Umbruch bei den Jusos - Kühnert nimmt emotional Abschied

Kevin Kühnert hat den Jusos ein Gesicht gegeben - und ihnen bei der
SPD Gehör verschafft. Jetzt hört er auf, für eine Karriere im
Bundestag. Seinem Verband gibt er einen Rat mit.

Berlin (dpa) - Mit einer emotionalen Rede hat sich SPD-Vize Kevin
Kühnert aus dem Amt des Juso-Chefs verabschiedet und seinen Verband
aufgefordert, am linken Kurs festzuhalten. «Es hat mir bombastischen
Spaß gemacht», betonte er am Samstag unter Tränen beim digitalen
Bundeskongress der Jungsozialisten. Die Jusos rief er auf, sich nicht
kleinmachen und unterkriegen zu lassen. «Lasst euch nicht erklären,
dass die Debatten nicht wichtig sind», forderte er. Die Jusos
forderten von Kanzlerkandidat Olaf Scholz und ihrer Partei mehr Mut
und Offenheit für alternative Ideen.

Kühnert tritt nach drei Jahren vorzeitig als Chef der
SPD-Jugendorganisation zurück, weil er im kommenden Jahr in den
Bundestag einziehen will. Die Parteichefs Saskia Esken und Norbert
Walter-Borjans bedankten sich für seine Unterstützung bei ihrer Wahl
vor einem Jahr und bei der Profilierung der SPD. «Du hast als Gesicht
der Jusos die Jusos auf eine neue Art in das öffentliche Bewusstsein
zurückgebracht», sagte Walter-Borjans. Selten zuvor hätten
Juso-Positionen so stark auf die Partei eingewirkt. «Du bist
unglaublich präsent und du bist auf eine unglaublich konstruktive Art
auch umstritten.»

Kühnert rief die Jusos auf, an ihrem linken Kurs festzuhalten. Gerade
in der Corona-Krise zeige sich, dass sich viele ihrer jahrealten
Forderungen umsetzen ließen: die Aussetzung der Schuldenbremse, hohe
staatliche Investitionen, Jobgarantien durch ein ausgeweitetes
Kurzarbeitergeld, mehr Schulbusse am Morgen. «Warum soll das
eigentlich nur in Krisenzeiten möglich sein?», fragte Kühnert. Viele

Menschen müssten jetzt zähneknirschend eingestehen, dass die
angeblich utopischen Ideen der Jusos gar nicht so abwegig seien.
Kühnert bekräftigte in diesem Zusammenhang die Forderung nach höheren

Steuern für Vermögende.

Der 31-jährige betonte, ihm sei es in den vergangenen Jahren auch
darum gegangen, die Parteien aufzurütteln, die sich alle zu sehr in
der Mitte des politischen Spektrums versammelt hätten und sich alle
irgendwie einig seien. «Als Antwort auf unsere Vorschläge will ich
nicht hören «Mann, seid ihr verrückt», sondern ich will
Gegenvorschläge hören», sagte er. Die Jusos seien häufig mehr am Pu
ls
der Zeit gewesen, als viele realisiert hätten. «Mehr auf Jusos zu
hören, heißt häufig auch früher zu merken, wo brenzlige politische

Debatten anstehen.»

SPD-Kanzlerkandidat Scholz warb bei den Jusos dafür, mit ihm zusammen
für einen Politikwechsel und eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen.
«Wir müssen dafür Sorge tragen, dass unser Land sich
weiterentwickelt», sagte er. Das gemeinsame politische Ziel müsse ein
Deutschland sein, das sozial sei und das zusammenhalte. Scholz ging
dabei auch auf Kritik der Jusos ein, betonte, er wolle dafür sorgen,
dass jeder junge Mensch einen Ausbildungsplatz bekomme und dass mehr
Sozialwohnungen gebaut würden.

Die Kandidatin für den Juso-Vorsitz, Jessica Rosenthal, sicherte
Scholz zu, im Ziel seien sie «vollkommen vereint». Es sei, «die CDU
in die Opposition zu schicken, eben, weil sie keine Antworten hat für
die Zukunft». Dafür wollten die Jusos ihn aber auch kämpfen sehen.
Die SPD müsse mutig sein und nicht so tun, als gebe es keine
Alternativen.

Sie forderte mehr Mut von der SPD. «Wir dürfen nicht länger an
unserer eigenen Verzagtheit scheitern. Ich will eine mutige SPD, die
zu ihren Überzeugungen steht, die eine mächtige Lobby für die
Menschen ist, die sonst viel zu oft keine Stimme haben», forderte die
28-Jährige. Die Jusos stimmen in den kommenden Wochen per Brief über
die Kühnert-Nachfolge ab. Rosenthal, die ehemalige
nordrhein-westfälische Juso-Chefin, ist die einzige Kandidatin.
Anfang Januar soll das Ergebnis bekanntgegeben werden.

Die Parteichefs bekräftigten, dass sie in der großen Koalition keine
Zukunft sehen. Zwar gelinge es ihr gerade, das Land in der Krise über
Wasser zu halten wie ein Schiff in schwerer See. «Aber man muss sich
auf Zeiten einrichten, wo die See wieder etwas ruhiger wird und wo
die Frage gestellt wird, wohin fährt das Ding denn überhaupt», sagte

Walter-Borjans. «Diese Koalition ist nicht die, mit der man den Kurs
in die richtige Zukunft dieses Landes führt.»

Die Jusos beschlossen auch mehrere Forderungen, die sie im
Wahlprogramm der SPD unterbringen wollen. Dazu gehören etwa eine
staatliche Garantie auf einen Ausbildungsplatz im Wahlberuf und ein
beitragsfinanzierter und öffentlicher Nahverkehr ohne Fahrschein. Im
Gesundheitswesen sollen Fallpauschalen abgeschafft und Kliniken in
die öffentliche Hand zurückgebracht werden. Die Schuldenbremse im
Grundgesetz soll gekippt werden, um mehr Investitionen bezahlbare
Wohnungen und moderne Schulen zu ermöglichen.