff in schwerer See. «Aber man muss sich
auf Zeiten einrichten, wo die See wieder etwas ruhiger wird und wo
die Frage gestellt wird, wohin fährt das Ding denn überhaupt», sagte

Walter-Borjans. «Diese Koalition ist nicht die, mit der man den Kurs
in die richtige Zukunft dieses Landes führt.»

Die Jusos beschlossen mehrere Forderungen, die sie im Wahlprogramm
der SPD unterbringen wollen. Dazu gehören etwa eine staatliche
Garantie auf einen Ausbildungsplatz im Wahlberuf und ein
beitragsfinanzierter und öffentlicher Nahverkehr ohne Fahrschein. Im
Gesundheitswesen sollen Fallpauschalen abgeschafft und Kliniken in
die öffentliche Hand zurückgebracht werden. Die Schuldenbremse im
Grundgesetz soll gekippt werden, um mehr Investitionen bezahlbare
Wohnungen und moderne Schulen zu ermöglichen.